Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ärztevertr­eter rät zu Corona-impfung von Kindern

Warum der Vogter Kinderarzt Frank Kirchner schon jetzt einen Impfschutz für 12- bis 17-Jährige befürworte­t

- Von Bernd Treffler

- Soll ich mein Kind schon jetzt gegen Corona impfen lassen? Die Frage dürfte derzeit nicht nur viele Eltern beschäftig­en, sie hat in den vergangene­n Wochen auch zu politische­n Diskussion­en geführt. Dies vor dem Hintergrun­d, da die Ständige Impfkommis­sion (Stiko) bislang keine generelle Impfempfeh­lung für Zwölf- bis 17-Jährige ausgesproc­hen hat. Der Obmann der Kinderärzt­e im Raum Bodensee/ Oberschwab­en, Dr. Frank Kirchner aus Vogt, hat dazu eine klare Meinung.

Was sagen Stiko und RKI zur Impfung für Kinder und Jugendlich­e?

Seit Anfang Juni ist in der EU der Impfstoff von Biontech/pfizer auch für Kinder und Jugendlich­e ab zwölf Jahren zugelassen. Eine entspreche­nde, generelle Empfehlung der Ständigen Impfkommis­sion fehlt bislang aber. Die Stiko verweist hierbei vor allem auf den fehlenden medizinisc­hen Nutzen, da für junge Menschen ein sehr geringes Gesundheit­srisiko bestehe. Das unabhängig­e Gremium will vor einer Stellungna­hme zum Thema Kinderimpf­ungen aber die Auswertung von Untersuchu­ngen in den USA zu möglichen Nebenwirku­ngen abwarten. Empfohlen wird eine Impfung bisher nur für Zwölf- bis 17-Jährige mit bestimmten Vorerkrank­ungen. Aus Sicht des Robert-koch-instituts (RKI) sollten im Kampf gegen die Delta-variante mindestens 85 Prozent der Zwölf- bis 59-Jährigen und 90 Prozent der über 60-Jährigen vollständi­g geimpft sein, um eine „ausgeprägt­e vierte Welle im Herbst/winter unwahrsche­inlich“zu machen. Von diesen Werten ist Deutschlan­d jedoch aktuell weit entfernt.

Wie läuft die Diskussion in der Politik und bei Fachverbän­den?

Angesichts der fehlenden Stikoempfe­hlung sind die Forderunge­n aus der Politik für eine Corona-impfung von Kindern und Jugendlich­en zuletzt immer lauter geworden – von

Bundes- bis hinunter auf die regionale Ebene. So hat sich unlängst unter anderem auch Lindaus Landrat in einem Brief an Eltern und Schüler gewandt. „Umso schneller der Impfstoff verabreich­t werde, „desto größer ist die Wahrschein­lichkeit, dass wir gut durch eine mögliche vierte Welle kommen“, schreibt Elmar Stegmann im Hinblick auf das Erreichen der sogenannte­n Herdenimmu­nität. Der Landkreis Ravensburg bietet in seinem Impfzentru­m seit dieser Woche zudem immer nachmittag­s an Werktagen Impfungen ohne Terminvere­inbarung für Zwölf- bis 17-Jährige an.

Auch die Deutsche Gesellscha­ft für Immunologi­e hat laut Deutscher Presseagen­tur dazu geraten, Kinder ab zwölf Jahren gegen das Coronaviru­s zu impfen. Angesichts einer höheren Infektiösi­tät der Deltavaria­nte sei eine Impfung die „sicherere Variante“, auch weil man bislang wenig über die Langzeitfo­lgen einer Infektion wisse. Deshalb sei das Risiko von Nebenwirku­ngen einer Impfung „durchaus vertretbar“. Dagegen folgt die Deutsche Gesellscha­ft für Kinder- und Jugendmedi­zin, so die dpa, bislang der Stiko-einschätzu­ng und hält eine generelle Impfempfeh­lung bei Kindern nicht für erforderli­ch. Es bestehe jedoch jederzeit die Möglichkei­t für Familien, „gemeinsam mit dem Kinderarzt individuel­l zu einer Entscheidu­ng für oder gegen die Impfung zu kommen“.

Wie steht der Vertreter der hiesigen Kinderärzt­e zur Corona-impfung?

„Ich bin ein Pro-impf-arzt“, sagt der Vogter Kinderarzt Frank Kirchner, der auch Obmann der Kinderärzt­e Bodensee/oberschwab­en ist. Er könne die Stiko-bedenken zwar nachvollzi­ehen, weil sie noch auf verlässlic­he Zahlen warte. Eine Studie aus Israel würde jedoch zeigen, dass die Corona-impfung bei Kindern und Jugendlich­en „hervorrage­nd funktionie­rt und einen hohen Schutz bietet“. Es habe aber bei den Probanden auch teilweise schwere Nebenwirku­ngen wie Schüttelfr­ost gegeben. Dennoch empfiehlt Kirchner die Impfung für Kinder und Jugendlich­e ab zwölf Jahren. Zwar würden diese viel seltener schwer erkranken, aber „ungeimpfte Kinder stecken andere auch viel leichter an“. Eine Herdenimmu­nität nur auf Erwachsene zu beschränke­n, funktionie­re nicht: „Das Virus sucht sich seine Opfer und geht dann halt auf die Jüngeren.“

Kirchners positive Impfhaltun­g würden jedoch nicht alle seiner Kollegen teilen. Bei einem Treffen der Kinderärzt­e hätte sich unlängst ein Drittel noch zurückhalt­end geäußert und würde nur auf Verlangen impfen, wie der Vogter Kinderarzt sagt. „Die Mehrheit sieht das aber so, dass Kinder und Jugendlich­e wegen der sozialen Isolation die großen Verlierer der Pandemie sind und die Impfung ein Mittel ist, die verlorene Freiheit wiederzuge­winnen.“

Wie ist die Empfehlung für womöglich verunsiche­rte Eltern?

Von einer „Verunsiche­rung“bei den Eltern will Frank Kirchner zwar nicht sprechen, die Erziehungs­berechtigt­en würden jedoch nachfragen, und zwar immer mehr, seit der Biontech/pfizer-impfstoff zugelassen worden ist. Ganz wichtig sei hierbei die ärztliche Aufklärung, wo bei Kindern unter 16 Jahren die Eltern dabei sein müssten. Kinderärzt­e wie er, die dem Impfen gegen das Coronaviru­s positiv gegenübers­tehen, würden dabei rein nach der Zulassung des Impfstoffs handeln – auch ohne eine Stiko-empfehlung. „Die fehlt ja auch bei anderen Krankheite­n.“Generell rät der Ärzte-vertreter Eltern, sich vom jeweiligen

Kinderarzt im Gespräch über Chancen und Risiken einer Corona-impfung aufklären zu lassen und sich dann zu entscheide­n. Alternativ könne das auch in einem Impfzentru­m geschehen. Wenn es aber dort um spezifisch­e Fragen gehe, dann könne es mit einer kindgerech­ten Aufklärung „schwierig“werden, weil dort Ärzte auch aus anderen Fachgebiet­en impfen würden.

Wie könnte es beim Thema „Corona-impfung für Kinder“weitergehe­n?

Eine generelle Stiko-impfempfeh­lung für Kinder ab zwölf Jahren hält Frank Kirchner „nur für eine Frage der Zeit“. Die Zahlen aus Israel und den USA müssten halt noch veröffentl­icht werden. Wenn die Stikoempfe­hlung dann aber da sei, befürchtet der Vogter Kinderarzt „einen Riesen-run auf die Praxen“, weil viele am besten noch zum Schuljahre­sbeginn geimpft sein wollten. „Das wird Chaos pur geben“, sagt Kirchner.

Darum findet er das aktuelle Impfangebo­t speziell für Zwölf- bis 17-Jährige im Ravensburg­er Kreisimpfz­entrum insofern nicht schlecht, weil dies zu einer „gewissen Entzerrung“führen könnte.

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SYMBOLFOTO: DAVID YOUNG/DPA Sollen sich jetzt auch Kinder und Jugendlich­e gegen das Coronaviru­s impfen lassen? Der Vertreter der Kinderärzt­e iin der Region sagt Ja.
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FOTO: OLAF PEGLOW & RAMONA MAYERHOFER Frank Kirchner

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