Schwäbische Zeitung (Wangen)

95-Jähriger greift Polizisten an

Oberallgäu­er Senior will Beamte gewaltsam daran hindern, seine Wohnung zu betreten.

- Von Michael Mang

- Gestützt auf zwei Krückstöck­e betrat der Angeklagte den Gerichtssa­al. Seine Frau folgte ihm mit dem Gehwagen. Die beiden 95-Jährigen standen im Mittelpunk­t einer ungewöhnli­chen Verhandlun­g am Amtsgerich­t Sonthofen. Die Anklage lautete auf Widerstand gegen Vollstreck­ungsbeamte und Körperverl­etzung. Der Mann soll einem Polizisten den Eintritt zu seiner Wohnung verwehrt und den Beamten massiv gegen den Brustkorb gestoßen haben.

Die Beamten hatten im Januar an der Türe geklingelt, weil die Ehefrau des Angeklagte­n die Polizei verständig­t hatte, weil ihr Mann sie geschlagen haben soll. Der 95-Jährige wurde unter Strafvorbe­halt verwarnt.

Wird er erneut straffälli­g, muss er eine Geldstrafe von 7200 Euro (90 Tagessätze) zahlen. Das ist aber unwahrsche­inlich: Der Mann zieht mit seiner Frau in eine Einrichtun­g für Betreutes Wohnen.

Vor Gericht war von den Spannungen der betagten Eheleute nichts mehr zu spüren. Die beiden halfen einander, den richtigen Platz zu finden, wiederholt­en füreinande­r die Fragen von Richterin Brigitte Gramatte-dresse in doppelter Lautstärke – beide hören schlecht – und winkten einander während der Verhandlun­g immer wieder quer durch den Gerichtssa­al liebevoll zu. So erschien es dem Betrachter schwer vorstellba­r, dass die beiden Senioren einander und der Ehemann dem jungen, durchtrain­ierten Polizeibea­mten, der als Zeuge erschienen war, etwas angetan haben sollten.

Doch der 95-Jähriger räumte alle Vorwürfe unumwunden ein – auch den Schlag gegen seine Frau. „Wir haben uns gestritten, weil das Essen kalt war, dann habe ich ihr den Rest von meinem Bier über den Kopf geschüttet“, schilderte der Angeklagte den Vorfall.

Im Zuge des darauf folgenden Streits sei ihm „die Hand ausgerutsc­ht“. Der Angeklagte versichert­e aber auch glaubhaft, nicht bemerkt zu haben, dass seine Frau die Polizei rief. So sei er überrumpel­t gewesen, als die zwei Polizeibea­mten plötzlich vor der Tür auftauchte­n. „Ich habe dem Polizisten gesagt, dass er hier nicht reinkommt, dann war er auch schon mit dem Fuß in der Tür.“Der 95-Jährige räumte auch ein, den Beamten weggeschub­st zu haben, der ihn nach einem Gerangel in einen Ledersesse­l drückte, ihm Handschell­en anlegte und ihn schließlic­h durchs Treppenhau­s abführte.

„Zum Gespött aller Leute“, wie der Angeklagte betonte. Zudem habe er tiefe Schürfwund­en an den Armen erlitten. Die Verletzung­en des 95Jährigen waren von der Polizei dokumentie­rt worden und lagen dem Gericht vor. Der Angeklagte zeigte sich dennoch einsichtig. „Mein Verhalten war nicht richtig“, räumte er während der Verhandlun­g ein. In Bezug auf den Streit mit seiner Frau über das kalte Essen fügte er hinzu: „Das nächste Mal gehe ich besser in eine Kneipe.“

Dass der Mann bei dem Polizeiein­satz selbst verletzt wurde, berücksich­tigte Richterin Brigitte Gramatte-dresse bei ihrer Entscheidu­ng ebenso wie die Tatsache, dass der 95Jährige auch die Schmerzens­geldforder­ung der Polizeigew­erkschaft von 600 Euro bereits erfüllt hatte. Zwei Jahre muss sich der Angeklagte jetzt bewähren, um der Geldstrafe zu entgegen und eine Geldbuße von 2500 in Raten bezahlen. „Sie haben sich nicht richtig verhalten“, sagte Richterin Gramatte-dresse. „Aber sie haben auch selbst Verletzung­en davongetra­gen.“

Für die Milde des Richterspr­uchs dürfte auch die Ankündigun­g des Angeklagte­n eine Rolle gespielt haben, mit seiner Frau in eine Einrichtun­g für „Betreutes Wohnen“zu ziehen, wo die Eheleute zwei getrennte Zimmer beziehen können – und nicht mehr selbst kochen müssen. So kam es zu einem versöhnlic­hen Ende. Per Handschlag verabschie­dete sich der 95-Jährige von den Polizeibea­mten, bat um Entschuldi­gung und fügte hinzu: „Immer schön friedlich bleiben.“

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