95-Jähriger greift Polizisten an
Oberallgäuer Senior will Beamte gewaltsam daran hindern, seine Wohnung zu betreten.
- Gestützt auf zwei Krückstöcke betrat der Angeklagte den Gerichtssaal. Seine Frau folgte ihm mit dem Gehwagen. Die beiden 95-Jährigen standen im Mittelpunkt einer ungewöhnlichen Verhandlung am Amtsgericht Sonthofen. Die Anklage lautete auf Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung. Der Mann soll einem Polizisten den Eintritt zu seiner Wohnung verwehrt und den Beamten massiv gegen den Brustkorb gestoßen haben.
Die Beamten hatten im Januar an der Türe geklingelt, weil die Ehefrau des Angeklagten die Polizei verständigt hatte, weil ihr Mann sie geschlagen haben soll. Der 95-Jährige wurde unter Strafvorbehalt verwarnt.
Wird er erneut straffällig, muss er eine Geldstrafe von 7200 Euro (90 Tagessätze) zahlen. Das ist aber unwahrscheinlich: Der Mann zieht mit seiner Frau in eine Einrichtung für Betreutes Wohnen.
Vor Gericht war von den Spannungen der betagten Eheleute nichts mehr zu spüren. Die beiden halfen einander, den richtigen Platz zu finden, wiederholten füreinander die Fragen von Richterin Brigitte Gramatte-dresse in doppelter Lautstärke – beide hören schlecht – und winkten einander während der Verhandlung immer wieder quer durch den Gerichtssaal liebevoll zu. So erschien es dem Betrachter schwer vorstellbar, dass die beiden Senioren einander und der Ehemann dem jungen, durchtrainierten Polizeibeamten, der als Zeuge erschienen war, etwas angetan haben sollten.
Doch der 95-Jähriger räumte alle Vorwürfe unumwunden ein – auch den Schlag gegen seine Frau. „Wir haben uns gestritten, weil das Essen kalt war, dann habe ich ihr den Rest von meinem Bier über den Kopf geschüttet“, schilderte der Angeklagte den Vorfall.
Im Zuge des darauf folgenden Streits sei ihm „die Hand ausgerutscht“. Der Angeklagte versicherte aber auch glaubhaft, nicht bemerkt zu haben, dass seine Frau die Polizei rief. So sei er überrumpelt gewesen, als die zwei Polizeibeamten plötzlich vor der Tür auftauchten. „Ich habe dem Polizisten gesagt, dass er hier nicht reinkommt, dann war er auch schon mit dem Fuß in der Tür.“Der 95-Jährige räumte auch ein, den Beamten weggeschubst zu haben, der ihn nach einem Gerangel in einen Ledersessel drückte, ihm Handschellen anlegte und ihn schließlich durchs Treppenhaus abführte.
„Zum Gespött aller Leute“, wie der Angeklagte betonte. Zudem habe er tiefe Schürfwunden an den Armen erlitten. Die Verletzungen des 95Jährigen waren von der Polizei dokumentiert worden und lagen dem Gericht vor. Der Angeklagte zeigte sich dennoch einsichtig. „Mein Verhalten war nicht richtig“, räumte er während der Verhandlung ein. In Bezug auf den Streit mit seiner Frau über das kalte Essen fügte er hinzu: „Das nächste Mal gehe ich besser in eine Kneipe.“
Dass der Mann bei dem Polizeieinsatz selbst verletzt wurde, berücksichtigte Richterin Brigitte Gramatte-dresse bei ihrer Entscheidung ebenso wie die Tatsache, dass der 95Jährige auch die Schmerzensgeldforderung der Polizeigewerkschaft von 600 Euro bereits erfüllt hatte. Zwei Jahre muss sich der Angeklagte jetzt bewähren, um der Geldstrafe zu entgegen und eine Geldbuße von 2500 in Raten bezahlen. „Sie haben sich nicht richtig verhalten“, sagte Richterin Gramatte-dresse. „Aber sie haben auch selbst Verletzungen davongetragen.“
Für die Milde des Richterspruchs dürfte auch die Ankündigung des Angeklagten eine Rolle gespielt haben, mit seiner Frau in eine Einrichtung für „Betreutes Wohnen“zu ziehen, wo die Eheleute zwei getrennte Zimmer beziehen können – und nicht mehr selbst kochen müssen. So kam es zu einem versöhnlichen Ende. Per Handschlag verabschiedete sich der 95-Jährige von den Polizeibeamten, bat um Entschuldigung und fügte hinzu: „Immer schön friedlich bleiben.“