Der Hexer aus der Männer-wg
Timo Boll gelingt ein lockerer Start in seine sechsten Olympischen Spiele – Der weitere Weg ist steinig, doch bleibt der 40-Jährige locker
(Sid/dpa) - Timo Boll wischte sich kurz den wenigen Schweiß von der Stirn, dann packte der Tischtennis-altmeister seinen Schläger ein und eilte zurück in seine Männer-wg im Olympischen Dorf. Die Us-serie „The Witcher“steht beim Europameister derzeit hoch im Kurs, und fast wie der besagte Hexer war der 40-Jährige auch in seinem ersten Spiel in Tokio aufgetreten. 32 Minuten Tricks und Traute, dann war die erste Hürde genommen.
„Am Anfang habe ich den Ball noch nicht so gespürt, aber das ist normal. Im zweiten Satz wurde ich dann immer besser und besser“, sagte Boll nach dem letztlich klaren 4:1 (7:11, 11:6, 11:7, 11:2, 11:1) gegen Werder Bremens kasachischen Bundesligaspieler Kirill Gerassimenko: „Gut, dass ich da die Wende geschafft habe und mein Spiel spielen konnte.“
Auch bei seinen sechsten Spielen steht Boll somit im Achtelfinale. Und körperlich fühlt sich Boll gut. Er habe „seit acht, neun Tagen eigentlich keine Schmerzen mehr. Ich war zwar schon noch vorsichtig, bin aber heute auch ein paar extremere Wege gegangen und das hat ganz gut funktioniert. Ich habe Selbstvertrauen in den Körper“, erzählte Boll, der sich zwei Wochen vor der Eröffnungsfeier noch an der Hüfte verletzt hatte.
Boll trifft im Achtelfinale am Dienstag (09.30 UHR/MESZ) auf den Sieger der Partie Youngsik Jeoung aus Südkorea gegen den Griechen Panagiotis Gionis. Im Viertelfinale könnte er dann auf den Weltranglisten-ersten Fan Zhendong treffen. Gegen den topgesetzten Chinesen hat Boll noch nie im Einzel gewonnen.
So weit wollte Jörg Roßkopf indes noch nicht denken. „Es ist noch ein weiter Weg“, sagte der Männerbundestrainer nach dem gelungenen Auftakt: „Timo wird jetzt erst einmal ein schweres Spiel gegen Jeoung bekommen, denke ich. Da brauchen wir uns über das Viertelfinale
noch keine Gedanken zu machen.“
Bolls Form jedenfalls passt. Im Tokyo Metropolitan Gymnasium in Sichtweite zum Olympiastadion brauchte der frühere Weltranglistenerste zwar etwas Anlaufzeit, siegte dann aber souverän. Knackpunkt war der dritte Satz, als der Routinier beim Stand von 7:7 die Nerven behielt und mit vier Punkten in Folge den Durchgang für sich entschied.
„Danach habe ich auch ein paar schwere Bälle getroffen. Da war er dann gebrochen“, sagte Boll, der bei Olympia im Einzel noch nie über das Viertelfinale (2004) hinausgekommen ist. Bei seinen vielleicht letzten Sommerspielen soll sich das ändern. „Timo ist in einer guten Form, körperlich wie mental“, sagte Roßkopf: „Aber hier haben 20, 25 Spieler realistische Chancen auf eine Medaille. Und da gehört Timo dazu, ganz klar. Dafür ist er hier.“
Es wäre die Krönung einer schon jetzt sensationellen Karriere. Mit dem Team gewann Boll bei Olympia einmal Silber (2008) und zweimal Bronze (2012, 2016), doch im Einzel fehlt Edelmetall noch. „Mal schauen, was noch passiert“, sagt Boll und eilte zurück ins Dorf. Dort werde er bis zum nächsten Spiel „Serien gucken“und „dummes Zeug mit den Kollegen quatschen“, sagt Boll: „Wie es halt in einer Männer-wg abläuft.“