Wie Feuerwehrleute schwere Unfälle verarbeiten
Notfallseelsorger der Feuerwehren können bei der Verarbeitung belastender Einsätze helfen
- Zuletzt waren die Waldseer Feuerwehrleute bei gleich zwei tödlichen Verkehrsunfällen gefordert. Ein Kleinkind kam auf der B 30 ums Leben, drei 18Jährige fuhren zwischen Reute und Bad Waldsee in den Tod. Immer wieder passieren auch in der Region Wangen Unfälle mit schrecklichen Folgen, auf der A 96 oder den teilweise unübersichtlichen Land- und Bundesstraßen im Allgäu. Es sind schockierende Bilder, die die Helfer bei derartigen Einsätzen zu sehen bekommen und die sich im Kopf festsetzen. Wie aber verarbeiten die Feuerwehrangehörigen diese Erlebnisse? Die Fachberater Notfallseelsorge der Feuerwehren im Landkreis Ravensburg helfen den Feuerwehr-einsatzkräften dabei, die schlimmen Ereignisse einzuordnen und aufzuarbeiten. Der „Schwäbischen Zeitung“haben die Notfallseelsorger und Feuerwehrleute einen Einblick in ihre Arbeit und den Umgang mit belastenden Einsätzen gewährt.
Alarm. Die Konzentration fährt sofort hoch. Die wenigen Zeilen der Erstmeldung zeigen, dass Menschenleben in Gefahr sind. Adrenalin rauscht durch die Adern. Schnell sind die Feuerwehrleute beim Brand oder am Unfallort angekommen. Autos werden aufgeschnitten, Feuerherde gelöscht, Tote geborgen. Der Leichenwagen fährt ab. Es kehrt langsam Ruhe ein und die Gedanken können sich wieder entfalten. „Solange man seinen Auftrag und seine Aufgabe hat, kann man das alles recht gut ausblenden. Schlimmer wird es, wenn es ruhiger wird und man zum Nachdenken kommt“, berichten die Zugführer Andreas Potthast und Alexander Koltan. Beklemmende Gefühle können aufkommen und Nerven blank liegen.
Diese Zeit unmittelbar nach dem Einsatz ist herausfordernd. Und genau da unterstützen die Notfallseelsorger, die auf Anforderung des Einsatzleiters entweder direkt zum Einsatzort oder ins Feuerwehrhaus gerufen werden. „Während des Einsatzes ist die Gefahr von Belastungsstörungen sehr gering. Man ist Handelnder, ist ausgebildet dafür, hat die notwendigen Ressourcen. Aber danach nimmt man den Kopf hoch, riecht das Blut. Man schaltet die anderen Sinne wieder ein, die davor aufgrund der Konzentration ausgeschaltet waren“, erklärt der Wangener Stephan Wiltsche, Sprecher der Psychosozialen Notfallversorgung im Landkreis Ravensburg.
Die Spezialisten, wie Klaus Pleil, bieten daher direkt Gespräche in entspannter Runde an. „Wir sind zu zweit. Einer hat die Mannschaft im Blick und einer führt das Gespräch“, klärt der Waldseer Feuerwehrmann und Notfallseelsorger auf. „Das ist gut, damit die ersten Gedanken raus sind“, loben Potthast und Koltan den Austausch. Gleichwohl kann dieses Gespräch nicht alle Wunden heilen. „Es wäre eine falsche Vorstellung, wenn man sagt, die Notfallseelorger kommen und das Leid ist weg. Wir sind keine Zauberer“, betont Wiltsche. Die Situationen sind zwar außergewöhnlich, aber eben real. Das bedeutet, dass die Feuerwehrleute zwar über viel Resilienz verfügen, also psychische Widerstandskraft, die ihnen dabei hilft, schwierige Erlebnisse ohne bleibende Beeinträchtigung zu überstehen, aber die nahe Konfrontation mit dem Tod ist dennoch belastend.
Je nach Tagesverfassung oder Assoziationen zum eigenen Leben können die Einsätze mal schneller und mal langsamer verarbeitet werden. Haben Todesopfer beispielsweise Ähnlichkeit mit Familienmitgliedern wird der eigene Schutzmechanismus geschwächt, erklärt Wiltsche. Auch die Frage danach, ob man schneller am Einsatzort hätte sein müssen oder anders hätte vorgehen sollen, beschäftigt die Einsatzkräfte nach schlimmen Bränden oder Unfällen. Schuld oder Wut können aufkommen. „Es ist wichtig, das rauslassen zu dürfen. Unser Grundcredo dabei ist immer: Nicht wir sind unnormal, sondern das Ereignis“, heben die Notfallseelsorger Pleil und Wiltsche hervor.
Ein ganz wichtiger Aspekt, der bei Nachbesprechungen zu tödlichen Einsätzen immer wieder aufkommt, ist der würdige Umgang mit den Verstorbenen. „Es geht um die Pietät. Das Menschsein hört nicht auf, nur weil das Herz aufgehört hat zu schlagen“, sagt Wiltsche. Den Einsatzkräften ist es wichtig, die Toten achtsam zu bergen und würdig abzulegen oder auch bei ihnen zu bleiben, bis der Leichenwagen eintrifft.
Die erste Gesprächsrunde hilft dem Großteil der Einsatzkräfte bei der Verarbeitung. Bei besonders schweren Vorfällen gibt es sieben bis zehn Tage nach dem Einsatz allerdings nochmals das Gesprächsangebot. Dabei geht es emotional tiefer und es wird schnell klar, ob sich ein Trauma entwickelt hat. Allein über den Redefluss können die ausgebildeten Spezialisten erkennen, ob bei Einzelnen Belastungsstörungen vorliegen.
Wer nun denkt, dass die Feuerwehrkameraden mit ihren Gesprächskreisen
schwach sind, nur weil vor 20 Jahren nicht über die Einsätze gesprochen wurde und ein richtiger Feuerwehrmann ein alter Haudegen war, der alles mit sich selbst ausgemacht hat, der irrt gewaltig. Diesem längst überholten Bild des Feuerwehrangehörigen stellt Wiltsche einen cleveren Vergleich entgegen. Denn wenn Feuerwehrangehörige nach einem belastenden Einsatz nachts nicht schlafen können, „dann sind sie keine schlechten Feuerwehrleute, sondern gute Menschen.“In der Kameradschaft, der Gemeinschaft, stärken sich die Helfer gegenseitig. Speziell bei der Waldseer Feuerwehr sei dies gelebte Kultur, wie Wiltsche hervorhebt.
Doch nicht jedem Feuerwehrler hilft das Gespräch. Jeder hat eine andere Art mit den schockierenden Bildern umzugehen. Mal würde beim Holzhacken alles verarbeitet, mal beim Radfahren und wieder andere zünden in der Kirche Kerzen für die Verstorbenen an. Dennoch haben sich in der sensibilisierten Gemeinschaft alle im Blick und achten aufeinander. Dafür sorgen außerdem Unterrichtseinheiten.
Hilfreich ist zudem, dass die Notfallseelsorger selbst als Feuerwehrleute tätig sind – Wiltsche in Wangen, Pleil in Bad Waldsee. Der vielzitierte Stallgeruch schafft Nähe, man kommt leichter ins Gespräch. Insgesamt gibt es im Landkreis Ravensburg zehn Notfallseelsorger der Feuerwehr. Der Psychosozialen Notfallversorgung selbst gehören Vertreter verschiedenster Hilfsorganisationen an – darunter Malteser, Rotes Kreuz, Johanniter und Polizei. Über alle Organisationen hinweg sind es 56 Notfallseelsorger im Landkreis. 1999 und damit als erste in Baden-württemberg wurde die Psychosoziale Notfallversorgung im Kreis Ravensburg ins Leben gerufen, betonen die Notfallseelsorger.
Als Sprecher der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) im Kreis Ravensburg koordiniert Stephan Wiltsche im Landkreis auch den Einsatz der Notfallseelsorger in den Überflutungsgebieten im Kreis Ahrweiler (Rheinlandpfalz). Sie stammen von DRK, Maltesern, Johannitern oder den Feuerwehren. Insgesamt 50 solcher Fachkräfte aus Baden-württemberg und anderer Hilfsorganisationen sind am Montag dorthin aufgebrochen. Donnerstag früh wird dann ein zweites Psnvkontingent aus Baden-württemberg das erste Team ablösen. (sz)