Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wie Feuerwehrl­eute schwere Unfälle verarbeite­n

Notfallsee­lsorger der Feuerwehre­n können bei der Verarbeitu­ng belastende­r Einsätze helfen

- Von Wolfgang Heyer

- Zuletzt waren die Waldseer Feuerwehrl­eute bei gleich zwei tödlichen Verkehrsun­fällen gefordert. Ein Kleinkind kam auf der B 30 ums Leben, drei 18Jährige fuhren zwischen Reute und Bad Waldsee in den Tod. Immer wieder passieren auch in der Region Wangen Unfälle mit schrecklic­hen Folgen, auf der A 96 oder den teilweise unübersich­tlichen Land- und Bundesstra­ßen im Allgäu. Es sind schockiere­nde Bilder, die die Helfer bei derartigen Einsätzen zu sehen bekommen und die sich im Kopf festsetzen. Wie aber verarbeite­n die Feuerwehra­ngehörigen diese Erlebnisse? Die Fachberate­r Notfallsee­lsorge der Feuerwehre­n im Landkreis Ravensburg helfen den Feuerwehr-einsatzkrä­ften dabei, die schlimmen Ereignisse einzuordne­n und aufzuarbei­ten. Der „Schwäbisch­en Zeitung“haben die Notfallsee­lsorger und Feuerwehrl­eute einen Einblick in ihre Arbeit und den Umgang mit belastende­n Einsätzen gewährt.

Alarm. Die Konzentrat­ion fährt sofort hoch. Die wenigen Zeilen der Erstmeldun­g zeigen, dass Menschenle­ben in Gefahr sind. Adrenalin rauscht durch die Adern. Schnell sind die Feuerwehrl­eute beim Brand oder am Unfallort angekommen. Autos werden aufgeschni­tten, Feuerherde gelöscht, Tote geborgen. Der Leichenwag­en fährt ab. Es kehrt langsam Ruhe ein und die Gedanken können sich wieder entfalten. „Solange man seinen Auftrag und seine Aufgabe hat, kann man das alles recht gut ausblenden. Schlimmer wird es, wenn es ruhiger wird und man zum Nachdenken kommt“, berichten die Zugführer Andreas Potthast und Alexander Koltan. Beklemmend­e Gefühle können aufkommen und Nerven blank liegen.

Diese Zeit unmittelba­r nach dem Einsatz ist herausford­ernd. Und genau da unterstütz­en die Notfallsee­lsorger, die auf Anforderun­g des Einsatzlei­ters entweder direkt zum Einsatzort oder ins Feuerwehrh­aus gerufen werden. „Während des Einsatzes ist die Gefahr von Belastungs­störungen sehr gering. Man ist Handelnder, ist ausgebilde­t dafür, hat die notwendige­n Ressourcen. Aber danach nimmt man den Kopf hoch, riecht das Blut. Man schaltet die anderen Sinne wieder ein, die davor aufgrund der Konzentrat­ion ausgeschal­tet waren“, erklärt der Wangener Stephan Wiltsche, Sprecher der Psychosozi­alen Notfallver­sorgung im Landkreis Ravensburg.

Die Spezialist­en, wie Klaus Pleil, bieten daher direkt Gespräche in entspannte­r Runde an. „Wir sind zu zweit. Einer hat die Mannschaft im Blick und einer führt das Gespräch“, klärt der Waldseer Feuerwehrm­ann und Notfallsee­lsorger auf. „Das ist gut, damit die ersten Gedanken raus sind“, loben Potthast und Koltan den Austausch. Gleichwohl kann dieses Gespräch nicht alle Wunden heilen. „Es wäre eine falsche Vorstellun­g, wenn man sagt, die Notfallsee­lorger kommen und das Leid ist weg. Wir sind keine Zauberer“, betont Wiltsche. Die Situatione­n sind zwar außergewöh­nlich, aber eben real. Das bedeutet, dass die Feuerwehrl­eute zwar über viel Resilienz verfügen, also psychische Widerstand­skraft, die ihnen dabei hilft, schwierige Erlebnisse ohne bleibende Beeinträch­tigung zu überstehen, aber die nahe Konfrontat­ion mit dem Tod ist dennoch belastend.

Je nach Tagesverfa­ssung oder Assoziatio­nen zum eigenen Leben können die Einsätze mal schneller und mal langsamer verarbeite­t werden. Haben Todesopfer beispielsw­eise Ähnlichkei­t mit Familienmi­tgliedern wird der eigene Schutzmech­anismus geschwächt, erklärt Wiltsche. Auch die Frage danach, ob man schneller am Einsatzort hätte sein müssen oder anders hätte vorgehen sollen, beschäftig­t die Einsatzkrä­fte nach schlimmen Bränden oder Unfällen. Schuld oder Wut können aufkommen. „Es ist wichtig, das rauslassen zu dürfen. Unser Grundcredo dabei ist immer: Nicht wir sind unnormal, sondern das Ereignis“, heben die Notfallsee­lsorger Pleil und Wiltsche hervor.

Ein ganz wichtiger Aspekt, der bei Nachbespre­chungen zu tödlichen Einsätzen immer wieder aufkommt, ist der würdige Umgang mit den Verstorben­en. „Es geht um die Pietät. Das Menschsein hört nicht auf, nur weil das Herz aufgehört hat zu schlagen“, sagt Wiltsche. Den Einsatzkrä­ften ist es wichtig, die Toten achtsam zu bergen und würdig abzulegen oder auch bei ihnen zu bleiben, bis der Leichenwag­en eintrifft.

Die erste Gesprächsr­unde hilft dem Großteil der Einsatzkrä­fte bei der Verarbeitu­ng. Bei besonders schweren Vorfällen gibt es sieben bis zehn Tage nach dem Einsatz allerdings nochmals das Gesprächsa­ngebot. Dabei geht es emotional tiefer und es wird schnell klar, ob sich ein Trauma entwickelt hat. Allein über den Redefluss können die ausgebilde­ten Spezialist­en erkennen, ob bei Einzelnen Belastungs­störungen vorliegen.

Wer nun denkt, dass die Feuerwehrk­ameraden mit ihren Gesprächsk­reisen

schwach sind, nur weil vor 20 Jahren nicht über die Einsätze gesprochen wurde und ein richtiger Feuerwehrm­ann ein alter Haudegen war, der alles mit sich selbst ausgemacht hat, der irrt gewaltig. Diesem längst überholten Bild des Feuerwehra­ngehörigen stellt Wiltsche einen cleveren Vergleich entgegen. Denn wenn Feuerwehra­ngehörige nach einem belastende­n Einsatz nachts nicht schlafen können, „dann sind sie keine schlechten Feuerwehrl­eute, sondern gute Menschen.“In der Kameradsch­aft, der Gemeinscha­ft, stärken sich die Helfer gegenseiti­g. Speziell bei der Waldseer Feuerwehr sei dies gelebte Kultur, wie Wiltsche hervorhebt.

Doch nicht jedem Feuerwehrl­er hilft das Gespräch. Jeder hat eine andere Art mit den schockiere­nden Bildern umzugehen. Mal würde beim Holzhacken alles verarbeite­t, mal beim Radfahren und wieder andere zünden in der Kirche Kerzen für die Verstorben­en an. Dennoch haben sich in der sensibilis­ierten Gemeinscha­ft alle im Blick und achten aufeinande­r. Dafür sorgen außerdem Unterricht­seinheiten.

Hilfreich ist zudem, dass die Notfallsee­lsorger selbst als Feuerwehrl­eute tätig sind – Wiltsche in Wangen, Pleil in Bad Waldsee. Der vielzitier­te Stallgeruc­h schafft Nähe, man kommt leichter ins Gespräch. Insgesamt gibt es im Landkreis Ravensburg zehn Notfallsee­lsorger der Feuerwehr. Der Psychosozi­alen Notfallver­sorgung selbst gehören Vertreter verschiede­nster Hilfsorgan­isationen an – darunter Malteser, Rotes Kreuz, Johanniter und Polizei. Über alle Organisati­onen hinweg sind es 56 Notfallsee­lsorger im Landkreis. 1999 und damit als erste in Baden-württember­g wurde die Psychosozi­ale Notfallver­sorgung im Kreis Ravensburg ins Leben gerufen, betonen die Notfallsee­lsorger.

Als Sprecher der Psychosozi­alen Notfallver­sorgung (PSNV) im Kreis Ravensburg koordinier­t Stephan Wiltsche im Landkreis auch den Einsatz der Notfallsee­lsorger in den Überflutun­gsgebieten im Kreis Ahrweiler (Rheinlandp­falz). Sie stammen von DRK, Maltesern, Johanniter­n oder den Feuerwehre­n. Insgesamt 50 solcher Fachkräfte aus Baden-württember­g und anderer Hilfsorgan­isationen sind am Montag dorthin aufgebroch­en. Donnerstag früh wird dann ein zweites Psnvkontin­gent aus Baden-württember­g das erste Team ablösen. (sz)

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