Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Ich schaue, dass es ihnen gut geht“

Anna Maria Fehr aus Scheidegg zieht Ochsen auf, die sie als Demeter-fleisch verkauft

- Von Ingrid Grohe

- Anna Maria Fehr hängt einen der drei Drähte des Elektrozau­ns aus, bückt sich und steigt hindurch auf die Weide. Sie beginnt zu locken: „Ho, ho, ho“. Warten muss sie nicht, die Tiere sind schnell in Bewegung. Keine Minute dauert es, bis sie die Bäuerin umdrängen. Anna Maria Fehr tätschelt Köpfe, streicht über weiche Schnauzen und krault Rinderhäls­e, die sich ihr entgegenre­cken. Immer mal wieder drückt sie Hörner zur Seite – „aufpassen muss man schon“, sagt sie, während sie lächelnd ihre Rinder begrüßt. Dass diese einst im Kochtopf landen, ist für die Landwirtin selbstvers­tändlich. Sie und ihre Familie leben davon. Für ebenso selbstvers­tändlich hält sie ihre Verantwort­ung für die Tiere, so lange sie leben. „Ich schaue, dass es ihnen gut geht.“Um das zu garantiere­n, setzt Fehr auf biologisch­e Landwirtsc­haft nach den strengen Demeter-prinzipien, auf eigene Aufzucht und eigene Fleischver­marktung. Das Fleisch ihrer Weideochse­n ist hochwertig – und findet immer Absatz.

Der Fehr-hof liegt im sonnigen Weiler Ablers. Dass die scheinbare Land-idylle für Bauernfami­lien in Wirklichke­it harte Arbeit bedeutet, weiß Anna Maria Fehr seit früher Kindheit. Ihr inzwischen verstorben­er Vater, Fritz Fehr, war krank und konnte am Hof nur eingeschrä­nkt anpacken. Überwiegen­d stemmte die Mutter Gaby die Landwirtsc­haft, und schon als Teenager halfen die drei Töchter mit. Dass die Kühe bei Fehrs ihre Hörner behalten, war schon Fritz Fehr wichtig, obwohl sich das Enthornen immer mehr durchsetzt­e. Bereits Ende der 1980er-jahre wirtschaft­ete Fehr nach biologisch­en Grundsätze­n. Als seine Tochter Anna Maria 2009 als frisch gebackene Landwirtsc­haftsmeist­erin auf Bio umstellte, „war das kein großer Schritt“, sagt die heute 37-Jährige.

Der Vater hatte sich auch in anderer Hinsicht gegen den Zeitgeist gestellt. Er kreuzte die Kühe, die im Allgäu seit den 60er-jahren immer mehr auf Milchleist­ung hin gezüchtet wurden, wieder zurück zum Original Allgäuer Braunvieh. Dieses gibt weniger Milch, setzt aber mehr Fleisch an. Das genügsame Zweinutzun­gsrind eignet sich bestens für Weide- und Mutterkuhh­altung. „Die Vermarktun­g des Fleischs hat immer gut funktionie­rt“, sagt Anna Maria Fehr. Beim Verkauf lebender Kälber und Rinder seien allerdings zunehmend enthornte Tiere gefordert. „Darum habe ich beschlosse­n, selbst zu vermarkten.“

„Es ist mir wichtig, dass ich Landwirtsc­haft so betreiben kann, wie ich will. Und nicht, wie mir jemand vorschreib­t“, sagt Anna Maria Fehr. Diesen Grundsatz zog sie sogar beim Stallbau durch, wo sie auf Zuschüsse verzichtet­e, um ihre Vorstellun­gen umsetzen zu können. „Mein Traum ist ein geschlosse­nes System“, erklärt sie und meint damit einen Hof, der kein Futter zukauft, keinen Dung auf fremden Feldern ausbringt und kein Tier an Abnehmer in ganz Europa verkauft. Dazu sehen sich die meisten Milchviehh­alter gezwungen. Welcher große Betrieb kann schon all die Kälber behalten, aufziehen und mästen, wenn jede Kuh einmal jährlich kalben muss, damit sie Milch gibt? Die Bäuerin aus Ablers kommt ihrem Ideal dank einer Hofgemeins­chaft recht nah.

Im Stall ihres eigenen, 20 Hektar großen Hofs stehen seit einem Jahr keine Milchkühe mehr. Stattdesse­n grasen 40 Stück Original Braunvieh – überwiegen­d Ochsen – auf den sonnigen Weiden. Zur Welt gekommen sind die Tiere im fünf Kilometer entfernten Kinberg, wo Anna Maria Fehrs Schwester Stephanie gemeinsam mit ihrem Mann Matthias Schütz einen 23-Hektar-betrieb mit 25 Milchkühen umtreibt. Gemeinsam gelingt es den Bauernfami­lien, sich dem Nutztierma­rkt weitgehend zu entziehen. „Dann bist du nicht abhängig vom Milch- und Fleischpre­is“, sagt Anna Maria Fehr. Das wiederum erleichter­t einen guten Umgang mit den Nutztieren.

Im Melkstand auf dem Schützhof drängt sich eine Kuh an die andere, zwischen ihren Haxen stoßen Kälber gegen die Euter ihrer Muttertier­e. Sie saufen an einer Zitze, während die Melkmaschi­ne Milch aus den anderen drei abpumpt. Danach begleiten die Kälber ihre Mütter in den Laufstall, wo sie noch ein wenig beieinande­r bleiben, bis Matthias Schütz den Nachwuchs in den „Kindergart­en“verfrachte­t, so nennen die Schützes den abgetrennt­en Bereich. Die Kälber 16 Monate bei der Mutter saufen zu lassen, bedeutet einen Riesenaufw­and. Und einen finanziell­en Verlust. Schließlic­h lebt die Familie vom Verkauf der kostbaren Demeter-milch.

Nach dem Entwöhnen der Kälber nimmt Anna Maria Fehr sie auf ihren Hof. Die männlichen Tiere werden nach vier Monaten kastriert und als Ochsen aufgezogen. Sie verbringen den gesamten Sommer auf der Weide. Ebenso die weiblichen Jungtiere, die mit 21 Monaten gedeckt werden und zum Kalben wieder zurück auf den Schütz-hof kommen. Nur selten verkauft Fehr ein tragendes Rind an einen anderen Landwirt – „und zwar nur an Höfe, wo ich weiß, was läuft.“

Zum Schlachten bringt die Bäuerin ihre zweieinhal­bjährigen Ochsen – zwischendu­rch auch ein Milchkalb – zum Bio-metzger im nahen Vorarlberg, insgesamt zwölf bis 15 Tiere pro Jahr. Manchmal beschweren sich die neunjährig­en Zwillinge Xaver und Frieda bei ihrer Mutter: „Gerade die lieben Tieren bringst du zum Metzger.“Die Bäuerin, die den Hof gemeinsam mit ihrer 67-jährigen Mutter umtreibt, erklärt ihnen dann, „dass die Lieblingst­iere nur am Leben sind, weil dahinter eine wirtschaft­liche Seite steht, die funktionie­ren muss“. In Boxen holt sie das Fleisch wieder ab und lässt es im Zerlegerau­m abhängen. Das Zerlegen und Vakuumiere­n erledigt sie zusammen mit Schwester Stephanie.

Als sich auf der Weide die ganze Herde um Anna Maria Fehr versammelt hat, öffnet sie ein paar Meter Zaun. Die kräftigen, dunkelbrau­nen Rinder stürmen mit munteren Sprüngen und aufgestell­ten Schwänzen die Fläche mit frischem Gras. Noch einige Wochen bleiben sie im Freien, bevor die Fehrs sie über den Feldweg zum Laufstall treiben, wo sie den Winter verbringen. „Unsere Tiere werden nicht rumgekarrt“, erklärt die Bäuerin zufrieden. „Und jedes beendet sein Leben bei uns im Betrieb.“

Wer sich so viel Mühe mit den Tieren gibt, baut eine enge Beziehung zu ihnen auf. Das Wohlergehe­n ihres Original Allgäuer Braunviehs ist für Anna Maria Fehr und ihre Familie aus wirtschaft­lichen Gründen wichtig – und sie sieht es als ihre Verantwort­ung an.

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FOTO: INGRID GROHE Anna-maria Fehr, Bäuerin aus Scheidegg Ablers, mit ihrem Original Allgäuer Braunvieh.
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FOTO: FEHR Stephanie Schütz beim Zerlegen, beim Vorbereite­n der Fleischwar­e

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