Schwäbische Zeitung (Wangen)

Die Erinnerung an Irmgard M. lebt weiter

Vor 34 Jahren soll ein Serienmörd­er in Paris eine 20-jährige Kempteneri­n getötet haben

- Von Ralf Lienert und Bastian Hörmann

- Jahrelang lebte eine Kemptener Familie mit der Frage: Wer hat unsere Tochter und Schwester im Frühjahr 1987 in Paris ermordet? Vor wenigen Tagen – nach 34 Jahren – gestand nun in Südfrankre­ich ein Polizist, ein Serienmörd­er zu sein. Auch die 20-jährige Kempteneri­n war ihm offenbar zum Opfer gefallen. Bei vielen Weggefährt­en wurden durch die Nachricht nun schmerzlic­he Erinnerung­en wach an den grausamen Mord in Paris an der erst 20-jährigen Allgäuerin Irmgard M.

Mehr als drei Jahrzehnte lang hatte die Polizei einen der berüchtigs­ten Serienmörd­er der französisc­hen Geschichte gesucht, dabei war das „Pockengesi­cht“ein Mann aus den eigenen Reihen. Als er nun zu einer Vernehmung vorgeladen wurde, nahm er sich im Süden Frankreich­s das Leben: In einem Abschiedsb­rief hatte er unter anderem den Mord an der Abiturient­in Irmgard M. gestanden.

Der Artikel über das späte Geständnis weckte in Kempten alte Erinnerung­en. Auch bei einer früheren Mitschüler­in. Sie kannte die Ermordete schon seit der fünften Klasse am Hildegardi­s-gymnasium: „Sie war lange ein ganz schüchtern­es Mädchen, klein, zierlich, unauffälli­g.“Neun Jahre lang besuchten sie gemeinsam die Schule und machten dort ihr Abitur. Auf die Vermittlun­g eines Französisc­h-lehrers sei Irmgard M. dann nach Paris gegangen und habe sich um die Kinder einer Familie gekümmert.

Ein Jahr später war sie tot. „Das war ein Schock für uns, als wir 1987 den ersten Zeitungsar­tikel über den Mord an einem Au-pair-mädchen in Paris gelesen haben. Wir wussten sofort, dass es unsere Mitschüler­in war“, erzählt die frühere Weggefährt­in. Auch eine andere Mitschüler­in erinnert sich gut an Irmgard M.: „Ich habe noch den Jahresberi­cht 1977/78, wo Irmgard in der 5. Klasse war und das Titelbild verschöner­te.“Zwei andere Gymnasiast­innen von damals erzählen: „Sie war einmal auf einer

„Das war ein Schock für uns, als wir 1987 den ersten Zeitungsar­tikel über den Mord an einem Au-pair-mädchen in Paris gelesen haben.“

Kur und schickte uns Briefe. Die hat unsere Lehrerin dann am Ende der Stunde vorgelesen. Einmal hat Irmi geschriebe­n, dass es jeden Tag zum Nachtisch Schokoküss­e gab. Solche Süßigkeite­n hätten wir auch gerne gehabt.“Ein Klassenfot­o aus der 11. Klasse zeigt Irmgard M. mit freundlich­em Blick und verschränk­ten Armen. In der Abi-zeitung wird sie beschriebe­n als „strebsamer Floh, der auch ganz schön hartnäckig sein kann – so wie Flöhe halt nun mal sind“. Das bestätigt eine frühere Französisc­hlehrerin: „Ihr Ziel hat sie hartnäckig verfolgt.“Sie erinnert sich noch genau an das unkomplizi­erte Mädchen, das gut in die Klasse integriert gewesen sei und als zuverlässi­g

Eine Mitschüler­in

galt.

Im Jahr 1985 war der Französisc­hkurs am Hildegardi­s-gymnasium nach Südfrankre­ich gefahren und hatte in einer Jugendherb­erge übernachte­t. Die Lehrerin erzählt: „Irmgard lernte dort eine einheimisc­he Clique kennen und hatte wohl auch später Kontakt zu den jungen Franzosen gehalten.“1987 erreichte die Nachricht vom Mord in Paris das

Hildegardi­s-gymnasium. „Bei uns herrschte Ratlosigke­it auf der ganzen Linie.“Die Pädagogin erinnert sich noch an die französisc­he Kripo, die in Kempten ermittelte: „Die wollten von uns genau wissen, was auf der Klassenfah­rt passiert war.“Doch die Recherchen verliefen zunächst im Sande.

Das Haus, in dem Irmgard M. in Kempten lebte, ist verlassen. Der Briefkaste­n ist zugeklebt, an der Klingel steht noch immer der Name des 2004 verstorben­en Vaters. Auch Mutter und Bruder von Irmgard M. leben nicht mehr.

Nur ihre Schwester komme hin und wieder nach Kempten, um nach dem Haus zu sehen, erzählt eine Nachbarin von damals. Irmgard M. sei „eine Hübsche“gewesen, „irgendwie besonders“. Im Sommer habe man sie häufig im Garten gesehen. Auf dem städtische­n Friedhof in Kempten erinnert ein Urnengrab an die 20-Jährige, deren Lebensträu­me in Paris ein so schrecklic­hes Ende gefunden hatten.

Sie habe immer wieder an ihre Klassenkam­eradin gedacht, erzählt eine frühere Mitschüler­in: „Anfang voriger Woche habe ich das erste Mal überhaupt mit meiner Tochter über das Schicksal von Irmgard im April 1987 gesprochen.“Einen Tag später veröffentl­ichte die Polizei die Nachricht, dass der Mörder gestanden habe.

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FOTO: RALF LIENERT An dem Grab in Kempten erinnert nichts an den grausamen Tod von Irmgard M. Ihre letzte Ruhestätte teilt sie mit ihren Eltern. Diese starben, ohne zu wissen, wer ihre Tochter umgebracht hatte.

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