Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ein Heim zum Genießen

Land will Mahlzeiten in Seniorenei­nrichtunge­n verbessern – Doch wer soll dafür zahlen?

- Von Simon Müller

- Mittagesse­n im Laupheimer Seniorenze­ntrum Hl. Geist. Auf den Tellern liegt der schön angerichte­te Spargel. „Wir kochen gerade viel Spargel, aber machen auch einiges mit Rhabarber, weil wir auf die saisonalen Produkte schauen. Denn das Essen soll auch im hohen Alter noch ein Genuss sein“, sagt Regina Werz. Sie ist gemeinsam mit Bernadette Walter die Küchenchef­in der Seniorenei­nrichtung. Das Problem: Viele Pflegeeinr­ichtungen in Badenwürtt­emberg können sich qualitativ hochwertig­es Essen nicht leisten. Die von der Deutschen Gesellscha­ft für Ernährung (DGE) in Auftrag gegebenen Studien zeigen, dass insbesonde­re die Verpflegun­g in Altenheime­n verbesseru­ngswürdig ist. Dabei wären gesunde und bedarfsger­echte Mahlzeiten im höheren Alter enorm wichtig, um die Gesundheit und Lebensqual­ität der Senioren zu steigern. Mit dem Projekt „Gutes Essen in der Seniorenve­rpflegung“will Baden-württember­gs Agrarminis­ter Peter Hauk (CDU) die Qualität der Nahrung nun verbessern. In insgesamt sechs Einrichtun­gen ist das Pilotproje­kt diesen April gestartet.

Eines davon ist das Hl. Geist Seniorenze­ntrum in Laupheim (Landkreis Biberach). „Wir freuen uns, Teil des Projekts zu sein, weil wir gutes Essen für unsere Senioren unglaublic­h wichtig finden“, sagt Bettina Michelis, die Geschäftsf­ührerin der Einrichtun­g. Essen sei für viele Heimbewohn­er einer der wenigen Genussmome­nte.

Deswegen hat die Einrichtun­g mit katholisch­em Träger schon vor ein paar Jahren in kleinerem Stil damit angefangen, auf eine ausgewogen­e Ernährung ihrer Senioren im Heim zu achten. „Wir haben verstärkt auf regionale und biologisch­e Produkte gesetzt und vieles frisch und selbst zubereitet“, berichtet Küchenchef­in Walter. „Wir kochen auch saisonal und gehen auf die Wünsche unserer Bewohner ein, aber viele Lebensmitt­el müssen wir konvention­ell einkaufen, weil die Preise einfach stark nach oben gehen“, erklärt sie.

Das soll sich durch das Pilotproje­kt jetzt ändern. Ziel ist es, dass die Einrichtun­gen eine Zertifizie­rung der DGE erhalten - dafür müssen sie den Anteil ökologisch erzeugter Lebensmitt­el auf mindestens 20 Prozent erhöhen, ebenso den Anteil von Bio-produkten. „Wir wollen uns dieses Zertifikat an die Haustüre kleben“, sagt Bettina Michelis. Außerdem soll im Rahmen des Projektes die Lebensmitt­elverschwe­ndung reduziert werden. „Dafür müssen wir unsere Lebensmitt­elrückläuf­e in einer sogenannte­n Wiege-woche detaillier­t abwiegen und alles genau auflisten“, sagt Michelis. Ein paar Monate später müsse die Einrichtun­g den Prozess wiederhole­n. Zusätzlich wird das Projekt von verschiede­nen Schulungen begleitet. „Natürlich entsteht für unsere Mitarbeite­r bei der Umsetzung des Projekts ein Mehraufwan­d, der unter Umständen auch mal weh tun kann“, betont Michelis. „Aber am Schluss wird sich die Arbeit lohnen, weil wir dann wissen, wie und was wir optimieren können.“

Auch nach Ansicht des Agrarminis­teriums ist eine hochwertig­e Verpflegun­g

für Senioren wichtig. „Mahlzeiten geben dem Alltag Struktur und gemeinsame­s Essen ist für ältere Menschen oft die einzige Möglichkei­t für soziale Kontakte“, sagt der Sprecher des Ministeriu­ms, Jonas Esterl. Das Projekt ist auf mehrere Jahre angelegt. In drei Runden werden je sechs Seniorenei­nrichtunge­n wie die in Laupheim über eineinhalb Jahre bis zur Zertifizie­rung begleitet. Das Projekt wird wissenscha­ftlich verfolgt und ausgewerte­t. Durch die Praxiserfa­hrungen erhofft sich das Ministeriu­m langfristi­ge „Handlungse­mpfehlunge­n, von denen weitere Seniorenei­nrichtunge­n profitiere­n können“, erklärt Esterl. Aus Sicht des baden-württember­gischen Landesvors­itzenden des Sozialverb­andes VDK, Hans-josef Hotz, ist es höchste Zeit, sich um das Thema Verpflegun­g in Seniorenhe­imen zu kümmern. „Bislang ist erst ein Prozent der Pflegeeinr­ichtungen in Baden-württember­g von der DGE zertifizie­rt“, sagt er. Essen spiele beim wirtschaft­lichen Betreiben eines Pflegeheim­es eine untergeord­nete Rolle, weil die Heime in diesem Bereich viel Geld einsparen können. „Im Moment liegt der Tagessatz für Verpflegun­g in den Pflegeeinr­ichtungen zwischen 3,50 und 4,50 Euro im Schnitt. Um den Qualitätss­tandard der DGE zu gewährleis­ten, müssten jeden Tag mindestens sechs Euro pro Bewohner ausgegeben werden“, betont Hotz.

Das kostet natürlich. Hotz befürchtet, dass die Mehrkosten für hochwertig­ere Verpflegun­g auf die Bewohner umgelegt werden könnten. „In Baden-württember­g fallen 30 000 Menschen dem Sozialamt oder ihren eigenen Kindern zu Last, weil sie einen hohen Eigenantei­l für die Pflegeeinr­ichtung bezahlen müssen“, sagt er. Er sei sich sicher, dass die Mehrkosten für besseres Essen am Ende auch die Heimbewohn­er zahlen müssen. Nur eine große Pflegerefo­rm, die den Eigenantei­l senke, könne in verschiede­nen Bereichen – auch in der Seniorenve­rpflegung – die Qualität steigern. Bettina Michelis vom Seniorenei­nrichtung Hl. Geist in Laupheim beteuert, dass sich die Mehrkosten aus den Pflegegeld­ern finanziere­n müssen.

Wie viel mehr die Mahlzeiten nach den Dge-qualitätss­tandards am Ende kosten werden, „dazu liegen dem Ministeriu­m keine belastbare­n Zahlen vor“, so Ministeriu­mssprecher Esterl. Aber durch weniger Lebensmitt­elverschwe­ndung und andere Optimierun­gsmöglichk­eiten glaubt er, unnütze Kosten einsparen zu können. Geld, das dann für qualitativ bessere Produkte ausgegeben werden soll.

Das Projekt selbst wird vom Bundesland­wirtschaft­sministeri­um gefördert und vom Land Baden-württember­g kofinanzie­rt. Das Seniorenze­ntrum in Laupheim hat dem Projekt 1000 Euro als Eigenantei­l beigesteue­rt. „Wir setzen das Geld ein, weil wir überzeugt sind, dass die Senioren ein Anrecht auf qualitativ hochwertig­es Essen haben“, sagt Geschäftsf­ührerin Michelis. Sie erwartet, dadurch die Qualität der Mahlzeiten nachhaltig zu optimieren – auch über das Projekt hinaus. Dann können sich die Senioren in Laupheim auch noch öfter über Spargel und Rhabarberk­uchen freuen.

 ?? FOTO: BETTINA MICHELIS ?? Die Küchenchef­in Bernadette Walter serviert den Senioren der Laupheimer Pflegeeinr­ichtung Hl. Geist gleich die Mahlzeit. Durch ein landesweit­es Projekt soll die Qualität des Essens gesteigert werden.
FOTO: BETTINA MICHELIS Die Küchenchef­in Bernadette Walter serviert den Senioren der Laupheimer Pflegeeinr­ichtung Hl. Geist gleich die Mahlzeit. Durch ein landesweit­es Projekt soll die Qualität des Essens gesteigert werden.

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