„Wir müssen die Welternährung sichern“
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir befürchtet, dass der Krieg in der Ukraine zu einem Desaster für die Versorgung Afrikas und des Nahen Ostens mit Weizen führen wird. In Deutschland will er die Fleischproduktion reformieren.
- Für Cem Özdemir läuft es derzeit rund. Ein Umfrageinstitut bescheinigte dem Bundeslandwirtschaftsminister jüngst, der drittbeliebteste Politiker des Landes zu sein – vor ihm nur zwei Grüne-parteifreunde, Robert Habeck und Annalena Baerbock. Özdemir hätte gerne zum Gespräch in sein Ministerium in Berlin geladen, aber er hat an diesem Tag einen Termin in Köln: die Eröffnung eines Symposiums des Kulturforums Türkei – Deutschland. Das passt nicht nur gut, weil er der erste Bundesminister mit Migrationshintergrund ist. Sondern auch, weil sich der Ultra-realo und überzeugte Pragmatiker auf vielen Feldern zu Hause fühlt. Özdemir war Außen-, Verkehrs- und Wirtschaftspolitiker, bevor er überraschend zum Minister für Ernährung und Landwirtschaft ernannt wurde. Im Videocall wird deutlich: Özdemir ist jetzt zwar auch Agrarpolitiker – aber eben nicht nur.
Herr Özdemir, auf dem Stuttgarter Treffen mit Ihren Kollegen aus den G7-staaten am Wochenende wird auch der ukrainische Minister Mykola Solskyi zu Gast sein. Was können die G7 tun, um die Versorgungslage in dem Land zu verbessern?
Der Krieg des russischen Aggressors Putin muss enden, das ist das Ziel Nummer eins. Deshalb werden die G7-länder unter deutscher Präsidentschaft ein starkes Zeichen der Solidarität mit der Ukraine setzen. Und wir müssen Verantwortung für die Gleichzeitigkeit der Krisen übernehmen. Die Klimakrise verschärft sich rasant und hat die Versorgung schon vor dem Krieg sehr schwierig gemacht.
Was stellen Sie sich konkret vor?
Die G7-staaten müssen alles dafür tun, dass Märkte für Getreide und Agrarprodukte offen bleiben. Das ist nicht so einfach: China hat volle Lager – und kauft weiter Weizen aus Russland auf, das den Weizen aus der Ukraine stiehlt. Indien prüft einen Exportstopp, weil dort große Ernteausfälle drohen. Temperaturen von über 60 Grad am Boden – die Klimakrise hat dort apokalyptische Folgen. Umso wichtiger ist die klare Haltung der G7: Kein Protektionismus, Märkte offenhalten, internationale Zusammenarbeit.
Gibt es Hinweise, dass China das Horten aufgibt?
In Stuttgart wird der Chef der FAO, das ist die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen, anwesend sein, der ja aus China stammt. Wir werden ihm deutlich machen, dass auch die Volksrepublik ihren Beitrag leisten muss, um aus der globalen Krise zu kommen – und dafür ist es wichtig, dass alle Länder zunächst einmal Transparenz über ihre Weizenbestände herstellen.
Wie weit sind Sie bei dem Versuch, der Ukraine zu helfen, dass Vorräte aus dem Land gebracht werden können?
Mit Blick auf den sich global verschärfenden Hunger muss dies ein Projekt der internationalen Staatengemeinschaft mit Top-priorität sein! Bisher wurde der ukrainische Weizen zu 95 Prozent über die Häfen exportiert, die nun von Russland blockiert sind. Wir brauchen schnell leistungsfähige Alternativen. Und wir müssen verhindern, dass Russland die Schwarzmeerküste auch landseitig erobert und die Ukraine so dauerhaft vom Seeweg abschneidet.
Was wäre die Folge?
Es wäre ein Desaster, wenn der Kreml die Weizenversorgung weiter Teile Afrikas und des Nahen Ostens kontrolliert. Allein das Welternährungsprogramm bezieht die Hälfte seines Weizens aus der Ukraine.
Wenn das wegbricht, ist das für viele Staaten dramatisch und neue Konflikte sind programmiert. Destabilisierung ist in Putins Interesse. Wir müssen der Ukraine helfen, den Aggressor zurückzuschlagen, damit der Krieg endet. Wir müssen die Welternährung sichern. Dazu koordiniert mein Haus in der Bundesregierung auch die Taskforce „Ernährungskrise“.
Worum geht es dabei?
Ich habe ein Trio mit Auswärtigem Amt und Entwicklungsministerium initiiert, damit wir humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit mit der Expertise der Land- und Ernährungswirtschaft zusammenführen. Wir bündeln Wissen und entwickeln Pläne für die weltweite Ernährungssicherung. Gerade wird ein Zielkatalog für das Treffen der G7staatsund Regierungschefs in Elmau erarbeitet.
Was kann Deutschland tun, um mehr Weizen zu produzieren?
Im Rahmen der neuen GAP – der europäischen Agrarpolitik ab 2023 – ist vorgesehen, dass bestimmte Fruchtfolgen eingehalten werden müssen. Das bedeutet, dass der Anbau von Weizen auf Weizen schon bei der diesjährigen Herbstaussaat nicht mehr möglich wäre. Ich verhandele nun mit der Eu-kommission darüber, diese Regelung zurückzustellen. Damit könnten unsere Bauern mehr
Weizen produzieren. Und wir müssten nicht an die wenigen Flächen für den Artenschutz ran, wie es manche vorschlagen. Denn sind diese Flächen erst mal zerstört, gibt es auch nichts mehr zu schützen.
Die Welthungerhilfe rechnet vor, dass 320 Millionen Menschen ernährt werden könnten, wenn die USA auf Biosprit, den sie aus Mais und Getreide gewinnen, verzichten würden.
Es ist immer einfach, für andere Buchungen zu machen. Aber ja, ich finde das auch falsch. Deutschland sollte deshalb mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn wir die Menge, die wir bisher in den Tank leiten, halbieren, würden wir schon einen Beitrag leisten. Und es würde meine Verhandlungsposition
gegenüber meinem Us-kollegen erheblich verbessern, wenn ich beim G7-gipfel sagen kann: Deutschland geht in Vorleistung.
Dafür müssten Sie es erst einmal in der eigenen Koalition durchbekommen. Die FDP hat sich klar gegen eine Reduzierung des Biospritanteils ausgesprochen.
Ich glaube, dass ich die Vernunft auf meiner Seite habe. Für das G7-treffen habe ich das als Dreiklang formuliert: Klimaschutz, Ernährungssicherung, Frieden. Ich lade alle und insbesondere die Länderkollegen von der Union ein, eine Koalition der Vernunft zu bilden – gegen das parteipolitische Klein-klein. Als ein solches habe ich den Streit um die ökologischen Vorrangflächen, die wir für das Fortbestehen der Artenvielfalt brauchen, verstanden. Schwamm drüber. Jetzt reden wir über die Zukunft.
Wie kann man sich die Halbierung des Biosprits konkret vorstellen? Statt sieben nur noch dreieinhalb Prozent Biodiesel im Diesel, nur noch zweieinhalb Prozent Bioethanol im Super – und was passiert mit E10?
Die FDP sieht das kritisch. Aber ich sage allen, die das ablehnen: Sie müssen dann überzeugende Vorschläge machen, wie wir unseren Beitrag zur Ernährungssicherung leisten können, ohne Klimakrise und Artensterben zu befeuern. Ich komme bekanntermaßen aus dem Ländle. Da müssen die Dinge praktisch und umsetzbar sein.
Aber die Zeit läuft Ihnen doch davon. An ganz vielen Baustellen müsste etwas gedreht werden – und das in kurzer Zeit und gegen politischen Widerstand.
In der vergangenen Legislaturperiode wäre vieles einfacher gewesen. Da hatten wir keine Inflation, sprudelnde Steuereinnahmen und die Borchert-kommission hat zur Zukunft der Tierhaltung einen Konsens unter den verschiedensten Interessensgruppen erzielt. Das Problem war nur: Es gab den politischen Willen nicht, das umzusetzen. Jetzt haben wir eine Koalitionsvereinbarung, die die Landwirtschaft nachhaltig und krisenfest aufstellen will. Aber der Krieg in der Ukraine und seine Folgen führen dazu, dass einige wieder von dem gefundenen Kompromiss abweichen wollen. Die Zeit läuft uns davon. Jeden Tag geben Landwirte auf. Wenn man über das Höfesterben spricht, sind das erst einmal Zahlen. Für mich stehen Schicksale dahinter.
Sie haben gesagt, weniger Fleisch zu essen sei ein Beitrag gegen Putin. Zur Wahrheit gehört aber, dass sich die Tierbestände kurzfristig nicht reduzieren lassen – ein Schwein ist vier Monate lang trächtig, ein Rind zehn. Müssen Sie sich da nicht den Vorwurf gefallen lassen, den Krieg zu instrumentalisieren?
Zunächst einmal muss man sich überlegen: Warum diskutieren wir überhaupt über die Tierhaltung? Die Diskussion führen wir ja schon seit vielen Jahren. Dabei geht der Fleischkonsum kontinuierlich zurück, die Industrie setzt immer mehr auf vegetarische Ersatzprodukte – das bin ja nicht ich. Vielleicht ist es eine gewisse Ironie der Geschichte, dass es einen grünen Vegetarier braucht, um der deutschen Tierhaltung eine Zukunft zu geben. Ich bin einfach ehrlich, viele andere haben den Menschen Quatsch erzählt, dass alles so bleiben könne, wie es ist. Die Bilanz dieser Haltung ist: Zwischen 2010 und 2020 hat fast die Hälfte der Schweine haltenden Betriebe aufgegeben. Die Tierbestände sind indes nur um fünf Prozent zurückgegangen. Weniger Betriebe halten nun also mehr Schweine. Das ist doch kein nachhaltiges System, sondern ein krankes. Ich möchte es heilen – und das geht nur mit mehr Nachhaltigkeit.
Welche Lösung folgt denn aus der Problemanalyse?
Weniger Tiere, die mehr Platz haben. Dafür brauchen wir ein Finanzierungsmodell, das die Ausfälle der Bauern absichert. Damit geben wir nicht nur eine verlässliche Perspektive, sondern stärken auch Klimaund Umweltschutz. Es ist doch phänomenal, dass man mit wenig Geld so viel erreichen kann. Die Rendite für Klimaschutz, Biodiversität, Tierschutz und die Landwirte ist in keinem Bereich so gut wie in meinem. Es setzt allerdings voraus, dass wir den Fleischkonsum weiter reduziert bekommen, das muss synchron gehen. Denn sonst kommt das Fleisch einfach von woanders her, wo die Haltung schlechter ist. Der Fleischkonsum ist auch für unsere Gesundheit relevant. Empfohlen sind pro Woche maximal 300 bis 600 Gramm Fleisch, Männer essen im Schnitt ein Kilo. Die Frauen sind da mit 600 Gramm schlauer.
Was empfinden Sie als vegetarischer, grüner Agrarminister, wenn der Fleischpreis nach oben geht?
Natürlich macht mir die Preisentwicklung Sorgen. Ich sage aber auch, dass es nicht gelingen wird, alle Folgen des Krieges ungeschehen zu machen. Meine Vorschläge, was wir gegen die Inflation tun können, liegen allerdings auf dem Tisch. Ich stehe hinter dem Entlastungspaket, das wir beschlossen haben, aber: Wenn die Preise auf dem hohen Niveau bleiben oder weiter steigen, müssen wir weitere Maßnahmen treffen. Gerade um denen, bei denen es besonders knapp ist, helfen zu können.
Gehen Sie eigentlich selbst einkaufen?
Wenn ich Höfe besichtige und unterwegs bin, kaufe ich auch direkt ein, weil ich sonst nicht dazu komme. Neulich habe ich bei einer Bäckereibesichtigung gleich noch Brot gekauft. Meine Familie gibt mir immer Aufträge, was ich einkaufen soll. Das ist das Schöne an meinem Beruf: Ich bin nah beim Produkt.