Geldhaus ING schafft Negativzinsen weitgehend ab
Entscheidung von Deutschlands größter Direktbank lässt Hoffnung auf ein Ende der Verwahrentgelte wachsen
- Ein Ende der Negativzinsen auf Giro- oder Tagesgeldkonten ist in Sicht. Denn mit der ING hat Deutschlands größte Direktbank angekündigt, die sogenannten Verwahrentgelte für die meisten ihrer Kunden abzuschaffen. Das macht sie, indem sie die Freibeträge, für die keine Verwahrentgelte fällig werden, deutlich in die Höhe schraubt. Anfang Juli an steigt diese Grenze auf 500 000 Euro.
Nach Angaben der Bank entfallen dann die Negativzinsen für 99,9 Prozent der Kunden. „Das ist ganz klar eine Marketing-geschichte“, sagte Max Herbst von der FMH Finanzberatung der „Schwäbischen Zeitung“in Frankfurt. „Die wollen Vorreiter sein, nach dem Motto: Wir sind die Guten und Braven, die den Kunden zu Liebe auf Einnahmen verzichten.“
Mit ihrer Entscheidung zielt die ING mindestens darauf ab, Kunden bei der Stange zu halten. Denn auf Grund der Verwahrentgelte haben bereits Verbraucher die Bank gewechselt, andererseits haben Banken auch schon Kunden gekündigt oder mit Kündigungen gedroht. „Die ING Deutschland erwartet, durch die Erhöhung der Freibeträge insbesondere auch die Kunden zu überzeugen, die den Allgemeinen Geschäftsbedingungen inklusive Verwahrentgelt bisher noch nicht zugestimmt haben“, schreibt die Bank in ihrer Mitteilung. So könne das Geldhaus weniger Kunden kündigen als zuletzt geplant.
Der neue Freibetrag in Höhe von 500 000 Euro vom 1. Juli an fällt zeitlich auf das Datum, von dem an die Europäische Zentralbank (EZB) weitere Schritte der Normalisierung ihrer Geldpolitik für möglich hält. So hatte Ezb-chefin Christine Lagarde nach der vergangenen zinspolitischen Sitzung des Ezb-rates in Frankfurt eine mögliche Anhebung der Zinsen ab dem dritten Quartal in Aussicht gestellt. Viele Beobachter rechnen auch damit, dass vor oder mit dem Anheben des Leitzinses auch der negative Einlagesatz für Banken abgeschafft wird.
Ab 2014 war der Zins für Banken, die Gelder bei der EZB parken, in den negativen Bereich abgetaucht, seit 2019 liegt er bei minus 0,5 Prozent. Daraufhin sind mehr und mehr Banken dazu übergegangen, diese Strafzinsen in Form von sogenannten Verwahrentgelten an ihre Kunden weiterzugeben. „Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass die Banken damit ihren Kunden andere Anlagen wie Investmentfonds empfehlen konnten und wollten, denn daran können sie in Form von Provisionen verdienen“, meint Herbst.
Jedenfalls gibt es nun seit zwei Wochen bereits den Trend, die Freibeträge wieder zu erhöhen – und damit vermehrt Kunden von den Verwahrentgelten auszunehmen. „In den vergangenen zwei Wochen haben wir neben der ING noch vier weitere Banken gesehen, die Freibeträge erhöht haben“, sagte Ralph Wefer der „Schwäbischen Zeitung“. Der Sprecher des Vergleichsportals Verivox schränkte aber auch ein: „Im selben Zeitraum haben auch weitere Banken Negativzinsen eingeführt oder die Konditionen verschärft. Einen eindeutigen Trend zur Entspannung haben wir bislang zumindest noch nicht gesehen“.
Das könnte sich nach Ansicht von Marktbeobachtern wie Wefer aber nun ändern. Denn mit der ING hat sich eine große Bank mit rund neun
Millionen Kunden positioniert. Das dürfte den Druck auf andere Banken verschärfen, ebenfalls solche Schritte zu gehen. „Es ist gut möglich, dass wir in den kommenden Tagen und Wochen weitere Banken sehen werden, die nachziehen – und ebenfalls die Freibeträge anheben“. Spätestens aber, wenn die EZB die Zinsen anhebt, werden andere Banken die Freibeträge anheben oder Verwahrentgelte ganz abschaffen, zumindest haben das viele von ihnen angekündigt.
Dass die Notenbank ihre derzeit noch sehr lockere Geldpolitik zunehmend normalisieren wird, gilt als ausgemacht. Denn damit könnte sie versuchen, der aktuell sehr hohen Inflation im Euroraum entgegenzusteuern. Im April hat die Preisteuerung einen neuen Rekord von 7,5 Prozent erreicht. Zusammen mit den Verwahrentgelten bei Banken schwindet daher das Geld und die Kaufkraft von Sparern umso schneller.
Für Bauherren oder Hauskäufer allerdings sind das eher schlechte Nachrichten. Denn mit steigenden Zinsen, die man an den Anleihemärkten nun schon seit Wochen beobachten kann, steigen auch die Bauund Kreditzinsen für die Verwirklichung des Traumes der eigenen vier Wände. „Im Bereich der Baufinanzierung haben wir die Situation, dass einerseits jetzt die Zinsen steigen. Andererseits sehen wir aber nicht, dass die Preise signifikant sinken. Für Menschen, die sich ein Eigenheim finanzieren wollen, ist die Situation im Moment besonders angespannt“, sagt Ralph Wefer. Die Lage bleibt für viele Menschen also schwierig, auch wenn der Wegfall von Negativzinsen ein Schritt zurück zur wirtschaftlichen Normalität darstellen würde.