Schwäbische Zeitung (Wangen)

Queen’s Speech ohne Königin

Erstmals in der Regentscha­ft von Elizabeth II. hält Prinz Charles die Thronrede

- Von Christoph Meyer

(dpa) - Beginn einer neuen Ära: Der britische Thronfolge­r Prinz Charles (73) hat am Dienstag erstmals die Regierungs­erklärung im Parlament in London verlesen. Mit der „Queen’s Speech“wird traditione­ll eine neue Sitzungspe­riode von Unter- und Oberhaus eingeläute­t. Die Zeremonie wird mit großem Pomp begangen und zählt zu den wichtigste­n konstituti­onellen Aufgaben der britischen Monarchie.

Die 96 Jahre alte Königin hatte zuvor wegen gesundheit­licher Probleme kurzfristi­g absagen müssen. „Die Queen leidet weiterhin unter zeitweisen Mobilitäts­problemen und hat sich widerstreb­end dazu entschloss­en, nicht an dem State Opening teilzunehm­en“, hatte ein Palastspre­cher am Vorabend mitgeteilt.

Die Parlaments­eröffnung verpasste die Queen in ihrer 70 Jahre währenden Regentscha­ft bislang nur zweimal – jeweils, weil sie schwanger war, also zuletzt vor fast 60 Jahren. Noch Ende vergangene­r Woche betonte ein Palastspre­cher, die Queen habe fest vor, die Rede persönlich zu verlesen. Viele in Westminste­r glauben jedoch, dass die inzwischen gebrechlic­he Monarchin die Aufgabe auch in Zukunft ihrem Sohn überlassen wird. In britischen Medien war bereits vom Beginn einer faktischen Prinzregen­tschaft unter Charles die Rede.

Der Thronfolge­r reiste am Dienstag, wie es für seine Mutter geplant war, im Auto an. Die Queen hatte zuletzt auf die traditione­lle Fahrt in der unbequemen, aber prachtvoll­en Kutsche verzichtet. Charles mied die übliche Formulieru­ng „meine Regierung“und sprach stattdesse­n von „der Regierung Ihrer Majestät“.

Begleitet wurde der Prince of Wales, der eine Admiralsun­iform trug, von seiner Frau Herzogin Camilla (74) und seinem ältesten Sohn Prinz William (39). Neben Charles, der auf dem prachtvoll­en Thron Platz genommen hatte, war auf einem kleinen Tisch die glitzernde Staatskron­e – Imperial State Crown genannt – platziert. Sie hatte auch seine Mutter zuletzt nicht mehr aufgesetzt. Sie sei so schwer, dass „sie einem das Genick brechen“könne, hatte die Queen vor wenigen Jahren einmal in einer Bbc-dokumentat­ion gescherzt.

Zum State Opening of Parliament versammeln sich die Mitglieder beider Kammern des Parlaments – Abgeordnet­e und Lords – sowie Würdenträg­er, Diplomaten und Gäste im Oberhaus. Zu dem farbenfroh­en Auftritt tragen die roten Roben mit weißem Fellkragen der Lords, die schulterla­ngen Perücken von Richtern und die bunten Uniformen der Herolde bei. Der konservati­ve Premiermin­ister Boris Johnson und Opposition­schef Keir Starmer von der Labour-partei verfolgten den Vortrag schweigend vom hinteren Teil des Plenarsaal­s im Oberhaus.

Die britische Königsfami­lie bleibt bei politische­n Fragen neutral. Es ist nur ein symbolisch­er Akt, dass die Regierungs­erklärung vom Monarchen als Staatsober­haupt verlesen wird. Geplant sind demnach unter anderem Gesetze, um die Wirtschaft anzukurbel­n und damit die Folgen steigender Lebenshalt­ungskosten abzufedern, die Klimakrise zu bewältigen und Großbritan­nien weiter vom Orbit der Europäisch­en Union zu entfernen.

Mit Spannung wurde auch erwartet, ob die Johnson-regierung ein Gesetz ankündigen würde, um die Abmachunge­n zum Sonderstat­us für Nordirland im Brexit-vetrag zu unterlaufe­n. Doch das gab es nicht, stattdesse­n nur Andeutunge­n. Trotzdem gilt es als möglich, dass London im Streit mit Brüssel um das sogenannte Nordirland-protokoll schon bald erneut Öl ins Feuer gießen wird. Die Debatte verhindert derzeit die Bildung einer Regionalre­gierung in der ehemaligen Bürgerkrie­gsprovinz.

Zu den kuriosen Ritualen um das State Opening gehört, dass Wachen zu Beginn mit Lampen in den Keller des Oberhauses hinabsteig­en, um nachzusehe­n, ob dort jemand Schießpulv­er versteckt hat. Damit wird an den „Gunpowder Plot“des katholisch­en Verschwöre­rs Guy Fawkes erinnert, der im Jahr 1605 versucht haben soll, den protestant­ischen König Charles I. beim State Opening in die Luft zu jagen.

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FOTO: A. GRANT/AFP Der britische Thronfolge­r Prinz Charles bei der Regierungs­erklärung im Parlament in London.

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