Das Kreuz mit den Brüsten
Die Stuttgarter Grünen haben eine Debatte um Frauendiskriminierung an Schausteller-buden losgetreten. Im Visier sind angeblich aufreizende Malereien.
- Der vermeintliche Skandal ums angebliche Herabsetzen von Frauen kommt in diversen Bildern daher. Dafür haben Unbekannte fleißig zahlreiche Schaustellerbuden auf dem Stuttgarter Frühlingsfest fotografiert und die Aufnahmen den örtlichen Grünen zugespielt. Mindestens neun Geschäfte waren betroffen. Eines der Bilder zeigt Malereien im Comic-stil, bei dem folgende Szene zu sehen ist. Ein Gebirgsbayer ist beim Fensterln, um zur Angebeteten zu kommen. Die Blondine lässt ihn verzückt in den weiten Ausschnitt ihres Nachthemdes fassen. Er wirkt begeistert.
Ist dies nun sexistisch? Ist dies diskriminierend? Um die letzte Frage zu beantworten: Die Darstellung könnte durchaus herabsetzend sein. Nur für wen? Für die Frau? Oder eventuell für bayerische Älpler, die als lüsterne, triebgesteuerte Dumpfbacken dargestellt werden? Für Betroffene sicher unlustig. In diese Richtung geht die ausgebrochene öffentliche Diskussion aber nicht. Was erwartbar war.
Mit dem eher groben Gespür fürs Populäre hat dann auch die „Bild“jene Affäre auf einen Nenner gebracht: „Busen-zoff auf Volksfest“. Feiner ausgedrückt: Thema ist die Darstellung von Frauen als Sexual-objekt.
Zu den großen Trommlern der anvisierten Volksaufklärung haben sich im Moment die besagten Grünen aus der baden-württembergischen Landeshauptstadt gemausert – übrigens anfangs weitaus staatstragender und neutraler als es die spätere Diskussion vermuten lässt. Dazu Stadträtin Jitka Sklenárová: „Die Grünen-fraktion kämpft seit Jahren zusammen mit einer großen demokratischen Mehrheit im Rat gegen Diskriminierung und Ausgrenzung jeglicher Art.“
Nun dürften teilweise von weither angereiste Schausteller wenig vertraut mit Stuttgarter Stadtpolitik sein. Dies wird bereits bei der Verantwortlichen für die Fensterl-szene deutlich: Susanne Eichel. Sie betreibt die Gaudi-alm, eine Bude, bei der zahlende Kundschaft mit Bällen Blechbüchsen vom Regal wirft. Konsterniert hat sich die Frau mit den Worten an die Öffentlichkeit gewandt: „Ich habe diese Motive selbst entworfen. Die Lackierung hat 15 000 Euro gekostet.“
Mark Roschmann, Vorsitzender des Schaustellerverbandes Südwest Stuttgart, sekundiert ihr. Die Vorwürfe seien praktisch aus dem Nichts gekommen: „Wir waren überrascht, da dies nie jemanden gestört hat.“Bei den umstrittenen Darstellungen gehe es um Malereien, die im Schnitt 15 bis 20 Jahre alt seien.
Warum stören sich aber gerade jetzt die Stuttgarter Grünen an solchen Bildern? Letztlich haben sie aus ihrer Sicht nur folgerichtig reagiert. Die ganze Aufgeregtheit geht dabei auf das „Historische Volksfest“2018 zurück. Mit ihm sollte zum 200-jährige Bestehen der Cannstatter Wasen praktisch noch eine weitere Veranstaltung Auftrieb bringen. Vorbild ist die „Alte Wiesn“in München, eine dortige Entdeckung zur weiteren Gewinnsteigerung des zentralen bayerischen Volksfestes.
Im Nachklapp gab es aber offenbar ein Problem mit mindestens einer Bude. Die dortige Darstellung anderer Völker war historisch – konnte damit aus heutiger Sichtweise indes als rassistisch begriffen werden. In der Tat sah dies 2019 der gesamte Stuttgarter Gemeinderat so. Laut einem einstimmigen Beschluss sollten künftig diskriminierende Abbildungen untersagt sein. Es konnte jedoch keine Probe aufs Exempel gemacht werden, weil die kommenden Jahre die Corona-maßnahmen die Veranstaltungen ausfallen ließen.
Erst das Frühlingsfest bot die Möglichkeit, sich möglicher Diskriminierungen anzunehmen. In logischer Konsequenz hat die Gemeinderatsfraktion im Stadtparlament den Antrag „auf sofortige Entfernung aller diskriminierender Abbildungen an den Ständen“gestellt. Fürs Erste ohne durchgreifende Folgen, weil zu kurzfristig.
Inzwischen ist das Fest auch beendet. Doch die Debatte wurde gestartet. Nähme man sie in voller Empörung bierernst, müsste natürlich auch der lüsterne Bayer weg, könnte landläufig gemeint werden. Aber er fällt bei der Diskussion nicht in die Zielgruppe diskriminierter Menschen, sondern wird der Folklore zugeordnet. Anders dagegen die Scheich-darstellungen an einer Bude mit einem Orientthema – auch fotografisch dokumentiert.
Zuerst darauf gestoßen sind Mitglieder des Internationalen Ausschusses, einem Gremium der Stadt Stuttgart. Ihre Bewertung: eindeutig rassistisch. Ist man Laie in der Bewertung solcher Dinge und blickt arglos darauf, unterscheiden sich die Figuren nicht von zig ähnlichen Zeichentrick-darstellungen im täglichen Kinderprogramm des Fernsehens. Dies macht die Einordnung zwar weder besser noch schlechter, verweist aber auf die Schwierigkeit der Diskussion.
Zum Sexismus lässt sich eine vergleichbare Erfahrung im Erwachsenen-tv machen. Erfahrene Fernsehzuschauer wissen, welcher der Kanal zur Wahl schlüpfriger Darstellungen ist. Dort findet sich eine wachsende Zahl von Liebschaften-shows, in denen sich aufreizende Mädels strammen Burschen hingeben dürfen. Bildungsbürgerlich gesehen dürfte die Grenze zum schlechten Geschmack weit überschritten sein. Aber wie wertet man in diesem Zusammenhang Sexismus?
Die Stuttgarter Grüne Sklenárová meint dazu: „Es macht einen großen Unterschied, ob Frauen sexualisiert werden und als Deko-objekte dienen, wenn für etwas anderes geworben wird – oder ob sie selbst bestimmen, wie sie sich zeigen möchten. Frauen haben das Recht darauf, sich so zu kleiden und zu zeigen, wie sie es möchten, ohne dabei von der Gesellschaft sexualisiert zu werden.“
Aus Reihen der Grünen wird des Weiteren befürchtet, dass Erotik-bilder Übergriffe auf Frauen verstärken könnten. Beim Blick auf die weit jenseits einer wirklichen körperlichen Existenz angesiedelten Buden-malereien schwer vorstellbar – zumal schon Dessous-werbung in Einkaufsstraßen oft aufreizender daherkommt. So verzeichnet die Polizei nach rund 1,3 Millionen Besuchern des Frühlingsfestes noch eine einzige laufende Ermittlung zu sexueller Belästigung. Normale Wochenendabende im Stuttgarter Zentrum sind da laut Sicherheitsbehörden strafrechtlich relevanter.
Dennoch bleibt die Frage nach dem Umgang mit den Schaustellermalereien erhalten. So bekommen die Grünen naheliegende Hilfe von der Landesarbeitsgemeinschaft der Kommunalen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten: „Solche Darstellungen machen Frauen zur bloßen Ware. Dies kann doch wohl niemand wollen.“
Interessanterweise wagt sich Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper in dieser ganzen Diskussion weit vor – und zwar in eine andere Richtung: „Der Gemeinderat sollte keine Zensurbehörde werden“, verlautbart der Cdu-politiker. Zudem sorgt er sich um die wirtschaftliche Wohlfahrt der Schausteller. Sie stünden nach zwei Jahren der Pandemie in einem wirtschaftlichen Überlebenskampf und müssten „ihre Kräfte auf existenzielle Themen konzentrieren“.
Speziell die Grünen zeigten sich über Noppers Standpunkte wenig amüsiert. Aber ihrem politischen Interesse kommt wenigstens entgegen, dass die Diskriminierungsdebatte weitere Kreise zieht. Zuerst sprangen ihre Gemeinderatskollegen in Mannheim auf diesen Zug auf. Sie entdeckten ebenso angeblich anrüchige naive Malereien auf der Mannheimer Maimess. „Die Stadt muss dafür sorgen, dass zukünftig solche Darstellungen nicht zugelassen und vertraglich ausgeschlossen werden“, forderte Angela Wendt, frauenpolitische Sprecherin der Grünen im dortigen Gemeinderat
Als Nächstes war Anfang der Woche der ausgedehnte Freizeitpark Tripsdrill dran, im Südwesten der größte nach dem Ruster Europapark. Geografisch lässt er sich grob zwischen Stuttgart und Mannheim verorten. Hier meldete sich der Bielefelder Sozialpsychologe und Sexismusforscher Gerd Bohner über Medien zu Wort. Ihn stört der Spruch unter einer biblischen Adam-und-evadarstellung. „Ohn weib ist keyn freud gantz“, steht dort.
Nun hat Tripsdrill tatsächlich eine spezielle Geschichte beim Umgang mit Frauen. Sie beruht auf der Sage von einer Mühle, in der alte Frauen wieder jung gemahlen wurden. 1929 baute schließlich der Wirt einer örtlichen Weinschänke eine hochaufragende Windmühle als Erlebnisstätte, die innen eine lange
Rutsche hat. Sausen Frauen hinab, werden sie wieder jung und attraktiv, lautet das Versprechen.
Wer vor Jahrzehnten in jener Region aufwuchs, wird sich noch an traditionell unschuldige Versuche erinnern, die Oma über die Rutsche zu schicken. Sie ist aber zum kindlichen Erstaunen immer gleich alt rausgekommen. Aber dies sei nur nebenbei erwähnt.
Die Altweibermühle gibt es immer noch als Kern einer modernen Vergnügungslandschaft. Doch in der ebenso nach wie vor vorhandenen Weinschänke haben sich die weinseligen Wand- und Trinksprüche geändert. Über die einst so beliebte Zeile „Alter Wein und junge Weiber, sind die besten Zeitvertreiber“ist tatsächlich die Zeit hinweggegangen. Sie dürfte höchstens noch im Kreis grauhaariger Viertelesschlotzer mit ihrer entfernten Erinnerung an die Jugend zu finden sein.
Womöglich beschreibt diese Entwicklung auch das Dilemma auf Volksfesten: Das eine oder andere mag einfach angestaubt oder aus der Zeit gefallen wirken. Betrachtet man etwa eine weitere auf dem Stuttgarter Frühlingsfest kritisierte Abbildung, liegt dies nahe. Zu sehen: eine Bauchtänzerin mit halb blankem Busen, passend zum Namen der Schießbude: 1001 Nacht. Das Bild soll gut 20 Jahre alt sein, atmet aber den Geist der Wirtschaftswunderjahre vor 50, 60 Jahren mit der Sehnsucht nach Exotischem.
Beklagt wurde aktuell, dass die Brustwarzen der Tänzerin zu sehen seien. Bekannt ist, dass so etwas in den sich prüde gebenden USA gar nicht geht. Dort wird ansonsten Moralverfall befürchtet. Aber hierzulande? Selbst Frauenrechtlerinnen demonstrieren gerne mal oben ohne. Vergangenes Jahr durfte dies etwa in Berlin bestaunt werden. Es gab eine Fahrraddemo mit dem Ziel, mehr Akzeptanz für nackte Brüste in der Öffentlichkeit zu schaffen. Motto: „No Nipple is free until all Nipples are free!“– „Keine Brustwarze ist frei, bis alle Brustwarzen frei sind!“
Für die Brustwarzen der Bauchtänzerin an der Rummel-bude hat die Freiheit der Brustwarzen nun ein Ende. Die Besitzerin Sabine Ernst hat der Frau kurzentschlossen einen üppigeren Büstenhalter aufgeklebt. Ihre verlautbarte Erklärung zu dieser Maßnahme: „Ich habe keine Lust auf lange Diskussionen.“