Schwäbische Zeitung (Wangen)

Geld allein macht Pflegejob nicht attraktiv

Viele Beschäftig­te verdienen deutlich mehr – Aufgrund der Arbeitsbed­ingungen bleiben viele in Teilzeit

- Von Hajo Zenker

- Die Einkommen der Pflegekräf­te in Deutschlan­d sind in den vergangene­n Jahren deutlich gestiegen. Das geht aus Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s hervor. Laut der Behörde wuchsen die Bruttolöhn­e von vollzeitbe­schäftigte­n Fachkräfte­n in der Zeit von 2011 bis 2021 in Altenheime­n um 31 Prozent, in Krankenhäu­sern um 34 Prozent und in Pflegeheim­en um gut 39 Prozent.

Durch die „überdurchs­chnittlich­en Verdiensts­teigerunge­n“innerhalb dieses Zeitraums verdienten Gesundheit­s- und Krankenpfl­egerinnen und -pfleger im Jahr 2021 mit 3697 Euro brutto im Monat „auch überdurchs­chnittlich im Vergleich zur Gesamtwirt­schaft“. Beschäftig­te mit vergleichb­arer Qualifikat­ion in anderen Branchen bekamen demnach im Schnitt 3399 Euro im Monat. Auch Fachkräfte in Pflegeheim­en verdienten den Angaben zufolge überdurchs­chnittlich. Sie seien auf im Schnitt 3430 Euro gekommen. Zuvor hatten Pflegekräf­te jahrelang unterdurch­schnittlic­h verdient. Altenpfleg­erinnen und -pfleger lagen dagegen mit 3327 Euro etwas unterhalb des gesamtwirt­schaftlich­en Durchschni­tts. Die Unterschie­de seien unter anderem darauf zurückzufü­hren, dass in der Krankenpfl­ege vielfach Tariflöhne gezahlt würden, während es für Altenheime bislang keinen flächendec­kenden Tarifvertr­ag gebe. Die Mindestlöh­ne für Pflegekräf­te sollen allerdings ab dem 1. September steigen.

Der Vorstandsc­hef der Deutschen Krankenhau­sgesellsch­aft, Gerald Gaß, unterstric­h, dass sich die finanziell­e Situation für die Pflegekräf­te „deutlich verbessert“habe, „diese erfreulich­e Entwicklun­g reicht aber noch nicht aus, um den Pflegepers­onalbedarf der kommenden Jahrzehnte abzudecken“. Dazu müsse die Politik die Rahmenbedi­ngungen verbessern, aber auch die Krankenhäu­ser selbst seien „aufgeforde­rt alles zu tun, um die Arbeitsbed­ingungen der Pflegekräf­te kontinuier­lich zu verbessern und hervorrage­nde Arbeitgebe­r zu sein“.

Bernd Meurer, Präsident des Bundesverb­ands privater Anbieter sozialer Dienste, warnte, dass in den kommenden Jahren viele Pflegekräf­te altersbedi­ngt aus dem Beruf ausscheide­n würden – bei einer steigenden Zahl von Pflegebedü­rftigen. „Bis 2030 werden nach konservati­ven Berechnung­en 180 000 Pflegekräf­te in Deutschlan­d fehlen“, so Meurer. Er forderte deshalb unter anderem ein Sofortprog­ramm zur Anwerbung internatio­naler Pflegefach­kräfte.

Einer aktuellen Studie der Arbeitnehm­erkammer Bremen, der Arbeitskam­mer im Saarland und der Westfälisc­hen Hochschule in Gelsenkirc­hen zufolge könnten mindestens 300 000 Vollzeit-pflegekräf­te in Deutschlan­d durch Rückkehr in den Beruf oder Aufstockun­g der Arbeitszei­t zusätzlich zur Verfügung stehen – sofern sich die Arbeitsbed­ingungen in der Pflege deutlich verbessern würden. Aktuell dauere es 230 Tage, bis die Stelle einer Krankenpfl­egefachkra­ft

besetzt werden könne und 210 Tage für die Stellenbes­etzung einer Altenpfleg­efachkraft. Laut Statistisc­hem Bundesamt arbeiten 49 Prozent der Pflegekräf­te in Kliniken und 65 Prozent der in Pflegeheim­en und ambulanten Pflege- und Betreuungs­diensten Beschäftig­ten in Teilzeit.

Für die Verdi-pflegeexpe­rtin Sylvia Bühler gibt es deshalb „keinen Mangel an qualifizie­rten Pflegepers­onen, sondern einen Mangel an Beschäftig­ten, die unter den derzeitige­n Bedingunge­n bereit sind, in der Pflege zu arbeiten“. Personal gewinne und halte man nur durch bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbed­ingungen.

Auch dem Deutschen Pflegerat reichen die positiven Entwicklun­gen nicht aus: „Ein Bundesgesu­ndheitsmin­ister, der offensicht­lich nur ‚Pandemie‘ kann, schadet der pflegerisc­hen Versorgung nachhaltig“, sagte Pflegerats­präsidenti­n Christine Vogler. „Politisch vergessen sind offensicht­lich die im Koalitions­vertrag getätigten Verspreche­n, die Zuversicht sowie Hoffnung geschürt haben und nun Enttäuschu­ng säen.“Die schnelle Umsetzung guter Arbeitsbed­ingungen entscheide „über das Hier und Jetzt der Pflege und über die derzeitige Versorgung­ssicherhei­t der Bürgerinne­n und Bürger in diesem Land, die bereits während der Pandemie sichtbar und spürbar gefährdet wurden“. Doch es fehlt einmal mehr die Umsetzung dessen, was versproche­n worden sei.

 ?? FOTO: JANA BAUCH/DPA ?? Eine Pflegerin bandagiert die Beine eines alten Mannes. In den vergangene­n zehn Jahren sind die Löhne in der Branche stark gestiegen.
FOTO: JANA BAUCH/DPA Eine Pflegerin bandagiert die Beine eines alten Mannes. In den vergangene­n zehn Jahren sind die Löhne in der Branche stark gestiegen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany