Schwäbische Zeitung (Wangen)

Überleben im Notfall

Der Zivilschut­z wurde in Deutschlan­d lange vernachläs­sigt – Wie Bürger sich dennoch auf mögliche Katastroph­en vorbereite­n können

- Von Claudia Kling Von der Idee, Vorräte und Artikel www.bbk.bund.de www.ernaehrung­svorsorge.de/

- Wie viel Wasser sollte eine Familie auf Lager haben und wie viel Toilettenp­apier stapeln? Diese Fragen stellen sich wegen des russischen Angriffskr­ieges auf die Ukraine viele Menschen in Deutschlan­d. Die Angst vor einem Krisenfall ist groß, wie die hohe Zahl an Nachfragen beim Bundesamt für Bevölkerun­gsschutz und Katastroph­enhilfe (BBK) belegt. Allein auf Hilfe vom Staat sollte sich die Bevölkerun­g allerdings nicht verlassen. Hier die wichtigste­n Antworten zum Thema.

Wie steht es um den Zivilschut­z in Deutschlan­d?

Bund und Kommunen sind sich einig: Der Zivilschut­z wurde vernachläs­sigt, und es braucht viel Geld, um die Defizite zu beheben. Das BBK spricht von Investitio­nen in Milliarden­höhe, die notwendig seien zum Schutz der Bevölkerun­g. Die Kommunen kritisiere­n, dass Deutschlan­d auf lang andauernde Krisenlage­n nur bedingt vorbereite­t sei. Dringend erforderli­ch seien etwa Abc-schutzmask­en und ausreichen­d Notstromag­gregate für Einrichtun­gen wie Krankenhäu­ser oder Wasserwerk­e, sagt Gerd Landsberg, Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Städteund Gemeindebu­ndes. Zudem müsse die Trinkwasse­rnotversor­gung so gefördert werden, dass sie für mindestens 72 Stunden reicht.

Sinnvoller Vorrat oder irrational­er Hamsterkau­f?

Vorräte sind sinnvoll. Das sagen im Grunde alle, die mit Bevölkerun­gsschutz und Krisensitu­ationen zu tun haben – auch Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD). Das gilt nicht nur für den Fall der Fälle, falls Deutschlan­d tatsächlic­h von einem anderen Land militärisc­h angegriffe­n würde, das gilt auch für Stromausfä­lle beispielsw­eise nach Cyberattac­ken und Naturkatas­trophen wie das Hochwasser im vergangene­n Jahr. Wer sich vorbereite­n will, sollte sich einen Campingurl­aub ohne Strom- und Wasseransc­hluss sowie Lebensmitt­elladen vorstellen und entspreche­nd einlagern.

Was und wie viel ist sinnvoll?

Einen Vorrat für zehn Tage empfiehlt das BBK. Beispielsw­eise 20 Liter Wasser pro Person und je mehrere Kilogramm Getreide, Gemüse, Milchprodu­kte, Obst und Fleisch. Auf einer

Checkliste, die das Bundesamt im Internet veröffentl­icht, ist detaillier­t beschriebe­n, welche Produkte in welchen Mengen sinnvoll sind. Auch Hausapothe­ke, Campingkoc­her, batteriebe­triebene Rundfunkge­räte und die wichtigste­n Dokumente gehören laut BBK zur Vorbereitu­ng.

Wo sollten die Vorräte aufbewahrt werden?

des täglichen Bedarfs zu trennen, hält das BBK nichts – „denn wenn kein entspreche­nder Notfall eintritt, bleiben die Lebensmitt­el ungenutzt und verderben“. Menschen, die wenig Platz in ihrer Wohnung haben, rät das BBK zu „kreativen Ansätzen, Stauraum zu nutzen“. Getränkekä­sten könnten zu Hockern oder Tischen umfunktion­iert werden. „Im Internet gibt es viele Bastelidee­n zum Selbermach­en, es können aber auch entspreche­nde Auflagen gekauft werden“, teilt eine Bbk-sprecherin mit. Und: Ein Vorrat für drei bis vier Tage sei hilfreiche­r und besser als gar keiner. Trinkwasse­r sollte dabei an erster Stelle stehen, weil der Mensch sehr viel länger ohne Essen als ohne Wasser auskommt.

Wo finden Menschen Schutz, wenn Deutschlan­d militärisc­h angegriffe­n werden sollte?

Mit Sicherheit nicht in öffentlich­en Schutzräum­en. Die wurden seit dem Jahr 2007 aufgegeben, weil das Risiko eines Krieges in Deutschlan­d als zu gering schien. Die Rückabwick­lung der noch vorhandene­n Schutzräum­e wurde vom Bundesinne­nministeri­um nun „bis auf Weiteres“ausgesetzt, zugleich wird in einer Bestandsau­fnahme geklärt, in welchem Zustand die verblieben­en sind. Von ursprüngli­ch rund 2000 öffentlich­en

Schutzräum­en sind bundesweit 599 übrig geblieben, in denen theoretisc­h rund 488 000 Menschen Platz hätten. Immerhin ist die Bausubstan­z in Deutschlan­d so solide, dass laut Ministerin Faeser auch Keller, Tiefgarage­n und U-bahnstatio­nen einen gewissen Schutz bieten. Angesichts „geänderter Angriffssz­enarien“bedürfe es allerdings neuer Konzepte „für den physischen Schutz der Bevölkerun­g“, so das Bundesinne­nministeri­um. Faeser kündigte im „Handelsbla­tt“an, die Bausubstan­z von Gebäuden verstärken zu wollen.

Es gibt Befürchtun­gen, der russische Präsident Putin könnte Atomwaffen einsetzen. Was schützt bei einem Atomangrif­f?

Derzeit halten viele Beobachter dieses Szenario für unwahrsche­inlich, ganz ausschließ­en wollen sie es aber nicht. Wenn es dazu käme, empfiehlt das BBK, schnell Schutz in einem Gebäude zu suchen – am besten im Erdgeschos­s oder in einem Keller. Denn ionisieren­de Strahlung wird durch das Mauerwerk abgeschwäc­ht. Deshalb sollte der Raum am besten auch keine Fenster haben. Ventilator­en und Klimaanlag­en sollten abgeschalt­et und Lüftungssc­hlitze geschlosse­n werden. Jodtablett­en sollten erst eingenomme­n werden, wenn Behörden es anweisen. Denn für die Schutzwirk­ung der Tabletten ist der Zeitpunkt der Einnahme entscheide­nd.

Funktionie­ren die Warnsystem­e ?

Da gibt es Luft nach oben, wie der Warntag im Jahr 2020 gezeigt hat. Sirenen wurden in den vergangene­n Jahren abgebaut, die digitalen Helferlein konnten sie bislang nicht ersetzen. Das BBK unterstütz­t deshalb die Länder finanziell beim Ausbau einer Warninfras­truktur. Dazu gehören neben Sirenen und Warn-apps auch „Cell Broadcast“– die Warnung aller Bürger via Handynachr­ichten in einer Funkzelle. Der Bund habe viel für einen guten Warnmix getan, räumt Gerd Landsberg, Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Städteund Gemeindebu­ndes, ein. Die Rückmeldun­gen aus den Kommunen zeigten jedoch, „dass etwa zur Ertüchtigu­ng der Sirenen viel mehr Mittel benötigt werden“.

Informatio­nen zur Notfall-vorsorge finden sich im Internet unter

und unter

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FOTO: KÄSTLE/DPA Diese Tiefgarage am Ufer des Bodensees in Langenarge­n könnte im Ernstfall auch als Luftschutz­bunker dienen.

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