Deutliche Kritik an Klinik-gutachten und Zielen
Vor allem die Geburtshilfe steht im Brennpunkt – Entscheidung könnte später fallen
- Einerseits die Ergebnisse des Gutachtens, andererseits die klaren Bekenntnisse der Stadträte zum Erhalt des Westallgäu-klinikums mit möglichst wenigen Abstrichen: Auf diesen Nenner lässt sich der Charakter der Sondersitzung des Wangener Gemeinderats zur künftigen Struktur der Oberschwabenklinik (OSK) bringen. Dabei wurde auch deutlich: Es gibt Widerstand gegen den straffen Zeitplan der Kreisverwaltung. Die sieht eine Entscheidung am 31. Mai vor, gut drei Wochen nach Vorlage der Expertise des Hamburger Büros BAB am vergangenen Dienstag.
Welche Position beziehen Gutachter, Kreis und OSK?
Erneut kennzeichnete Meike Thun von BAB den Veränderungsbedarf mit dem zunehmenden Trend zu ambulanten Behandlungen und einer immer spezifizierteren Medizin sowie dem Fachkräftemangel bei Ärzten und Pflegepersonal. Vor diesem Hintergrund hatte das Institut eine Schließung des Krankenhauses in Bad Waldsee sowie der Wangener Geburtshilfe und eine abgespeckte Grund- und Regelversorgung in Wangen empfohlen. Dem hohen Defizit der OSK will man mit dem Abbau von Doppelstrukturen entgegentreten.
Bab-mitarbeiter Clemens Kuehlem unterfütterte dies mit der Perspektive hin zur Telemedizin, die „in der Fläche extrem wirksam sein wird“und mangelndem Rückenwind von Bund und Land für kleinere Krankenhäuser. Kreiskämmerer Franz Baur ergänzte: „Das Land investiert nur in Bauten, die zukunftsfähig sind.“
Dieses Kriterium werde nur durch eine Kooperation mit den von Waldburg-zeil getragenen Fachkliniken erfüllt. Rechne man die je 150 Betten beider Häuser in Wangen zusammen, ergebe sich daraus „eine gute Größe“, so Oliver Adolph. Und: „Der Vorteil des Gutachtens liegt in der Zukunftssicherheit Wangens.“
Der Osk-geschäftsführer verglich die aktuelle Debatte mit den Schließungen der Krankenhäuser in Leutkirch und Isny vor rund zehn Jahren. „Kardinalfehler“damals sei gewesen, dass die drei verbliebenen Standorte „nicht aufeinander abgestimmt“worden seien. In der Folge sei zunächst zwar das Defizit gesunken, ab 2016 habe der kommunale Klinikverbund aber von der Substanz gelebt und auf Investitionen verzichtet. Dies sei 2019 deutlich geworden.
Inzwischen liegt das Minus deutlich im zweistelligen Bereich. Adolph hält aber einen Jahresverlust von sechs Millionen Euro für realistisch, sollte der Kreistag den Gutachter-empfehlungen folgen.
Was sagen die Gutachter über die Geburtshilfe?
Abermals erklärte Meike Thun, gemäß der Vorgaben an das Büro sei sie „nicht zwingend notwendig“, weil es in der Region diverse weitere Einrichtungen dieser Art in gut erreichbarer Zeit gebe. Angesichts von zuletzt mehr als 800 Geburten sei sie aber „relevant“.
Um die Frauenklinik zu erhalten, sind aus Gutachtersicht drei Voraussetzungen unabdingbar. Erstens: Der Kreis müsste laufend das Defizit übernehmen, aktuell sind es 1,4 Millionen Euro. Zweitens: Ein erfolgreiches Konzept zur Stellenbesetzung bei Ärzten, Hebammen und in der Pflege sei nötig. Der Anteil von im Vergleich zu Angestellten extrem teuren Leihkräften dürfe die Marke von 25 Prozent nicht übersteigen. Und drittens seien jährlich 600 bis 800 Geburten in Wangen notwendig.
Diese Zahl ist in Wangen seit Jahren Realität. Gleichwohl ergab die Bab-analyse einen vergleichsweise geringen „Marktanteil“bei den Geburten, selbst in der näheren Region. So entbinde nicht einmal jede zweite Frau am Westallgäu-klinikum, die in einem Radius von 20 Kilometern rund um Wangen lebt. Diese wiederum machten einen Anteil von 86 Prozent aller Geburten am Engelberg aus. Intefünf ressant: 15 bis 20 Prozent der Gebärenden kommen aus dem Landkreis Lindau, etwa aus Hergatz oder Heimenkirch. Auch zieht es viele Frauen aus Leutkirch und Isny nach Wangen.
Wie fällt die weitere Analyse zu Wangens Krankenhaus aus?
Generell wohnen drei Viertel aller Patienten, die Leistungen der Grund- und Regelversorgung (Innere Medizin und Allgemeine Viszeralchirurgie) in Anspruch nehmen, in dem 20-Kilometer-radius. Viele von ihnen kommen aus Amtzell, Argenbühl, Kißlegg; hier hat das Westallgäu-klinikum einen Marktanteil von zumeist mehr als 50 Prozent, bei Kranken aus Leutkirch und Isny um die 40 Prozent. Von den Wangenern selbst nehmen gut zwei Drittel den Weg auf den Engelberg. Unterm Strich konstatiert Meike Thun: „Die Marktanteile sind nicht gut, aber Wangen hat eine gewisse Relevanz.“
Wie ist laut BAB die Lage beim Personal?
Rund 70 Prozent der Ärzte ist jünger als 50 Jahre. Allerdings hat fast ein Viertel das 56. Lebensjahr überschritten, so dass deren Ruhestand absehbar ist. Dabei geht es um 21 Mediziner. Bei den Pflegekräften ist die Altersstruktur ähnlich, hier werden rund 50 Beschäftigte in den kommenden Jahren aus Altersgründen aufhören.
Grundsätzlich benötigt die OSK mehr Pflegekräfte als sie jetzt hat – auch wenn Bad Waldsee und Abteilungen in Wangen geschlossen werden. Für diesen, von ihnen empfohlenen Fall rechnen die Gutachter nicht damit, dass alle Beschäftigten innerhalb der OSK ihren Arbeitsort wechseln. BAB glaubt überdies, dass es im Fall von Schließungen auch weniger Patienten gibt – und somit einen geringeren Bedarf an Ärzten im stationären Bereich.
Wie sieht die Reaktion des Wangener Rates aus?
Sprecher aller Fraktionen – und später auch andere Stadträte – bekannten sich zur in der Vorwoche einstimmig verabschiedeten Resolution – und damit nicht nur zum Erhalt der Geburtshilfe, sondern auch zum heutigen Standard der Grund- und Regelversorgung sowie der Notaufnahme.
(CDU) nannte dafür drei Gründe: Das politische Versprechen, nach der Schließungen in Leutkirch und Isny das Westallgäuklinikum für diesen Bedarf zu erhalten, die Größe des und teils schwierige Wetterbedingungen im Landkreis sowie die Sorge, sich von anderen abhängig zu machen. Am Beispiel der Geburtshilfe sagte er: „Wir können uns ja nicht darauf verlassen, dass Lindenberg eine neue baut und Tettnang auf Dauer bleibt. Deshalb brauchen wir unsere eigene.“
Der Kreisrat sprach aber auch von einem „Drahtseilakt“für das Wangener Krankenhaus. Eine „zukunftsfeste Lösung“müsse so viel Spielraum für Veränderungen zulassen, dass man die Förderkriterien des Landes für einen Neubau erfüllt. Ferner nannte er die Gefahr, sich bereits in
Christian Natterer
Jahren wieder mit der Krankenhausstruktur befassen zu müssen, „wenn wir jetzt alles beim Alten lassen – mit möglicherweise weitreichenderen Konsequenzen als heute“.
(GOL) machte sich ebenfalls vor allem für die Geburtshilfe stark: „Sollte dies die Erhöhung der Kreisumlage bedeuten, so werden wir diese gerne mittragen.“Dabei kritisierte sie das System der Fallpauschalen, da „Schwangerschaft und Geburt in den meisten Fällen keine Krankheit“seien. Eine Schließung wäre auch für Menschen in Wangens Umland ein Verlust. Wie Natterer verwies sie auf das einstige Versprechen und weite Wege, etwa aus Argenbühl nach Ravensburg.
Von der Osk-führung forderte sie eine verbesserte Unternehmenskultur und Führung der Beschäftigten. Dies sei eine zentrale Erkenntnis des Gutachtens. Denn es gelte nicht nur, sich zeitig um die Chefarztnachfolge der Frauenklinik zu kümmern, sondern auch vorhandene Pflegekräfte wertschätzend zu behandeln und in den bevorstehenden Wandel miteinzubeziehen, um möglichst viel Personal zu halten.
(Freie Wähler) forderte: „Wir müssen den Krankenhaus-standort Wangen stärken und nicht schwächen.“Ein weiterer Ausbau des EK bei gleichzeitiger Schwächung von Wangen hielt er angesichts der „jetzt schon schwierigen Personalsituation am EK“für ein großes Risiko. Ein leistungsfähiges Westallgäu-klinikum stelle keine Doppelstruktur dar, sondern sei vielmehr „ein Garant der Daseinsvorsorge“. Dies gelte auch für den Ausbildungsstandort Wangen – und dieser sei nur gewährleistet, wenn er
Hannah Rogosch Hermann Schad
weitgehend in jetziger Form erhalten bleibe. Schad, ebenfalls Mitglied des Kreistags, verwies auf jährliche Defizite in der Zeit vor der Coronakrise in Höhe von fünf Millionen Euro. Diese seien dauerhaft vertretbar. Außerdem sagte er, die OSK laufe bei Schließungen Gefahr, viele Pflegekräfte an bayerische Krankenhäuser zu verlieren, da sie in großer Zahl nördlich wie östlich Wangens lebten und einen Arbeitsweg nach Ravensburg vermutlich nicht akzeptierten.
(SPD) kritisierte: „Das Konzept setzt vor allem an kleineren Häusern an.“Es müsse eigentlich ganzheitlich ansetzen, mute aber dem Westallgäu längere Anfahrzeiten und eine schlechtere Versorgung zu. Die Teilhabe am Gesundheitswesen werde so für fast die Hälfte des Landkreises erschwert. Vor diesem Hintergrund fragte der Spd-fraktionschef: „Was soll hier eigentlich saniert werden? Ein unterbelegtes EK?“Burth erinnerte an hohe Investitionen der OSK in den Standort Wangen, unter anderem in die Geburtshilfe und die Intensivstation. Der Mediziner erklärte zudem: Eine Gynäkologie brauche eine Allgemeinchirurgie. Zudem verwies er auf die alternde Gesellschaft mit einer mutmaßlich anwachsenden Anzahl an Patienten. Auch stimme die Annahme einer verstärkten Tendenz zu ambulanten Behandlungen „nur teilweise“.
Alwin Burth OB Michael Lang
verglich: Der Landkreis Lindau leiste sich bei 85 000 Einwohnern zwei Krankenhäuser, im Landkreis Ravensburg lebten aber fast 300 000 Menschen. Generell verglich er die kommunalen Ausgaben für die Krankenhäuser mit denen für die Betreuung von Kindern im Alter von bis zu sechs Jahren. Dafür gebe allein die Stadt Wangen pro Jahr fünf Millionen Euro aus. Kreisweit hochgerechnet dürften es jährlich gar 50 Millionen sein.
Der Rathauschef sieht für den Erhalt der Geburtshilfe derzeit „gute Signale aus der Politik“, aber auch einen zweiten Knackpunkt: die Chirurgie. Aus seiner Sicht brauche eine klassische Innere Medizin diese: „Sie sind Geschwister-disziplinen.“
Wie reagiert der Landrat auf die Äußerungen?
Harald Sievers mahnte Widersprüche an: Einerseits werde der Erhalt von Geburtshilfe sowie Grund- und Regelversorgung gefordert, andererseits in der vom Gemeinderat verabschiedeten Resolution Veränderungsbedarf erkannt. Den sah er in den Stellungnahmen allerdings nicht. Stattdessen wolle der Wangener Gemeinderat eine „Deckungsgleichheit mit dem, was wir haben“.
Wie geht es jetzt zeitlich weiter?
Bislang sieht der Fahrplan des Landratsamts vor, dass zwischen der Vorstellung des externen Gutachtens durch das Hamburger Büro BAB und dem Beschluss des Kreistags nur gut drei Wochen liegen. Sprich: Nachdem die Expertise in der vergangenen Woche vorgelegt worden war, sollte am 31. Mai entschieden werden.
Ob es bei dieser Zeitschiene bleibt, scheint inzwischen wieder offener. Denn im Rat meldeten sich mit Hermann Schad (Freie Wähler) und Gerhard Lang (SPD) zwei Kreisräte zu Wort, denen das zu schnell geht. Lang sagte: „Wir brauchen Zeit.“Und Schad erklärte: Für ihn kämen derzeit täglich neue, entscheidungsrelevante Aspekte hinzu.
Landrat Sievers antwortete darauf: Es gebe zwei Haltungen im Kreistag zu dieser Frage. Im Gegensatz zu der von Schad und Lang favorisierten sagten andere, eine schnelle Entscheidung sei man den Osk-beschäftigten schuldig. Ähnlich hatte sich beispielsweise Volker Restle, Vorsitzender der Cdu-fraktion im Kreistag, unmittelbar nach Vorstellung des Gutachtens geäußert. Auch die Gutachter selbst mahnten zu einer raschen Klärung der Osk-zukunft.
Zu dieser gibt es inzwischen übrigens eine zusätzliche Kreistagssitzung. Sie ist für Montag, 23. Mai, von 13 bis 17 Uhr in der Schussentalhalle in Oberzell angesetzt. Nach Informationen der „Schwäbischen Zeitung“soll dort über die Ergebnisse des Gutachtens debattiert werden. Weiterhin fix ist nach wie vor die geplante Sitzung am Dienstag, 31. Mai. Sie beginnt um 14.30 Uhr in der Turnund Festhalle in Wetzisreute.