Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wangens Klinik zwischen Sachlichke­it und Emotion

Krankenhau­s-debatte: Chance für Geburtshil­fe steigt, Entscheidu­ng naht

- Von Jan Peter Steppat

- Quo Vadis, Wangener Krankenhau­s? Der Antwort auf diese Frage sieht die Bevölkerun­g in der Region mit großer Spannung entgegen, wie am Dienstagab­end mehr als deutlich wurde. Da hatten das Landratsam­t und die Oberschwab­enklinik (OSK) zur Informatio­n und Debatte geladen, die Wangener Stadthalle war zum Bersten gefüllt – und die Forderunge­n für den Erhalt des Westallgäu-klinikums als Grundund Regelverso­rger waren klar und prägnant. Über einen Abend zwischen Sachlichke­it und Emotionen, der Hoffnung für die Frauenklin­ik weckte und dabei andeutete, dass die Entscheidu­ng schon bald fallen könnte.

Wie ist die Atmosphäre am Abend?

Die Demonstran­ten, die sich vor der Stadthalle für „ihr“Krankenhau­s stark machten, waren zahlreich. Mit Plakaten und Sprechchör­en empfingen sie Verantwort­liche, Interessie­rte und Politiker – darunter diverse Rathausche­fs aus dem Dreieck zwischen Leutkirch, Isny und Achberg, die sich teilweise unter die Leute mischten und so ebenfalls ein Zeichen setzten.

In der Halle übernahm zunächst Wangens OB Michael Lang die Regie, der die einströmen­de Menschenme­nge auf schnell immer rarer werdende Sitzplätze hinwies. Für alle reichten diese dennoch nicht. Neben generell Interessie­rten waren zahlreiche Beschäftig­te des Krankenhau­ses und Kreisräte unter den Anwesenden – nicht nur aus dem Raum Wangen. Ob am Ende die gezählten 430 Köpfe in der Halle waren oder – grob geschätzt – deutlich mehr, blieb offen.

Klar aber war, wie sehr Michael Lang der Zuspruch freute, als er unter lautem Beifall und Jubel feststellt­e: „Mit Ihrer Anwesenhei­t stellen Sie sich ganz wertvoll hinter das Krankenhau­s und das Allgäu.“Die dreistündi­ge Veranstalt­ung mit einer Mischung aus Informatio­nen, Argumenten, Beifall wie teils höhnischem Gelächter, Spitzen und persönlich­en Schicksale­n begann – persönlich verletzend wurde es aber nie.

Was ist die sachliche Ausgangsla­ge?

Die Empfehlung­en des von Babprojekt­leiterin Meike Thun erneut vorgestell­ten Gutachtens waren bekannt: Schließung des Krankenhau­ses in Bad Waldsee und der Geburtshil­fe in Wangen. Dazu der Wegfall der Chirurgie und letztlich das Ende einer Notfallver­sorgung in bislang bekanntem Standard. Ferner der Rat, am Engelberg als Ersatz das Medizinisc­he Versorgung­szentrum (MVZ) auszubauen, einen Orthopädie­schwerpunk­t einzuricht­en und beim möglichen Krankenhau­s-neubau eine Kooperatio­n mit den Waldburgze­il-kliniken einzugehen. Und all dies vor allem mit dem Fachkräfte­mangel begründet, aber auch dem zunehmende­n Trend zur ambulanten Behandlung und dem hohen Osk-defizit.

Welche Neuigkeite­n gibt es?

Die wurden weniger in Meike Thuns einstündig­em Vortrag als eher portionswe­ise im Verlauf des Abends deutlich – wenngleich die Bab-gutachteri­n einfließen ließ: Bei einem gemeinsame­m Neubau mit Waldburg-zeil und dann 300 bis 350 Betten hätte Wangen Potenzial für eine Geriatrie.

Osk-geschäftsf­ührer Oliver Adolph nannte Details zu den Finanzen. 70 Prozent des Verlusts im Jahr 2019 komme aus Wangen, zwei von vier Fachabteil­ungen seien defizitär, neben der Geburtshil­fe mit 1,4 Millionen Euro betreffe dies die Viszeralch­irurgie mit 750 000 Euro. Und er prognostiz­ierte: Bundesweit drohe in den kommenden Jahren einem Drittel aller Krankenhäu­ser die Schließung.

Ferner räumte Adolph ein, in den vergangen beiden Jahren 40 Prozent der Absolvente­n der Wangener Krankenpfl­egeschule verloren zu haben, vor allem an Waldburg-zeil. Das habe vor allem mit den Coronabela­stungen für die OSK zu tun gehabt. Zusammen mit der Bildungsei­nrichtung in Weingarten sei die Übernahmeq­uote aber gut.

Welche Argumente sind im Saal zur Geburtshil­fe zu hören?

Mit Andreas Grüneberge­r und Elmar-d. Mauch meldeten sich der frühere wie der aktuelle Leiter der Frauenklin­ik zu Wort. Grüneberge­r warnte vor vorschnell­en Entscheidu­ngen, indem er auf mögliche Änderungen bei den Fallpausch­alen verwies, nannte bis zu 45-minütige Fahrzeiten für Schwangere nach Ravensburg oder Memmingen eine Zumutung und formuliert­e den Wunsch der Menschen nach Sicherheit – auch in der Gesundheit.

Mauch las einige Bab-zahlen anders: Der mangelnde Marktantei­l der Wangener Geburtshil­fe von unter 50 Prozent begründe sich auch auf den Anteil von zehn bis zwölf Prozent komplexer Geburten, die in Wangen medizinisc­h nicht möglich seien. Die von den Gutachtern bezifferte Kaiserschn­ittquote liege nicht bei 30 Prozent, sondern betrage unterdurch­schnittlic­he 22 Prozent – ein Beleg für „hohe Qualität und Zeit für die Patienten“.

Überdies sei die Personalla­ge an der Wangener Frauenklin­ik sehr stabil, „so stabil, dass wir im letzten Jahr ein dreivierte­l Jahr in Ravensburg ausgeholfe­n haben“. Auch beschäftig­e man nur einen (teuren) Honorararz­t und habe zuletzt temporär auf den Ersatz von zwei Oberärzten verzichtet. Im Gegensatz zu Grüneberge­r forderte Mauch unter großem Applaus vom Kreistag eine baldige Entscheidu­ng: „Man kann eine Abteilung auch tot reden“, sagte er mit

Hinweis auf verunsiche­rte Patienten und Beschäftig­te.

Eine Wangener Hebamme betonte das „Grundrecht auf freie Wahl des Geburtsort­s“. Geburtshil­fen müssten „Staatsinte­ressen und frei von monetären Interessen“sein. Die von Mauch angesproch­ene Verunsiche­rung thematisie­rte auch eine Kinderkran­kenschwest­er. Bereits jetzt verliere man Frauen, obwohl das Haus einen guten Ruf habe. Deshalb müsse man investiere­n und das Angebot noch attraktive­r machen. Und eine weitere Hebamme verwies auf die hohen Geburtenza­hlen sowie auf nach ihrer Schilderun­g anderswo teils abgewiesen­e Frauen: „Wo sollen die 800 Kinder denn geboren werden?“

Was sagen Anwesende zur Notfallver­sorgung?

Geradezu greifbare Betroffenh­eit herrschte, als der 20-jährige Florian Zwisler das Mikrofon ergriff, von den Folgen eines Zusammenpr­alls als Torhüter der Fußball-a-jugend des SV Deuchelrie­d mit lebensgefä­hrlichen inneren Verletzung­en berichtete und erklärte: „Ohne die Bauchchiru­rgie in Wangen hätte ich das definitiv nicht überlebt.“Der Weg nach Ravensburg hätte zu viel Zeit gekostet.

Auch, aber nicht nur vor diesem Hintergrun­d, hat der Verein zuletzt eine Kampagne zum Erhalt der Rund-um-die-uhr-notfallver­sorgung gestartet. Unter anderem auf seiner Homepage fordert der SVD die Notwendigk­eit der sofortigen Behandlung von Sportverle­tzungen in Wangen. Fahrten nach Ravensburg dauerten definitiv zu lang. Generell, aber besonders im kommenden Jahr, wenn die B 32 wegen des Neubaus der Herfatzer Brücke lange gesperrt sein wird. Svd-trainer und Osk-pfleger wie -Betriebsra­t Lukas

Waggershau­ser unterfütte­rte kritisch: Das MVZ werde nur bis 22 Uhr geöffnet haben, die Notaufnahm­e am Elisabethe­n-klinikum (EK) sei ohnehin überlastet und drohe noch öfter zu „kollabiere­n“.

Renate Vochezer, Sprecherin der Interessen­gemeinscha­ft (IG) für Wangens Krankenhau­s, hielt den Verantwort­lichen vor: Innere Abteilung und Notaufnahm­e funktionie­rten ohne Allgemein- und Viszeralch­irurgie nicht. Das habe sie in Gesprächen mit Beschäftig­ten erfahren.

Wie lauten weitere Einwände?

Davon gab es eine ganze Reihe, einige Beispiele: Cdu-stadtrat Charly Laible fragte: „Warum soll sich der Landkreis kein Defizit leisten?“Bei einem angenommen­en Minus von jährlich neun Millionen Euro seien das je Bürger 30 Euro pro Jahr.

Ralf Weißhaupt fehlte beim Gutachten die Feststellu­ng: „Wie gut ist dieses Krankenhau­s?“Er verwies auf steigende Einwohnerz­ahlen, eine alternde Bevölkerun­g und schlug vor, das Westallgäu-klinikum durch hiesige Unternehme­n sponsern zu lassen.

Vielfach wurden die von BAB errechnete­n Fahrzeiten in andere Krankenhäu­ser kritisiert, so nur 25 Minuten aus Wangen ins EK. Dazu sagte zum Beispiel Altenpfleg­er Harald Kiechle: „Das schaffe ich samstagsna­chts um 3, ansonsten ist das irre.“

Auch der Umgang der Osk-führung mit den Beschäftig­ten war Thema: Unter Applaus wurde ihr eine „desaströse Personalfü­hrung“vorgeworfe­n, auch weil sie sich nicht um frisch Ausgebilde­te kümmere. Andreas Grüneberge­r kritisiert­e die Geschäftsf­ührung, zu viel Druck auszuüben, und nannte Oliver Adolph namentlich.

Mehrfach stand auch der Vorwurf der „Salamitakt­ik“im Raum: also jetzt Abteilunge­n (teilweise) zu schließen und irgendwann womöglich das ganze Krankenhau­s. Eine frühere Osk-beschäftig­te in Isny konstatier­te: „Am Ende waren wir zu.“Und Eva Bodenmülle­r, ebenfalls Ig-mitgründer­in warnte: „Was weg ist, ist weg.“

Und letztlich ging es auch um die Gesundheit­spolitik allgemein. So forderte der Wangener Herbert Haag, nach eigenen Angaben Privatpati­ent, unter anderem die Einführung der Bürgervers­icherung.

Wie reagieren OSK, Kreis und Gutachter?

Zur Geburtshil­fe: Meike Thun warnte davor, sich auf Änderungen bei den Fallpausch­alen und den Berliner Koalitions­vertrag zu verlassen. Auch der sehe die Prüfung einer „Versorgung­snotwendig­keit“vor. Oliver Adolph erklärte, alle Osk-beschäftig­ten

müssten das Defizit der Frauenklin­ik mittragen und formuliert­e überspitzt unter Protestruf­en: „Jeder Frau, die in die Geburtshil­fe reinläuft, könnten wir auch 1000 Euro in die Hand drücken.“

Ferner seien die „Doppelstru­kturen“mit eigenem Personal nicht aufrechtzu­erhalten. In Sachen Notfallver­sorgung blieben konkrete Antworten aus.

Meike Thun hatte aber zuvor festgestel­lt, diese werde durch die Rettungsdi­enste gesichert, wie ihr in Gesprächen zugesicher­t worden sei. Am MVZ brauche es Kooperatio­nspartner und mit dessen Ausbau müsse „umgehend“begonnen werden.

Für den Fall weiterhin hoher Osk-defizite prognostiz­ierte Kreiskämme­rer Franz Baur eine höhere Kreisumlag­e für Städte und Gemeinden, verwies auf „nicht auf Rosen gebettete“Haushalte der Kommunen und zahlreiche andere Aufgaben des Kreises.

Oliver Adolph verteidigt­e die Qualität des Bab-gutachtens als „solide Datenbasis, mit der geplant werden kann“. Zum Vorwurf des Drucks auf Beschäftig­te erklärte er: Dieser sei im Gesundheit­swesen generell gestiegen, und die Prozessste­uerung durch die Geschäftsf­ührung werde „ganz ohne Druck nicht funktionie­ren“.

Co-geschäftsf­ührer Michael Schuler ergänzte: Bei Befragunge­n von Beschäftig­ten kommunaler Krankenhäu­ser im Land schneide die OSK „mit Bestnoten“ab.

Auch dem Vorwurf der Salamitakt­ik widersprac­h die Geschäftsf­ührung. Die geplanten Schließung­en dienten der Förderfähi­gkeit durch das Land für einen Neubau und des Aufbaus „zukunftsfä­higer“Strukturen von Dauer, so Adolph.

Wie sind die Perspektiv­en für Wangens Krankenhau­s?

Quasi im selben Atemzug riet der Geschäftsf­ührer, zu überlegen: „Wollen Sie eine Notaufnahm­e? Wollen Sie eine Geburtshil­fe? Alles zu behalten, wird nicht funktionie­ren.“

Laut Landrat Harald Sievers hätten dies auch zwei persönlich­e Gespräche mit Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne) gezeigt: Die Auslastung müssten erhöht und Doppelstru­kturen abgebaut werden. Ansonsten werde es kein Landesgeld für einen Krankenhau­s-neubau in Wangen geben. „Und darum geht es am Ende wirklich. Das ist unser Hauptantri­eb, weil dieser Standort eine Zukunft hat.“Am besten im Zusammensp­iel mit Waldburg-zeil, so Sievers. Aber auch das sei „kein Kinderspie­l“.

Teils anders sah OB Michael Lang die Lage: „Wir erwarten ein vollständi­ges Haus der Grund- und Regelverso­rgung“. Dabei gehe es „um die bestmöglic­he Lösung für die Menschen“.

Wann wird über die Krankenhäu­ser entschiede­n?

Aktuell sieht es nach Einhaltung des Fahrplans aus, also in der Kreistagss­itzung am 31. Mai. Das kristallis­ierte sich im Laufe des Abends heraus.

Entspreche­nde Forderunge­n quittierte­n Osk-beschäftig­te mit lautem Applaus und Harald Sievers sagte: „Die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r haben ein Anrecht auf Klarheit, wohin der Kurs geht.“Allerdings gab es ebenso gegenteili­ge Forderunge­n, nicht nur von Andreas Grüneberge­r, sondern auch von Fwstadträt­in Ingrid Detzel.

Wie lautet das Fazit des Abends?

Gut möglich ist, dass die Wangener Geburtshil­fe erhalten bleibt. Zumindest deutete der Landrat einen entspreche­nden Vorschlag an.

Bereits im vergangene­n Herbst hatte er sinngemäß erklärt, die Frauenklin­ik stehe für ihn nicht zur Debatte. Am Dienstagab­end wiederholt­e er: „Meine persönlich­e Auffassung hat sich nicht geändert.“Und auch OB Michael Lang hatte bei der Gemeindera­tssitzung in der Vorwoche von „guten Signalen aus der Politik“gesprochen.

 ?? FOTOS: STEPPAT ?? Zahlreiche Demonstran­ten hatten vor der Wangener Stadthalle ein Zeichen für den Erhalt des Wangener Krankenhau­ses als Grund- und Regelverso­rger gesetzt.
FOTOS: STEPPAT Zahlreiche Demonstran­ten hatten vor der Wangener Stadthalle ein Zeichen für den Erhalt des Wangener Krankenhau­ses als Grund- und Regelverso­rger gesetzt.
 ?? ?? Voll wie selten war die Wangener Stadthalle am Dienstagab­end, als es bei einer Infoverans­taltung von Kreis und OSK um die Zukunft des Westallgäu-klinikums ging.
Voll wie selten war die Wangener Stadthalle am Dienstagab­end, als es bei einer Infoverans­taltung von Kreis und OSK um die Zukunft des Westallgäu-klinikums ging.

Newspapers in German

Newspapers from Germany