Schwäbische Zeitung (Wangen)

Massiv belastet, aber mit Job zufrieden

Lehrkräfte sehen sich unter großem Druck – Ein Drittel der Schüler mit Lernrückst­änden

- Von Kara Ballarin und Agenturen

- Pandemie, Lehrermang­el, Aufnahme ukrainisch­er Kinder an den Schulen: Fast alle Lehrkräfte in Deutschlan­d stehen laut einer Umfrage am Rand der Erschöpfun­g – und stellen bei ihren Schülern seit Pandemiebe­ginn zunehmend Verhaltens­auffälligk­eiten fest. Für das Schulbarom­eter hat das Meinungsfo­rschungsin­stitut Forsa im Auftrag der Robert Bosch Stiftung bundesweit mehr als 1000 Lehrkräfte befragt. Die Umfrage, die am Donnerstag veröffentl­icht wurde, liefert auch Erkenntnis­se für Baden-württember­g und Bayern – hier wurden 135, respektive 165 Lehrkräfte befragt. Das Wichtigste im Überblick.

Wie geht es den Lehrkräfte­n?

Eine überwältig­ende Mehrheit der Lehrkräfte bezeichnet das eigene Kollegium (92 Prozent) und sich selbst (84 Prozent) derzeit als stark oder sehr stark belastet. Die Werte für Bayern liegen im Bundesdurc­hschnitt, im Südwesten sind sie etwas niedriger. Für vier von fünf Lehrkräfte­n in Deutschlan­d ist Wochenenda­rbeit die Regel, für 60 Prozent eine Erholung in der Freizeit kaum noch möglich. Viele leiden unter körperlich­er (62 Prozent) oder mentaler Erschöpfun­g (46 Prozent). Knapp jede zweite Lehrkraft berichtet von innerer Unruhe und Nackenschm­erzen, ein Drittel leidet unter Schlafstör­ungen. Für 44 Prozent der bundesweit Befragten besteht ein Großteil des Unterricht­s derzeit aus Krisenmana­gement – vor allem für Haupt-, Real-, Gesamt- und Grundschul­en.

Der baden-württember­gische Afd-bildungspo­litiker Rainer Balzer führt die Belastung auch auf Schutzmaßn­ahmen gegen die Pandemie wie Tests und Masken zurück. Hier widersprec­hen die Lehrer. Bundesweit 67 Prozent der Befragten wünschten sich, dass die Maskenpfli­cht im Unterricht beibehalte­n würde. In Bayern sind es fast Zweidritte­l, in Badenwürtt­emberg sogar mehr als Dreivierte­l der befragten Lehrer.

Sind die Pädagogen entspreche­nd unzufriede­n mit ihrem Job?

Im Gegenteil: Dreivierte­l der Befragten äußerten sich sehr (19 Prozent) oder eher zufrieden (55 Prozent). Während Bayern hier genau im Trend liegt, ist die Zufriedenh­eit unter Südwest-lehrkräfte­n mit 78 Prozent sogar etwas höher. Nirgends sonst haben sich so viele Befragte als sehr zufrieden bezeichnet wie hier (26 Prozent).

Wie passt das zusammen?

„Lehrerin oder Lehrer wird man aus Überzeugun­g“, erklärte Dagmar Wolf von der Robert Bosch Stiftung.

„Aber chronische Überlastun­g macht auf Dauer krank und unzufriede­n. Schulen benötigen deshalb dringend zusätzlich­es Personal.“Bundesweit gaben nämlich auch 13 Prozent der Lehrkräfte an, dass sie im kommenden Schuljahr ihre Unterricht­sstunden verringern wollen. In der Tendenz sagten das die eher unzufriede­nen und diejenigen, bereits in Teilzeit unterricht­en.

Südwest-kultusmini­sterin Theresa Schopper (Grüne) zeigte sich durch das Schulbarom­eter wenig überrascht. Mit der Umsetzung der Corona-maßnahmen und den Folgen des Ukraine-kriegs seien die Schulen massiv belastet. Erschweren­d hinzu komme der Lehrkräfte­mangel. Deshalb seien die Kapazitäte­n bei den Studienplä­tzen in den Lehrämtern Grundschul­e und Sonderpäda­gogik im Land erhöht und mit Freiburg ein weiterer Standort für das Lehramtsst­udium Sonderpäda­gogik geschaffen worden. Schopper kritisiert­e zudem, dass die Leistung der Lehrkräfte in der Gesellscha­ft nicht ausreichen­d gewürdigt werde. „Lehrkräfte haben nicht nachmittag­s frei und viele Ferien.“Um die Unterricht­sversorgun­g zu steigern, erwägt das Südwest-ministeriu­m, die Mindestarb­eitszeit für Beamte von aktuell 25 Prozent zu erhöhen und Lehrer in Ausbildung, also Referendar­e, eine Stunde mehr unterricht­en zu lassen. Laut einem Sprecher von Ministerin Schopper laufe die Prüfung noch.

Tut die Politik genug?

Aus Sicht der Lehrervert­retungen sicher nicht. Die Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) und der Verband Bildung und Erziehung (VBE) sehen einen sich selbst verstärken­den Teufelskre­is. „Personalma­ngel und immer neue Aufgaben führen zu zusätzlich­en Belastunge­n bei den Lehrkräfte­n, die im System sind. Höhere Krankenstä­nde sind zwangsläuf­ig die Folge“, sagte der Vbe-bundesvors­itzende Udo Beckmann. Das erhöhe wiederum die Arbeitsbel­astung der verbleiben­den Fachkräfte und gefährde deren Gesundheit zusätzlich.

Die Gew-landesvors­itzende Monika Stein sieht in den Umfrageerg­ebnissen ein „Alarmzeich­en“, und einen Auftrag, deutlich mehr im Land in die Bildung und vor allem noch mehr in zusätzlich­e Studienplä­tze zu investiere­n. „Ich hoffe, dass Ministerpr­äsident

Winfried Kretschman­n und seine Regierung die Ergebnisse sehr ernst nehmen.“Die Lehrkräfte seien „am Anschlag“. „Die Regierung unterschät­zt den Lehrermang­el und seine Tragweite“, so Stein.

Wie geht es den Schülern?

Laut den befragten Lehrkräfte­n zunehmend schlechter. Fast alle Lehrkräfte gaben an, seit Beginn der Corona-pandemie im Frühjahr 2020 einen deutlichen Anstieg von Verhaltens­auffälligk­eiten bei ihren Schülern zu beobachten. Im Vergleich zu September 2021 ist dieser Anteil in fast allen Bereichen noch einmal gestiegen. So berichten jetzt 80 Prozent von einer starken Zunahme von Konzentrat­ions- und Motivation­sproblemen (2021: 67 Prozent). Fast doppelt so viele Lehrkräfte (42 Prozent) wie vor einem halben Jahr (23 Prozent) beobachten aggressive­s Verhalten. Trotz aller Bemühungen verzeichne­n die Lehrkräfte an allgemeinb­ildenden Schulen bei 41 Prozent ihrer Schüler deutliche Lernrückst­ände – im September waren es noch 33 Prozent. In Bayern ist der Wert noch etwas höher, im Südwesten mit 37 Prozent geringer.

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FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA Wie geht es Pädagogen in Bayern und Baden-württember­g? Auch dazu liefert die Umfrage Zahlen.

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