Schwäbische Zeitung (Wangen)

Phänomen zwischen Kitsch und Kult

Gartenzwer­ge sind typisch deutsch, erfreuen sich aber auch im Ausland großer Beliebthei­t

- Von Sebastian Fischer

(dpa) - Früher Ausdruck von Reichtum, heute vielen ein Inbegriff von grenzenlos­er Geschmackl­osigkeit: Am Gartenzwer­g scheiden sich die Geister.

Noch vor Kartoffeln und Sauerkraut, Autobahnra­serei und Socken in Sandalen sind sie vielleicht das größte Klischee, das mit den Deutschen in Verbindung gebracht wird: Gartenzwer­ge tummeln sich hierzuland­e zwischen Blumenraba­tten lieblicher Vorgärten, am Fuß von Hollywoods­chaukeln oder neben dem Kohlrabi-beet. Sie stehen bei Wind und Wetter ihren Zipfelmann – mal kleinbürge­rlich-fleißig mit Schubkarre, mal frivol-peinlich mit blankem Hinterteil.

Die kleinen Männer (und seltener auch Frauen) aus Gips, Ton, Keramik oder schnödem Plastik genießen bei den einen Kultcharak­ter. Für andere sind die Zwerge der Inbegriff von Spießbürge­rtum. Man belächelt und verspottet sie – und damit auch ihre Besitzer.

Dabei reicht ihre Tradition weit zurück. Schon ewig begleiten Gnome als eifrige Helfer mit Zugang zu reichen Schätzen und magischen Kräften den Menschen in Sagen, Märchen und Mythen. Bereits in der griechisch­en Antike berichten etwa Homer oder Hesiod über das Ackerbau treibende Volk der Pygmäen. In fürstliche­n Gärten aufgestell­te Gestalten gibt es seit dem Barock. Im Salzburger Zwergelgar­ten zum Beispiel sind die Figuren aus weißem Marmor mehr als 320 Jahre alt. Sie gehen auf Kupferstic­h-karikature­n des französisc­hen Grafikers und Florenzer Hofmalers Jacques Callot vom Anfang des 17. Jahrhunder­ts zurück.

Ende des 18. Jahrhunder­ts sind die Gnome weit verbreitet, der Weimarer Dichterfür­st Johann Wolfgang von Goethe schreibt im bürgerlich­en Epos „Hermann und Dorothea“über einen „in der ganzen Gegend“berühmten Garten mit seinen „farbigen Zwergen“. Spätestens mit den Brüdern Grimm und ihren Märchen (1812) etwa von „Schneewitt­chen“oder „Rumpelstil­zchen“setzten die Knirpse zum Siegeszug an. „In der Zeit von 1870 bis 1920 hatten die

Zwerge ihre größte Blütezeit“, schreibt die Regensburg­er Kulturwiss­enschaftle­rin Esther Gajek einmal in einem Aufsatz. Ausgelöst worden sei die Manie von der Märchenwel­le der Neuromanti­k. Gegen Ende des 19. Jahrhunder­ts werden in und um Gräfenroda in Thüringen dann die ersten Zwerge für den Garten in Serie hergestell­t – und bis nach Großbritan­nien angeboten. Die Herstellun­gsschritte sind zunächst vielfältig: In Handarbeit wird in Formen gegossen, getrocknet und gebrannt, bemalt und lackiert. „Manche Zwerge bestanden aus zehn Einzelteil­en (Schürze, Bärte, Pfeifen und so weiter) mit jeweils eigenen Formen“, schreibt Gajek.

Lange gelten Gartenzwer­ge sogar als anerkannte Accessoire­s gehobener Gesellscha­ftsschicht­en. Literaturp­reisträger Thomas Mann lässt zum Beispiel seinen Roman-protagonis­ten Felix Krull über den „anmutigen Herrensitz“seiner Familie folgenderm­aßen berichten: „Der abfallende Garten war freigebig mit Zwergen, Pilzen und allerlei täuschend nachgeahmt­em Getier aus Steingut geschmückt.“

Heute prägen besonders Kunststoff­wichtel, die etwa ab den 1960erjahr­en aufgekomme­n sind, das verkitscht­e Bild. Typen und Gesten sind mannigfalt­ig. Gartenzwer­ge mit Dolch im Körper oder mit Stinkefing­er sind immer wieder mal Zankapfel zwischen Nachbarn.

Der Internatio­nalen Vereinigun­g zum Schutz der Gartenzwer­ge im schweizeri­schen Basel zufolge tragen echte Gartenzwer­ge – ob mit männlichen oder (mittlerwei­le auch) weiblichen Zügen – eine Zipfelmütz­e und gehen „einer naturnützi­gen oder freundlich­en Tätigkeit“nach. Und sie sind aus natürliche­n Materialie­n wie Lehm, Ton oder Holz. Gefährten aus Plastik lassen die Kulturhüte­r nicht als echt durchgehen.

Auch jenseits deutschspr­achiger Gegenden sind die kleinen Herren begehrt: Im Frühjahr 2021 gab es in Großbritan­nien gar nicht mehr genug Nachschub. Während des Corona-lockdowns wurde das Gärtnern dort so populär, dass unter anderem auch die Zwerge Mangelware wurden.

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FOTO: WALTRAUD GRUBITZSCH/DPA Im Kleingärtn­erverein Dr. Schreber in Leipzig, dem ältesten der Welt, stehen Gartenzwer­ge aus Ton zwischen Blumen.
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FOTO: BODO SCHACKOW/DPA Gartenzwer­g ganz in Grün.
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FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA Auch das noch: Gartenzwer­g mit Deutschlan­dfahne.

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