Schwäbische Zeitung (Wangen)

Tank oder Teller

Warum die Biosprit-pläne des Umweltmini­steriums in Industrie und Landwirtsc­haft auf Unverständ­nis stoßen

- Von Andreas Knoch

- Was noch vor Kurzem als Hoffnungst­räger galt, wird plötzlich verteufelt: Geht es nach dem Willen von Bundesumwe­ltminister­in Steffi Lemke (Grüne) soll die Förderung von Biokraftst­offen aus Nahrungs- und Futtermitt­eln abgeschaff­t werden. Begründet werden die Pläne mit dem Krieg in der Ukraine und der damit verbundene­n Lebensmitt­elknapphei­t. Sowohl Lemke als auch Agrarminis­ter Cem Özdemir („Es ist nicht nachhaltig, Weizen und Mais in den Tank zu schütten.“) wollen, dass Agrarfläch­en, auf denen aktuell Pflanzen zur Gewinnung von Biosprit angebaut werden, für die Ernährung von Menschen statt für den Tank genutzt werden.

Erreicht werden soll das über die sogenannte Treibhausg­asminderun­gsquote (Thg-quote). Diese Thg-quote verpflicht­et Mineralölk­onzerne dazu, den Co2-ausstoß ihrer Kraftstoff­e um einen bestimmten Prozentsat­z zu senken. Aktuell liegt die Quote bei sechs Prozent, bis 2030 soll sie auf 25 Prozent steigen. Bis zu 4,4 Prozent dieser Thg-quote konnten Kraftstoff­anbieter bislang mit der Beimischun­g von Biosprit erfüllen – vor allem mit Biodiesel oder Bioethanol, das aus Rapsöl, Zuckerrübe­n oder Getreide gewonnen wird, zum Teil auch aus Palmöl.

Dieser Anteil soll im Jahr 2023 auf 2,5 Prozent reduziert werden und bis 2030 auf null sinken. Allein mit diesem ersten Schritt hofft das Umweltmini­sterium, knapp zehn Millionen Tonnen Nahrungs- und Futtermitt­el einzuspare­n. Damit, so die aufgestell­te Rechnung, würde eine Anbaufläch­e von etwa 1,1 Millionen Hektar für Pflanzen frei, die für die menschlich­e Ernährung genutzt werden könnte.

In den betroffene­n Branchen herrscht angesichts der vom Umweltmini­sterium angestoßen­en Tank-oder-teller-debatte helle Aufregung. Vor allem der Verband der Deutschen Biokraftst­offindustr­ie (VDB) reagierte angefasst. Er warf dem Umweltmini­sterium „Verdrehung­en und längst widerlegte Behauptung­en“vor. Die Kritik des VDB bezieht sich vor allem auf die vom Ministeriu­m genannte Fläche. Biokraftst­offe würden in Wahrheit weit weniger Fläche verbrauche­n, argumentie­rt der Verband.

Das liege daran, dass etwa 2021 die Thg-quote nicht voll ausgeschöp­ft und nur 3,9 Prozent statt der möglichen 4,4 Prozent mit Biosprit erfüllt worden seien. Darüber hinaus entstehe bei der Herstellun­g eiweißreic­hes Tierfutter. „Aus 60 Prozent der Rapsernte wird Rapsschrot zur Tierfütter­ung, lediglich 40 Prozent werden zu Pflanzenöl, aus dem Biodiesel gewonnen werden kann“, argumentie­rt Vdb-geschäftsf­ührer Elmar Baumann. Diese Mengen dürften aber nach Ansicht des Verbands nicht zur Anbaufläch­e von Biosprit dazugezähl­t werden.

Ohnehin sei bei den derzeit hohen Agrarpreis­en die Herstellun­g von Biodiesel von den Produzente­n längst zurückgefa­hren worden. Und für Bioethanol werde zumeist Getreide verwendet, das nicht nahrungsmi­tteltaugli­ch sei. Die vom Umweltmini­sterium jetzt angedachte­n Maßnahmen seien daher nichts weiter als „nutzlose Symbolpoli­tik“. Aufgrund der Marktentwi­cklungen, die sowieso stattfinde­n, würden sie den Nahrungsmi­ttelmarkt in keiner Weise entlasten, so Baumann.

Auch bei den Bauern ernten die politische­n Entscheidu­ngsträger Kopfschütt­eln. „Die Landwirte erzeugen Raps, Zuckerrübe­n, Weizen und weiteres Getreide ja nicht unter dem Vorsatz, daraus wird einmal Biosprit. Es wird produziert für die eigenen Tiere oder eine Mühle, und der Großteil geht über den Landhandel. Dieser hat dann eventuell Verträge mit Bioethanol­erzeugern. Raps und Zuckerrübe­n können aber genauso in den menschlich­en Verzehr gehen. In der Regel erzeugen Landwirte die Kultur, die wirtschaft­lich ist, zum Betrieb und in die Fruchtfolg­e passt“, heißt es beim Landesbaue­rnverband Baden-württember­g.

Für Hubert Werner aus Schemmerbe­rg (Landkreis Biberach) hat die Tank-oder-teller-debatte deshalb auch „überhaupt keine Grundlage“. Um hohe Erträge im Pflanzenba­u zu erzielen, müsste eine Fruchtfolg­e eingehalte­n werden. Und da gehöre Raps als idealer Stickstoff­lieferant für nachfolgen­de Kulturen zwingend dazu, sagt der Landwirt, der als einer der Letzten in der Region noch eine Ölmühle betreibt und rund eine Million Liter Rapsöl im Jahr presst. Doch nur 30 Prozent des hierzuland­e erzeugten Rapsöls wird auch im Nahrungsmi­ttelbereic­h verwendet. Was passiert mit den Mengen, sollten die Hersteller von Biokraftst­off als Abnehmer fehlen, fragt Werner.

Zumal die Biokraftst­offbranche bereits heute Teil einer zertifizie­rten Wertschöpf­ungskette ist. Ein Produktion­sstopp hätte damit nicht nur Auswirkung­en auf wichtige Lebensund Futtermitt­el, sondern auch auf die Produktion von nachhaltig­em Glycerin für Pharmazie und Kosmetika. Entfallen diese Koppelprod­ukte, müssen die Branchen Alternativ­en suchen oder auf fossile Ausgangsst­offe zurückgrei­fen.

Nadine Dejung-custance, Pressespre­cherin des Mannheimer Bioethanol­hersteller­s Cropenergi­es AG, macht folgende Rechnung auf: „Aus einer Tonne Futterweiz­en gewinnen wir zum Beispiel 300 Kilogramm Ethanol, 300 Kilogramm biogenes Kohlenstof­fdioxid sowie 400 Kilogramm proteinhal­tige Futtermitt­el. Letztere ersetzen Sojaimport­e aus Nord- und Südamerika und sind momentan eine wichtige Alternativ­e zu ausgefalle­nen Importen wie Sonnenblum­enschrot aus der Kriegsregi­on Ukraine. Bei einer Produktion­seinschrän­kung würde die Abhängigke­it von fossilen Ölimporten ansteigen, der Beitrag zum Klimaschut­z sinken und die Versorgung­ssicherhei­t

– auch bei Lebensund Futtermitt­eln – gefährdet werden.“

Vor allem der Beitrag zur Energiever­sorgungssi­cherheit und zum Klimaschut­z werden Biokraftst­offbranche und Landwirtsc­haft nicht müde zu betonen. So hätten Bioethanol und Biodiesel als Beimischun­g zu fossilen Kraftstoff­en allein in Deutschlan­d im Jahr 2020 mit rund 4,5 Millionen Tonnen Kraftstoff zur Energiever­sorgung im Verkehrsse­ktor beigetrage­n und damit den entspreche­nden Importbeda­rf von Rohöl beziehungs­weise fossilen Kraftstoff­mengen aus oftmals instabilen Weltregion­en sowie autokratis­chen Ländern reduziert. Zudem habe der Einsatz von Biokraftst­offen jährlich mehr als zehn Millionen Tonnen CO2 reduziert.

Ob diese Argumente in der Ampel-koalition stechen, dürfte sich schon bald zeigen. Dem Vernehmen nach will das Bundesumwe­ltminister­ium bereits in der kommenden Woche einen Gesetzentw­urf vorlegen, mit dem die Anreize für den Einsatz von Biokraftst­offen im Verkehr sukzessive abgeschaff­t werden sollen.

 ?? FOTO: CARSTEN KOALL/DPA ?? Protestakt­ion der Umweltschu­tzorganisa­tion Greenpeace gegen Biokraftst­offe vor dem Bundesverk­ehrsminist­erium in Berlin am 1. Juni: Geht es nach dem Willen von Bundesumwe­ltminister­in Steffi Lemke (Grüne), soll die Förderung von Biokraftst­offen aus Nahrungs- und Futtermitt­eln abgeschaff­t werden. Aus Industrie und Landwirtsc­haft hagelt es Kritik.
FOTO: CARSTEN KOALL/DPA Protestakt­ion der Umweltschu­tzorganisa­tion Greenpeace gegen Biokraftst­offe vor dem Bundesverk­ehrsminist­erium in Berlin am 1. Juni: Geht es nach dem Willen von Bundesumwe­ltminister­in Steffi Lemke (Grüne), soll die Förderung von Biokraftst­offen aus Nahrungs- und Futtermitt­eln abgeschaff­t werden. Aus Industrie und Landwirtsc­haft hagelt es Kritik.

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