Schwäbische Zeitung (Wangen)

Europäisch­e Zentralban­k leitet Zinswende ein

Nach einem Jahrzehnt des billigen Geldes kündigt die Notenbank für Juli die erste Zinserhöhu­ng an – Hoffnung für Sparer

- Von Jörn Bender und Friederike Marx

(dpa) Europas Währungshü­ter leiten angesichts der Rekordinfl­ation einen Kurswechse­l ein und machen Sparern Hoffnung auf steigende Zinsen. Die milliarden­schweren Netto-anleihenkä­ufe laufen zum 1. Juli aus, bei der Sitzung am 21. Juli will die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) dann die Leitzinsen um 0,25 Prozentpun­kte anheben. Es wäre die erste Zinserhöhu­ng im Euroraum seit genau elf Jahren und voraussich­tlich der Anfang einer Serie von Zinsschrit­ten nach oben.

„Der EZB-RAT geht davon aus, dass er die Ezb-leitzinsen im September erneut anheben wird“, teilte die Notenbank nach der auswärtige­n Sitzung des Gremiums am Donnerstag in Amsterdam mit. Dann sei auch „ein größerer Zinsschrit­t“möglich, sollten die mittelfris­tigen Inflations­aussichten unveränder­t bleiben oder sich verschlech­tern, wie Ezb-präsidenti­n Christine Lagarde erläuterte. Die Normalisie­rung der seit Jahren ultralocke­ren Geldpoliti­k sei „nicht nur ein Schritt, es ist eine Reise“, sagte die Französin.

Schon vor der Sitzung am Donnerstag hatte es Forderunge­n nach einer Zinserhöhu­ng um 0,50 Prozentpun­kte gegeben – und das möglichst sogar schon im Juni. „Die EZB kündigt zwar eine erste Leitzinser­höhung im Juli und das Ende der Negativzin­sen im September an. Dieser Zeitplan ist allerdings immer noch zu zögerlich“, kritisiert­e unter anderen der Hauptgesch­äftsführer des

Bundesverb­andes deutscher Banken (BDB), Christian Ossig. „Das fundamenta­l geänderte Preisumfel­d rechtferti­gt einen negativen Leitzins bis in den Herbst hinein nicht mehr.“

Iris Bethge-krauß, Hauptgesch­äftsführer­in des Bundesverb­andes Öffentlich­er Banken Deutschlan­ds (VÖB), forderte „einen verlässlic­hen Ausstiegsp­lan und über den Sommer konkrete Zinsschrit­te raus aus der expansiven Geldpoliti­k“.

Doch zunächst bleibt der Leitzins im Euroraum auf dem Rekordtief von null Prozent. Banken müssen für geparkte Gelder bei der EZB weiterhin 0,5 Prozent Zinsen zahlen. Viele Geldhäuser berechnen deswegen Kunden ab bestimmten Summen auf dem Konto ein sogenannte­s Verwahrent­gelt.

In den vergangene­n Wochen hatte der Druck auf Europas Währungshü­ter zugenommen, mit Zinsanhebu­ngen die rekordhohe Teuerung einzudämme­n. Im Euroraum lagen die Verbrauche­rpreise im Mai 2022 um 8,1 Prozent über dem Niveau des Vorjahresm­onates, in Europas größter Volkswirts­chaft Deutschlan­d sprang die jährliche Inflations­rate im Mai mit 7,9 Prozent auf den höchsten Stand seit fast 50 Jahren.

Mittlerwei­le rechnet die EZB für das laufende Jahr mit 6,8 Prozent Inflation im Euroraum. Im März war die Notenbank noch davon ausgegange­n, dass die Verbrauche­rpreise im Schnitt um 5,1 Prozent über dem Vorjahresn­iveau liegen würden. Die EZB strebt für den Währungsra­um der 19 Länder mittelfris­tig stabile Preise bei einer jährlichen Teuerungsr­ate von zwei Prozent an. Höhere Inflations­raten schmälern die Kaufkraft von Verbrauche­rinnen und Verbrauche­rn, das heißt, sie können sich für einen Euro weniger leisten.

Getrieben wird die Inflation seit Monaten vor allem von steigenden Energiepre­isen, die nach dem russischen Angriff auf die Ukraine nochmals kräftig anzogen. Auch Probleme in den Lieferkett­en sorgen für steigende Preise.

Ifo-präsident Clemens Fuest bewertete die Ezb-entscheidu­ngen als „einen richtigen Schritt, der aber zu spät kommt“. Fuest sagte in München: „Die Preissteig­erungen betreffen nicht nur Energie und Lebensmitt­el, sie gewinnen an Breite.“

Während andere Notenbanke­n wie die Federal Reserve in den USA oder die Bank of England wegen steigender Inflations­raten ihre Leitzinsen

bereits mehrmals erhöhten, hielten Europas Währungshü­ter lange an der Einschätzu­ng fest, die steigende Teuerung sei von Sonderfakt­oren getrieben und daher vorübergeh­end.

Nun versucht die EZB eine Gratwander­ung zwischen hoher Inflation und gestiegene­n Risiken für die konjunktur­elle Erholung aus dem Corona-tief wegen des Ukraine-krieges. Die Wirtschaft im Euroraum wird nach der neuesten Ezb-vorhersage in diesem Jahr um 2,8 Prozent zulegen. Im März war die EZB noch von 3,7 Prozent Plus ausgegange­n.

Eine zusätzlich­e Hürde bei der geldpoliti­schen Normalisie­rung: Die EZB hatte in ihrem längerfris­tigen Ausblick („Forward Guidance“) festgelegt, dass sie bei einer Normalisie­rung der Geldpoliti­k zuerst die Anleihenkä­ufe beenden und danach die Zinsen anheben wird. Der Beschluss des Ezb-rates vom Donnerstag, dass die Notenbank nur noch bis Ende Juni frische Milliarden in den Erwerb von Staatsanle­ihen und Unternehme­nspapieren steckt, war also Voraussetz­ung für einen Zinsschrit­t im Juli. Gelder aus auslaufend­en Wertpapier­en will die EZB allerdings „für längere Zeit“in neue Anleihen reinvestie­ren.

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FOTO: JOHN THYS/AFP Ezb-präsidenti­n Christine Lagarde: Die Normalisie­rung der ultralocke­ren Geldpoliti­k sei „nicht nur ein Schritt, es ist eine Reise“.

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