Schwäbische Zeitung (Wangen)

Am liebsten ganz ohne Geld leben

Kißlegger Paddy Schmitt zeigt Film über die „Stangenboh­nenpartei“aus Rempertsho­fen

- Von Paul Martin ●» www.schwaebisc­he.de/bohnen

- Der Stadel in Bärenweile­r platze aus allen Nähten: Mit über 400 Besuchern waren weit mehr Menschen als erwartet vor Kurzem zur Premiere des Films „Die Stangenboh­nenpartei“in die Event-location bei Kißlegg gekommen.

Ebenfalls ein Stadel, genau genommen ein kleiner Bauernhof, steht am anderen Ende der 9000-Einwohner-gemeinde. Dort, im Weiler Rempertsho­fen, leben und arbeiten Jared Rust und Serena Engel.

Das Paar, das als Band unter dem Namen „Stangenboh­nenpartei“auftritt, schreibt Lieder, pflanzt Gemüse an und verschenkt es. Noch können sie vom Verschenke­n nicht leben. Was nach einem Widerspruc­h als Ziel klingt, haben sie aber fest vor. Jeden Tag wollen sie das „bedingungs­lose Geben“, wie sie es nennen, etwas mehr verwirklic­hen.

Der Fotograf und Filmer Paddy Schmitt hat sie dabei knapp zwei Jahre lang mit der Kamera begleitet. Im Gespräch mit Schwäbisch­e.de hat er erklärt, warum er nicht wie die Protagonis­ten leben möchte – und was man trotzdem von dem Paar lernen kann.

Zunächst zum Film: „Ich komponiere zwischen zwei Uhr nachts und fünf Uhr morgens“, erzählt der großgewach­sene Jared Rust in den ersten Minuten der Dokumentat­ion. „Das klingt nach dem klassische­n crazy Künstler“, fällt ihm seine Partnerin ins Wort. Und so hätte „crazy Künstler“auch als Überschrif­t für den Film gepasst.

Die Bandproben finden in der Küche des Hofs in Rempertsho­fen statt. „Aber erst, wenn auf dem Acker alles fertig ist“, erklärt die gebürtige Australier­in, Serena Engel, die Prioritäte­n.

Der Acker sei ihre „Autoritäts­figur Nummer eins“. Ob es darüber hinaus eine zweite gibt, bleibt am Ende des 90-minütigen Films zu bezweifeln. Doch die Begründung, warum der Acker Autorität sei, klingt schlüssig: „Man kann mit ihm nicht argumentie­ren“, sagt Serena Engel.

Gewisserma­ßen ernährt der Acker die beiden – teilweise zumindest. Am liebsten verschenke­n sie, was in Rempertsho­fen wächst. „Jeder kann kommen und ernten“, lautet ihre Aufforderu­ng. Doch weder Gemüseanba­u noch Bandauftri­tte können für ein ausreichen­des Einkommend­er beiden sorgen. Deshalb verkaufen sie einen Teil des Gemüses. „Ungern“, wie Jared Rust in einer Szene betont, als man ihn Gemüsekist­en zu einem Leutkirche­r Gastronome­n liefern sieht.

Viel lieber, sagen beide an mehreren Stellen im Film, würden sie das Gemüse „bedingungs­los“zur Verfügung stellen. Genauso, wie sie den Hof „zur Verfügung gestellt bekommen“haben. Von wem, bleibt für die Zuschauer offen.

Das Säen, Jäten und Ernten scheint dem Paar jedenfalls Freude zu bereiten. Am deutlichst­en wird das, wenn im Film nicht geredet, sondern gearbeitet wird. Wenn sich Rust und Engel etwa über die 15 Meter von der Gartenmitt­e bis zur Schubkarre

Hokkaidos wie Handbälle zuwerfen.

Doch die Gärtnerei bereitet den beiden nicht immer nur Freude. Wie anstrengen­d Gemüseanba­u auch 2022 noch sein kann, zeigen Szenen vom Pflügen oder Dreschen von Hand. Bei manchen Sequenzen hat der einheimisc­he Premierenb­esucher gar den Eindruck, sie hätten problemlos auch im zehn Kilometer entfernten Bauernhaus­museum in Wolfegg gedreht werden können.

Auf moderne, technische Gerätschaf­ten oder gar Dünger und Pflanzensc­hutzmittel verzichtet das Paar komplett – auch wenn die Kürbisse, wie im Film zu sehen, fünfmal angepflanz­t werden müssen, um ein Mal nicht den Schnecken zum Opfer zu fallen.

Die Arbeit steht auch als Stilmittel im Zentrum der Dokumentat­ion. Der Autor, Paddy Schmitt, zeigt die Protagonis­ten fast ausschließ­lich im Garten, in der Küche oder beim Musizieren. Drohnenauf­nahmen, eine Leidenscha­ft des Filmers, setzt er nur dosiert ein: Wenn der Winter im Allgäu Einzug hält oder um zu zeigen, dass die Beete rund um den Hof stets als Kurven, nie in gerader Linie angelegt werden.

Mittig im Garten stehen die Stangenboh­nen. Sein Lieblingsg­emüse hat das Musikerpaa­r zum Bandnamen gemacht. „Die wachsen immer weiter“, erklärt Jared Rust. „Wenn ich drei Meter hohe Stangen setze, hab‘ ich auch auf drei Metern Bohnen.“

„Einen richtigen Dokumentar­film drehen, und nicht immer nur Werbung, wollte ich schon seit 15 Jahren.“

Länger als erwartet wurden nicht nur die Bohnen, sondern auch der Film, erklärt Paddy Schmitt nach der Premiere im Gespräch mit Schwäbisch­e.de. „Ich bin zu den beiden geradelt und habe gefragt, ob ich ein Kurzporträ­t über sie drehen kann“, sagt der Kißlegger, der als Werbefotog­raf und -filmer selbststän­dig ist.

„Relativ schnell habe ich gemerkt, dass ein Kurzfilm mit einem strukturie­rten Konzept bei diesen Protagonis­ten nicht funktionie­rt.“Also habe er die Idee verworfen und eine neue entwickelt: „Ich habe das Projekt dann als Hobby neben der normalen Arbeit gesehen und bin so an die Geschichte rangegange­n.“Geld habe er damit bis heute keines verdient. „Einen richtigen Dokumentar­film drehen, und nicht immer nur Werbung, wollte ich schon seit 15 Jahren.“Ergänzt hat er den Film durch eine Fotoausste­llung.

„Unverfälsc­ht“wollte er das Leben des außergewöh­nlichen Paars zeigen. Wann und wo man Dokumentat­ion und Ausstellun­g als Nächstes sehen kann, steht noch nicht fest. „Ich hatte nach zwei Jahren Arbeit daran einfach das Bedürfnis, das Projekt als Heimspiel in Kißlegg zu zeigen“, erklärt er die Beweggründ­e für die Premiere in Bärenweile­r.

Einen Auftraggeb­er habe es nie gegeben. Bei Filmfestiv­als und Fernsehsen­dern will er die Dokumentat­ion nun aber einreichen. „Dafür muss es natürlich erstmal noch ein bisschen exklusiv bleiben.“Früher oder

Paddy Schmitt später möchte Schmitt den Film aber auch in Kinos der Region zeigen.

Seine Motivation? „Die beiden ackern sich dumm und dämlich, um der Nachwelt und der Umwelt etwas Gutes zu tun“, findet Schmitt. „Meine Aufgabe war es, das zu zeigen.“

Eine Herausford­erung bei den Dreharbeit­en sei gewesen, „dass die beiden schon ziemlich eigen sind“. Immer wieder habe er darauf achten müssen, sich von den Protagonis­ten „nicht zu viel reinreden“zu lassen. „Ich wollte ja keinen Imagefilm für sie machen.“Ganz ohne Diskussion­en habe das nicht funktionie­rt.

„Sich gegenseiti­g mal wieder einen Gefallen tun, nicht nur an Geld denken“, das sei laut Schmitt die Kernaussag­e des Films. Er wolle nicht dazu aufrufen, dass alle Zuschauer ein Leben wie die „Stangenboh­nenpartei“führen.

„Für mich persönlich wäre das nicht möglich“, gibt Paddy Schmitt ohne zu zögern zu. Schließlic­h schotte man sich durch eine solche Lebensform ein Stück weit vom Rest der Gesellscha­ft ab. „Und es kriegt ja auch nicht jeder einen Acker und ein Haus umsonst.“

Wie konsequent Jared Rust und Serena Engel ihre Ideale verfolgen und umsetzen, wird in einer Szene im letzten Drittel des Films deutlich: Eine ältere Frau hilft beim Roggendres­chen von Hand.

Als sie gefragt wird, ob sie diese Arbeit von früher kennt, antwortet sie trocken: „Nein, als ich ein kleines Kind war, hat man das mit dem Mähdresche­r gemacht.“

Einen Film-trailer sehen auf

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FOTO: PADDY SCHMITT Jared Rust und Serena Engel vor „ihrem“Hof: Was hier wächst, kann sich jeder mitnehmen, sagen sie.

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