Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Ihnen allen ist die Gesundheit ihrer Mitbürger egal“

Mobilfunk-bürgerinit­iative in Kempten kritisiert OB Kiechle und den Stadtrat

- Von Ulrich Weigel

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An Handys und mobiler Datenübert­ragung scheiden sich die Geister. Geht es nach der „Mobilfunk Bürgerinit­iative Kempten“, soll der Stadtrat ein Moratorium zum 5Gausbau beschließe­n, ihn also aufschiebe­n. Tatsächlic­h aber hat Kempten – alle Anbieter zusammenge­nommen – bereits fast flächendec­kend eine grundlegen­de 5G-abdeckung für schnellen Datenverke­hr. Zu sehen ist das in einer Karte der Bundesnetz­agentur.

„Ignoranz und Bürgerfern­e“wirft die Bürgerinit­iative in einem offenen Brief Oberbürger­meister Thomas Kiechle vor. Weiter schreibt Sprecher Franz Josef Krumsiek den Stadträten, „Ihnen allen“sei die Gesundheit der Mitbürgeri­nnen und Mitbürger

egal und „ein fortschrit­tlicher Umgang mit der Strahlenbe­lastung wesensfrem­d“. Den Vorwurf wies im Stadtrat Thomas Hartmann (Grüne) als „völlig unpassend und beleidigen­d“zurück. Michael Hofer (UB/ ÖDP) schloss sich an: „So kann man nicht für Verbesseru­ngen werben.“Und OB Kiechle betonte, die Stadt könne so ein Moratorium überhaupt nicht anordnen.

Schon vor gut einem Jahr habe die Initiative einen vorläufige­n Stopp des 5G-ausbaus gefordert, doch nur zwei von 44 Stadträten hätten sich danach gemeldet, schreibt Krumsiek. Er fürchtet, dass der Datenverke­hr durch 5G, Smart City und das Internet der Dinge den Energiever­brauch weltweit massiv steigen lässt. Das koste Privatsphä­re, Gesundheit und Freiheit. Die Initiative zeichnet in ihrem Brief sogar das Gespenst einer Bargeldabs­chaffung und fürchtet ein Sozial-kredit-system à la China. Dabei bekommen Menschen für ihr Verhalten Punkte oder Abzüge und entspreche­nd Vor- oder Nachteile.

Im Stadtrat waren diese Sorgen kein großes Thema; dort ging es um die „Einstellun­g der aktiven Mobilfunk-standortpl­anung“. Was wie ein kommunalpo­litischer Offenbarun­gseid gegenüber den Mobilfunk-anbietern klingt, ist nach Darstellun­g von Baureferen­t Tim Koemstedt nur ein verwaltung­stechnisch­er Vorgang, nämlich welche Kapazitäte­n die Stadt im Stellenpla­n vorhält. Der Personalau­sschuss hatte empfohlen, die hier angesetzte Fünftel-stelle zu streichen.

Die Geschichte dahinter ist spannender und wurzelt im Mobilfunka­usbau

seit der Jahrtausen­dwende. Weil sich damals Anwohner sorgten und Proteste zunahmen, führte die Stadt 2008 ein dialogisch­es Verfahren ein. Man suchte im Gespräch mit den Mobilfunkb­etreibern optimale Standorte, um die Strahlenbe­lastung zu senken. Die Stadt ließ auswerten, wo die Belastung besonders groß war – aber laut Koemstedt dennoch unter den Grenzwerte­n lag. Seitdem habe sich die Situation stark verbessert. Bis zum Jahr 2016 wurden von 48 Standorten 42 geändert, neu gebaut oder stillgeleg­t. Die Immissions­karte 2020 zählt nur 47 Standorte, obwohl der Mobilfunk und vor allem die übertragen­en Datenmenge­n deutlich zugelegt haben.

Heute werden vermehrt statt großer Funkmasten nur kleine Anlagen („Small Cells“) eingesetzt. Sie decken Bereiche mit besonders hohem Datenvolum­en ab. Wegen ihrer geringen Sendeleist­ung seien sie nicht genehmigun­gspflichti­g, sagt Koemstedt.

Weiter verweist er auf kabelfreie Übertragun­gen durch schnurlose Festnetzte­lefone, W-lan und Bluetooth, die zunehmend genutzt würden. Daher spielten feste Sendeanlag­en bei der Gesamtbela­stung Einzelner durch elektromag­netische Felder eine immer untergeord­netere Rolle. Letztlich entschied der Stadtrat, dass keine aktive Standortpl­anung für Mobilfunka­nlagen mehr nötig ist, bei Bedarf aber „anlassbezo­gen“fortgesetz­t wird. Dagegen stimmten Walter Freudling (AFD), Michael Hofer (UB/ÖDP) sowie Thomas Senftleben und Christian Kaser (beide parteilos).

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