Ein neuer Ansatz gegen Motorradlärm
Wie ein Mannheimer Modell gegen Autoposer auch bei Bikern im Allgäu wirken könnte
- Sollte ihnen nicht der derzeit häufige Regen mal wieder die Freude am Fahren verderben, so sind sie jetzt wieder ungezählt auf den Straßen der Region unterwegs. Die Rede ist von Motorradfahrern. In diesem Fall aber längst nicht von allen, sondern von jenen, die mit ihren Maschinen über Gebühr lärmen. Anwohner rechts und links besonders betroffener Strecken können ein leidvolles Lied davon singen. Denn ihrer habhaft zu werden, ist schwer. Ein in der Region bislang unbekanntes Verwaltungswerkzeug könnte aber helfen, den Krach röhrender Motoren zumindest einzudämmen.
Es ist ein sonniger Spätnachmittag in diesem Frühjahr. An der Kreisstraße zwischen Beutelsau, Allewinden und Wallmusried treffen sich an einem ruhigen Eck unterhalb der Praßberg-ruine Experten und Vertreter aus der Politik. Doch mit der Stille ist es schnell vorbei – wie so oft auf dieser bei Bikern so beliebten, weil kurvigen Strecke, die Kißlegg und Wangen auf besonders malerische Weise verbindet.
Es ist Feierabendzeit, und viele Motorradfahrer haben offenbar ihre Maschinen für Spritztouren durchs Allgäu aus den Garagen geholt. Die Motoren jaulen auch an der Kreisstraße auf. Mit der Folge, dass die Gesprächsteilnehmer enger und enger zusammenrücken, um das Wort des Gegenübers noch zu verstehen. Und das eigene.
Nebenan stoppen zwei Biker, sie besprechen sich kurz. Einer steigt wieder aufs Zweirad, der andere zückt das Handy. Biker Nummer eins düst mehrmals vorbei, Biker Nummer zwei fotografiert den Poser. Wangens Polizeichef Markus Ehmele schaut mit strengem Blick hinüber zum Ort des Geschehens – bis es ihm reicht. Er schreitet ein und ermahnt die beiden Motorradfahrer. „Ich hätte sie auch anzeigen können“, sagt er. Wegen sinnlosen Umherfahrens, um es platt auszudrücken.
Diese Möglichkeit eröffnet das Gesetz. Es gibt aber auch andere. Und die kennt Dieter Schäfer bestens. Bis vor zwei Jahren war er viele Jahre bei der Verkehrspolizei und als deren Chef in Mannheim tätig. „Aus Leidenschaft“, wie Schäfer sagt. Und deshalb ist er auch im Ruhestand noch viel in Sachen Verkehr unterwegs – der Ruhe wegen.
Dieses Mal ist Dieter Schäfer an das Eck unterhalb der Burgruine gekommen, auf Einladung der Wangener Landtagsabgeordneten Petra Krebs (Grüne). Ihr gegenüber hatten Bürger in Sprechstunden immer wieder ihren Ärger Luft gemacht wegen lärmender Motorradfahrer. Deshalb hatte sie zu dem Ortstermin geladen, nicht nur den Verkehrsexperten aus dem Nordwesten des Landes und Wangens Polizeichef, sondern auch Anwohner der Kreisstraße sowie Kißleggs Bürgermeister Dieter Krattenmacher und Leutkirchs Bürgermeisterin Christina Schnitzler. Am Abend, bei einem Vortrag des Experten in Kißlegg, gesellt sich auch Wangens Ordnungsamtsleiter Nicolai Müller hinzu.
Es ist schon am Nachmittag vor allem Dieter Schäfer, der spricht. Denn den Anwesenden erläutert er ein Konzept, das vor Jahren in Mannheim erfunden worden war, teils bereits bundesweit Schule gemacht hat, im Allgäu bislang aber noch nicht bekannt war.
Worum geht es? In der Kurpfalz waren 2016 nicht laute Zweiräder das Problem, sondern Autoposer, die mit aufgemotzten und getunten Wagen durch die Innenstadt brausten und jede Menge Lärm produzierten. Der Ärger unter Anliegern ging so weit, dass Geschäftsleute gar mit der Aufgabe ihrer Ladenlokale drohten.
An diesem Punkt setzte laut Schäfer eine konzertierte Aktion ein. Beteiligte
„Jeder hatte für uns Verständnis, aber uns sind die Hände gebunden.“
waren neben Bürgern die Polizei und die Stadt Mannheim. Und das funktionierte, vereinfacht gesagt, so: Beide Behörden schalteten eine gemeinsame Kontaktadresse frei. Dort konnte sich melden, wer Beschwerden hatte, gern auch inklusive der Kennzeichennennung des lärmenden Fahrzeugs.
Die Ordnungshüter schrieben daraufhin alle Halter an, die zweimal auffällig geworden waren, Schäfer spricht von einem „unfreundlichen Brief“oder einer „Gelben Karte“. Mit Erfolg: Die meisten der so Verwarnten seien daraufhin nicht mehr aufgefallen. Wohl auch, weil man sie erkannt und aus der Anonymität gerissen habe. Bei Unbelehrbaren seien Zwangsmaßnahmen nötig gewesen. Der aktuelle Bußgeldkatalog gibt für das Erzeugen unnötigen Lärms Strafen von bis zu 100 Euro und einem Punkt in Flensburg her, so Schäfer. Aber es gab auch Fahrzeuge, die komplett stillgelegt worden seien.
Rechtliche Grundlage für die Mannheimer Aktion ist die sogenannte Freibeweisregel. Die ist bereits seit 1977 durch den Bundesgerichtshof höchstrichterlich bestätigt, und ihre Schwellen sind niedrig. Denn nach dieser Regelung ist unnötiger Lärm schon dann verboten, wenn lediglich die „abstrakte Gefahr von Beeinträchtigungen anderer“besteht. Zudem muss der erzeugte Lärm nicht personell wie technisch aufwendig gemessen werden – es genügen bereits Zeugenaussagen. Wobei Schäfer ergänzt, die Beobachter sollten schon „qualifiziert“sein, am besten also aus dem Ordnungsamt oder von der Polizei kommen.
Der ehemalige Verkehrspolizist ist merklich stolz auf das Mannheimer Modell. Die Zahl von Beschwerden, „Gelben Karten“und drastischen Maßnahmen ging deutlich zurück. Es hielt auch vor Justitia stand. 2019 wies Baden-württembergs höchstes Gericht, der Verwaltungsgerichtshof, das Berufungsverfahren eines mehrfach geahndeten Autoposers letztinstanzlich zurück. Und der personelle Aufwand der Behörden halte sich auch in engen Grenzen.
Doch ist das in der dicht besiedelten Großstadt geborene Modell auf den ländlichen Raum übertragbar, wo die Zahl der lärmgeplagten Anlieger naturgemäß deutlich geringer ist? Laut Dieter Schäfer grundsätzlich ja. Denn letztlich komme es nicht darauf an, ob Autos Krach machen oder ob es Motorräder sind. Und für Betroffene wie Georgia
Georgia Mühleis aus Allewinden
Mühleis aus Allewinden ist es ein Hoffnungsschimmer. Seit 2005 ist sie nach eigener Schilderung gegen den Verkehrslärm vor ihrer Haustür aktiv. „Jeder hatte für uns Verständnis, aber uns sind die Hände gebunden.“Die vor einiger Zeit aufgestellten Warnschilder an der Kreisstraße seien bislang „das Äußerste“gewesen, was sich getan habe. Der mögliche Griff in den Geldbeutel der Sünder wirke da sicher besser.
Auch Leutkirchs Bürgermeisterin Christina Schnitzler findet den Ansatz „interessant“und ihr Kißlegger Amtskollege Dieter Krattenmacher „überlegenswert“, als sie von Dieter Schäfer bei dem Ortstermin erstmals Details des Projekts erfahren. Denn beide Kommunalpolitiker kennen in ihren Bereichen genügend Stellen, an denen man sich die Ohren zuhalten muss. In Leutkirch sind es etwa die Zufahrt zu Schloss Zeil, aber auch Strecken bei Willerazhofen und Schmiedsfelden, für Kißlegg nennt Krattenmacher als Beispiele Immenried
und Röthsee – abgesehen von der bei Bikern so beliebten Kreisstraße von Beutelsau über Allewinden bis hinauf nach Wallmusried.
Trotz allen Interesses sind an diesem Nachmittag die Stimmen zum Mannheimer Modell nicht allzu euphorisch. Die Umsetzbarkeit steht im Mittelpunkt ebenfalls durchzuhörender Skepsis. Und auch Dieter Schäfer konstatiert: Nicht jeder Ort in wenig besiedelten Gebieten ist geeignet, damit die „Hörproben“juristisch sattelfest sind. Dafür brauche es schon eine gewisse Betroffenheit. Als für die Region idealen möglichen Einstieg nannte er deshalb Kontrollen auf Höhe der Wangener Fachkliniken. Aber wer kann eigentlich betroffen sein? Bei direkten Anliegerinnen wie Georgia Mühleis ist die Sachlage klar. Doch Lärm macht eben nicht kurz hinterm Straßenrand halt. Das verdeutlicht Armin Schneider. Er wohnt in Herfatz und damit ein gehöriges Stück entfernt von der Kreisstraße. Und auch er hat vom Motorradlärm die Nase voll, berichtet von den sein höher gelegenes Heim erreichende Schallwellen.
Dieter Krattenmacher will sich unterdessen jetzt die Urteile zur Freibeweisregel und zum Mannheimer Modell durchlesen. Dann könne man gemeinsam mit der Polizei schauen, was geht. Am Willen soll es jedenfalls nicht liegen: „Wir müssen mal anfangen.“
Kißleggs Bürgermeister spricht diese Worte inzwischen in Wallmusried. Dorthin sind die Teilnehmer umgezogen. Und nicht nur dort sind sie seit einiger Zeit wieder gut verständlich. Denn kurz nachdem Markus Ehmele unter der Praßberg-ruine die beiden posenden Biker ermahnt hatte, waren nicht nur diese verschwunden: Es kamen auch keine weiteren mehr. Die plötzliche Anwesenheit eines Polizisten hatte offenbar Wirkung gezeigt – und sich womöglich in der Szene über soziale Netzwerke schnell herumgesprochen.