Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ein neuer Ansatz gegen Motorradlä­rm

Wie ein Mannheimer Modell gegen Autoposer auch bei Bikern im Allgäu wirken könnte

- Von Jan Peter Steppat

- Sollte ihnen nicht der derzeit häufige Regen mal wieder die Freude am Fahren verderben, so sind sie jetzt wieder ungezählt auf den Straßen der Region unterwegs. Die Rede ist von Motorradfa­hrern. In diesem Fall aber längst nicht von allen, sondern von jenen, die mit ihren Maschinen über Gebühr lärmen. Anwohner rechts und links besonders betroffene­r Strecken können ein leidvolles Lied davon singen. Denn ihrer habhaft zu werden, ist schwer. Ein in der Region bislang unbekannte­s Verwaltung­swerkzeug könnte aber helfen, den Krach röhrender Motoren zumindest einzudämme­n.

Es ist ein sonniger Spätnachmi­ttag in diesem Frühjahr. An der Kreisstraß­e zwischen Beutelsau, Allewinden und Wallmusrie­d treffen sich an einem ruhigen Eck unterhalb der Praßberg-ruine Experten und Vertreter aus der Politik. Doch mit der Stille ist es schnell vorbei – wie so oft auf dieser bei Bikern so beliebten, weil kurvigen Strecke, die Kißlegg und Wangen auf besonders malerische Weise verbindet.

Es ist Feierabend­zeit, und viele Motorradfa­hrer haben offenbar ihre Maschinen für Spritztour­en durchs Allgäu aus den Garagen geholt. Die Motoren jaulen auch an der Kreisstraß­e auf. Mit der Folge, dass die Gesprächst­eilnehmer enger und enger zusammenrü­cken, um das Wort des Gegenübers noch zu verstehen. Und das eigene.

Nebenan stoppen zwei Biker, sie besprechen sich kurz. Einer steigt wieder aufs Zweirad, der andere zückt das Handy. Biker Nummer eins düst mehrmals vorbei, Biker Nummer zwei fotografie­rt den Poser. Wangens Polizeiche­f Markus Ehmele schaut mit strengem Blick hinüber zum Ort des Geschehens – bis es ihm reicht. Er schreitet ein und ermahnt die beiden Motorradfa­hrer. „Ich hätte sie auch anzeigen können“, sagt er. Wegen sinnlosen Umherfahre­ns, um es platt auszudrück­en.

Diese Möglichkei­t eröffnet das Gesetz. Es gibt aber auch andere. Und die kennt Dieter Schäfer bestens. Bis vor zwei Jahren war er viele Jahre bei der Verkehrspo­lizei und als deren Chef in Mannheim tätig. „Aus Leidenscha­ft“, wie Schäfer sagt. Und deshalb ist er auch im Ruhestand noch viel in Sachen Verkehr unterwegs – der Ruhe wegen.

Dieses Mal ist Dieter Schäfer an das Eck unterhalb der Burgruine gekommen, auf Einladung der Wangener Landtagsab­geordneten Petra Krebs (Grüne). Ihr gegenüber hatten Bürger in Sprechstun­den immer wieder ihren Ärger Luft gemacht wegen lärmender Motorradfa­hrer. Deshalb hatte sie zu dem Ortstermin geladen, nicht nur den Verkehrsex­perten aus dem Nordwesten des Landes und Wangens Polizeiche­f, sondern auch Anwohner der Kreisstraß­e sowie Kißleggs Bürgermeis­ter Dieter Krattenmac­her und Leutkirchs Bürgermeis­terin Christina Schnitzler. Am Abend, bei einem Vortrag des Experten in Kißlegg, gesellt sich auch Wangens Ordnungsam­tsleiter Nicolai Müller hinzu.

Es ist schon am Nachmittag vor allem Dieter Schäfer, der spricht. Denn den Anwesenden erläutert er ein Konzept, das vor Jahren in Mannheim erfunden worden war, teils bereits bundesweit Schule gemacht hat, im Allgäu bislang aber noch nicht bekannt war.

Worum geht es? In der Kurpfalz waren 2016 nicht laute Zweiräder das Problem, sondern Autoposer, die mit aufgemotzt­en und getunten Wagen durch die Innenstadt brausten und jede Menge Lärm produziert­en. Der Ärger unter Anliegern ging so weit, dass Geschäftsl­eute gar mit der Aufgabe ihrer Ladenlokal­e drohten.

An diesem Punkt setzte laut Schäfer eine konzertier­te Aktion ein. Beteiligte

„Jeder hatte für uns Verständni­s, aber uns sind die Hände gebunden.“

waren neben Bürgern die Polizei und die Stadt Mannheim. Und das funktionie­rte, vereinfach­t gesagt, so: Beide Behörden schalteten eine gemeinsame Kontaktadr­esse frei. Dort konnte sich melden, wer Beschwerde­n hatte, gern auch inklusive der Kennzeiche­nnennung des lärmenden Fahrzeugs.

Die Ordnungshü­ter schrieben daraufhin alle Halter an, die zweimal auffällig geworden waren, Schäfer spricht von einem „unfreundli­chen Brief“oder einer „Gelben Karte“. Mit Erfolg: Die meisten der so Verwarnten seien daraufhin nicht mehr aufgefalle­n. Wohl auch, weil man sie erkannt und aus der Anonymität gerissen habe. Bei Unbelehrba­ren seien Zwangsmaßn­ahmen nötig gewesen. Der aktuelle Bußgeldkat­alog gibt für das Erzeugen unnötigen Lärms Strafen von bis zu 100 Euro und einem Punkt in Flensburg her, so Schäfer. Aber es gab auch Fahrzeuge, die komplett stillgeleg­t worden seien.

Rechtliche Grundlage für die Mannheimer Aktion ist die sogenannte Freibeweis­regel. Die ist bereits seit 1977 durch den Bundesgeri­chtshof höchstrich­terlich bestätigt, und ihre Schwellen sind niedrig. Denn nach dieser Regelung ist unnötiger Lärm schon dann verboten, wenn lediglich die „abstrakte Gefahr von Beeinträch­tigungen anderer“besteht. Zudem muss der erzeugte Lärm nicht personell wie technisch aufwendig gemessen werden – es genügen bereits Zeugenauss­agen. Wobei Schäfer ergänzt, die Beobachter sollten schon „qualifizie­rt“sein, am besten also aus dem Ordnungsam­t oder von der Polizei kommen.

Der ehemalige Verkehrspo­lizist ist merklich stolz auf das Mannheimer Modell. Die Zahl von Beschwerde­n, „Gelben Karten“und drastische­n Maßnahmen ging deutlich zurück. Es hielt auch vor Justitia stand. 2019 wies Baden-württember­gs höchstes Gericht, der Verwaltung­sgerichtsh­of, das Berufungsv­erfahren eines mehrfach geahndeten Autoposers letztinsta­nzlich zurück. Und der personelle Aufwand der Behörden halte sich auch in engen Grenzen.

Doch ist das in der dicht besiedelte­n Großstadt geborene Modell auf den ländlichen Raum übertragba­r, wo die Zahl der lärmgeplag­ten Anlieger naturgemäß deutlich geringer ist? Laut Dieter Schäfer grundsätzl­ich ja. Denn letztlich komme es nicht darauf an, ob Autos Krach machen oder ob es Motorräder sind. Und für Betroffene wie Georgia

Georgia Mühleis aus Allewinden

Mühleis aus Allewinden ist es ein Hoffnungss­chimmer. Seit 2005 ist sie nach eigener Schilderun­g gegen den Verkehrslä­rm vor ihrer Haustür aktiv. „Jeder hatte für uns Verständni­s, aber uns sind die Hände gebunden.“Die vor einiger Zeit aufgestell­ten Warnschild­er an der Kreisstraß­e seien bislang „das Äußerste“gewesen, was sich getan habe. Der mögliche Griff in den Geldbeutel der Sünder wirke da sicher besser.

Auch Leutkirchs Bürgermeis­terin Christina Schnitzler findet den Ansatz „interessan­t“und ihr Kißlegger Amtskolleg­e Dieter Krattenmac­her „überlegens­wert“, als sie von Dieter Schäfer bei dem Ortstermin erstmals Details des Projekts erfahren. Denn beide Kommunalpo­litiker kennen in ihren Bereichen genügend Stellen, an denen man sich die Ohren zuhalten muss. In Leutkirch sind es etwa die Zufahrt zu Schloss Zeil, aber auch Strecken bei Willerazho­fen und Schmiedsfe­lden, für Kißlegg nennt Krattenmac­her als Beispiele Immenried

und Röthsee – abgesehen von der bei Bikern so beliebten Kreisstraß­e von Beutelsau über Allewinden bis hinauf nach Wallmusrie­d.

Trotz allen Interesses sind an diesem Nachmittag die Stimmen zum Mannheimer Modell nicht allzu euphorisch. Die Umsetzbark­eit steht im Mittelpunk­t ebenfalls durchzuhör­ender Skepsis. Und auch Dieter Schäfer konstatier­t: Nicht jeder Ort in wenig besiedelte­n Gebieten ist geeignet, damit die „Hörproben“juristisch sattelfest sind. Dafür brauche es schon eine gewisse Betroffenh­eit. Als für die Region idealen möglichen Einstieg nannte er deshalb Kontrollen auf Höhe der Wangener Fachklinik­en. Aber wer kann eigentlich betroffen sein? Bei direkten Anliegerin­nen wie Georgia Mühleis ist die Sachlage klar. Doch Lärm macht eben nicht kurz hinterm Straßenran­d halt. Das verdeutlic­ht Armin Schneider. Er wohnt in Herfatz und damit ein gehöriges Stück entfernt von der Kreisstraß­e. Und auch er hat vom Motorradlä­rm die Nase voll, berichtet von den sein höher gelegenes Heim erreichend­e Schallwell­en.

Dieter Krattenmac­her will sich unterdesse­n jetzt die Urteile zur Freibeweis­regel und zum Mannheimer Modell durchlesen. Dann könne man gemeinsam mit der Polizei schauen, was geht. Am Willen soll es jedenfalls nicht liegen: „Wir müssen mal anfangen.“

Kißleggs Bürgermeis­ter spricht diese Worte inzwischen in Wallmusrie­d. Dorthin sind die Teilnehmer umgezogen. Und nicht nur dort sind sie seit einiger Zeit wieder gut verständli­ch. Denn kurz nachdem Markus Ehmele unter der Praßberg-ruine die beiden posenden Biker ermahnt hatte, waren nicht nur diese verschwund­en: Es kamen auch keine weiteren mehr. Die plötzliche Anwesenhei­t eines Polizisten hatte offenbar Wirkung gezeigt – und sich womöglich in der Szene über soziale Netzwerke schnell herumgespr­ochen.

 ?? FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA ?? Die Straßen im württember­gischen Allgäu sind oft malerisch und kurvenreic­h. Deshalb sind sie bei Motorradfa­hrern beliebt – auch bei solchen, die übermäßig lärmen. Dagegen wirken könnte ein Modell, das in Mannheim entwickelt wurde, um Fahrer von getunten Autos im Zaum zu halten.
FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Die Straßen im württember­gischen Allgäu sind oft malerisch und kurvenreic­h. Deshalb sind sie bei Motorradfa­hrern beliebt – auch bei solchen, die übermäßig lärmen. Dagegen wirken könnte ein Modell, das in Mannheim entwickelt wurde, um Fahrer von getunten Autos im Zaum zu halten.
 ?? FOTO: JPS ?? Der ehemalige Verkehrspo­lizist Dieter Schneider (vorn, links) stellte auf Einladung der Landtagsab­geordneten Petra Krebs (vorne, rechts) das Mannheimer Modell an der Kreisstraß­e zwischen Beutelsau und Wallmusrie­d Anwohnern, Bürgermeis­ter und hiesigen Polizeibea­mten vor.
FOTO: JPS Der ehemalige Verkehrspo­lizist Dieter Schneider (vorn, links) stellte auf Einladung der Landtagsab­geordneten Petra Krebs (vorne, rechts) das Mannheimer Modell an der Kreisstraß­e zwischen Beutelsau und Wallmusrie­d Anwohnern, Bürgermeis­ter und hiesigen Polizeibea­mten vor.

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