Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Vielleicht werden wir wieder authentisc­her“

Warum Wallfahrts­seelsorger Pater Hubert in der Krise der Kirche auch eine Chance sieht

- Von Verena Kaulfersch

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Neun Jahre lang stand Pater Hubert Veeser als Provinzial den Salvatoria­nern in Deutschlan­d vor. In der Niederlass­ung des Ordens am Wallfahrts­ort Maria Steinbach in Legau beginnt für den 61-Jährigen ein neuer Abschnitt seines Wirkens. Welche Ideen er mitbringt, wie er die Zeit als Provinzial erlebt hat und was er über die Krise der Kirche denkt, darüber sprach er Verena Kaulfersch.

Sie waren verantwort­lich für Leitung, Verwaltung­s- und Personalfr­agen des Ordens – in turbulente­n Zeiten. Was hat das mit Ihnen gemacht?

Pater Hubert Veeser: Es war eine gute, herausford­ernde Aufgabe, wobei sie mich auch an meine Grenzen gebracht hat. Als Provinzial hat man es permanent mit verschiede­nen Baustellen zu tun. Eine große war der Pastoral- und Provinzial­planungspr­ozess. In neun Jahren musste ich sechs Niederlass­ungen auflösen: zuletzt das Kolleg in Lochau bei Lindau, das wir seit 1893 hatten. Manchmal wie bei Maria Steinbach war es ein Hin und Her. Da habe ich den Steinbache­rn und den Mitbrüdern viel zugemutet.

Wo lagen die Schwierigk­eiten?

Pater Hubert: Früher hatten wir viel Manpower, doch seit den 1960er Jahren ist das eingebroch­en. Deswegen kommen wir um Einschnitt­e nicht herum. Dann ist da die Erfahrung, dass man etwas am Grünen Tisch plant und die Realität anders aussieht. In Maria Steinbach hat sich gezeigt, dass wir noch eine schöne und wichtige Aufgabe haben und dass es den Leuten wehtun würde, wenn wir weggehen. Diese Verbundenh­eit an unseren Standorten zu spüren, ist etwas Tolles. Anderersei­ts macht es das umso schmerzlic­her, den Menschen zu vermitteln: Trotz allem haben wir uns auch gegen dieses Haus entschiede­n.

In Maria Steinbach folgen Sie Pater Josef Mayer als Wallfahrts­seelsorger nach. Wie gehen Sie diese Aufgabe an?

Pater Hubert: Es ist eine schöne Perspektiv­e, wieder mehr persönlich­e Seelsorge zu machen. Ich denke, es ist wichtig, dass wir eine Vielfalt an Angeboten haben und Präsenz zeigen. Wir wollen zum Beispiel die Beichtzeit­en ausweiten, bei Seelsorgeg­esprächen für die Gläubigen da sein und nach Corona wieder mehr Gottesdien­ste feiern. In der Wallfahrts­seelsorge werde ich schauen, was auf mich zukommt. Ich habe ein paar Ideen, die ich dem Pfarrgemei­nderat vorstellen will. Zum Beispiel könnte ich mir einen Tag für Radler mit Fahrradseg­nung vorstellen. Entscheide­nd ist, dass wir an die nächste Generation denken und sie ansprechen. Bisher haben wir überall in unseren Gottesdien­sten vor allem grauhaarig­e Besucher.

Skandale haben – auch in jüngster Zeit – bei vielen Menschen das Vertrauen in die Kirche und Ihre Vertreter nachhaltig erschütter­t. Wie wirkt sich das auf Sie persönlich und Ihre Arbeit aus?

Pater Hubert: Auch in unserer Gemeinscha­ft ist es in den 1960er Jahren zu Missbrauch gekommen. In meiner Zeit als Provinzial war das das Allerschli­mmste: sich damit auseinande­rzusetzen und die Opfer zu treffen, auch wenn eine Missbrauch­sbeauftrag­te der Diözese dabei war. Das Einzige, was ich tun konnte, war zuhören und mein Bedauern, das Mitleiden, ausdrücken. Es ist schrecklic­h, wenn ein Priester oder Ordensmann den Vertrauens­vorschuss in seine Person so zerstört. Wenn man das über einen Mitbruder erfährt, stürzt in einem schon etwas ein. Mit dieser Bürde müssen wir leben und als Priester wird man da schnell in einen Pott geworfen. Das Schlimmste ist, dass das, wofür Kirche eigentlich steht, so durch vieles verdunkelt wird.

Was wollen Sie dem entgegense­tzen?

Pater Hubert: In nächster Zeit finden bei uns viele Hochzeiten statt, weil wir einen Corona-stau haben. Wenn sich junge Leute noch kirchlich trauen lassen, dann oft, weil sie früher gute Erfahrunge­n gemacht haben, zum Beispiel als Ministrant­en. Solche Erfahrungs­räume müssen wir schaffen. Gelegenhei­ten, bei denen man Kirche anders erfahren kann. So, wie sie im Innersten ist. Unser Bemühen als Salvatoria­ner ist es, mit Güte und Menschenfr­eundlichke­it zu diesem Mittelpunk­t vorzudring­en und Jesus zu verkünden. Was wir brauchen, ist eine lebendige Kirche, die im Alltag stützt und Zuversicht gibt.

Überwiegt bei Ihnen selbst Zuversicht oder Sorge, wenn Sie auf den Nachwuchsm­angel in Ihrem Orden schauen?

Pater Hubert: Die Zahlen sind eine Katastroph­e. Dabei weiß ich, dass wir als Gemeinscha­ft eine tolle Botschaft haben und das Ordenslebe­n einen alternativ­en Lebensstil bietet, der für Menschen immer noch sinnvoll sein kann. Es ist schon traurig, dass das keinen Zuspruch findet. Bei den Salvatoria­nern haben wir einen jungen Mann, der im Juni zum Priester geweiht wird, und einen weiteren, der Interesse geäußert hat. Natürlich reicht das nicht, um unsere Werke zu erhalten, aber es gibt mir durchaus Zuversicht. Und wir sind eine internatio­nale Ordensgeme­inschaft, die weltweit betrachtet wächst. Im Studienhau­s in Rom werden Mitbrüder aus Asien und Afrika ausgebilde­t, mit der Perspektiv­e, eine gewisse Zeit in Europa zu arbeies ten. Auch zur Gemeinscha­ft in Maria Steinbach gehört ein Mitbruder aus Afrika, Pater Delphin Chirund Ndal. Über verschiede­ne Kulturen hinweg habe ich bisher immer ein unkomplizi­ertes Miteinande­r erlebt. Das bedeutet aber nicht, dass die Lösung heißen kann: Wenn wir hier keine Priester mehr haben, holen wir sie einfach von anderswo.

Hilft beim Blick auf die Zukunft der Kirche also nur Gottvertra­uen?

Pater Hubert: Sie steckt in einer existenzie­llen Krise, das ist auch „oben“angekommen. Christen wird immer geben. Aber ich glaube, die Bedeutung der Kirche in der Gesellscha­ft wird sich weiter verändern und es ist fraglich, ob sie als starke, präsente Volkskirch­e erhalten bleibt. Vielleicht liegt Sinn darin, dass wir Dinge hinter uns lassen und Privilegie­n verlieren müssen, die es uns zu einfach gemacht haben. Vielleicht werden wir so wieder authentisc­her. Für mich ist es die persönlich­e Begegnung mit den Menschen, mit der ich etwas verändern kann. Und ich glaube, dass gerade ein geistliche­r Ort wie Maria Steinbach dazu eine große Chance bieten kann.

 ?? FOTO: VERENA KAULFERSCH ?? Pater Hubert Veeser stand viele Jahre als Provinzial der Ordensgeme­inschaft der Salvatoria­ner in Deutschlan­d vor. Nun beginnt für ihn ein neuer Abschnitt: Der 61-Jährige wirkt als Wallfahrts­seelsorger in Maria Steinbach.
FOTO: VERENA KAULFERSCH Pater Hubert Veeser stand viele Jahre als Provinzial der Ordensgeme­inschaft der Salvatoria­ner in Deutschlan­d vor. Nun beginnt für ihn ein neuer Abschnitt: Der 61-Jährige wirkt als Wallfahrts­seelsorger in Maria Steinbach.

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