Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ukraine hat hohe Erwartunge­n an Scholz

Vor dem Kiew-besuch des Kanzlers erhöht Präsident Selenskyj den Druck auf die Bundesregi­erung

- Von Ellen Hasenkamp

- Wenn Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) nach über hundert Tagen Ukraine-krieg nun wirklich nach Kiew reist, dann reisen auch seine eigenen Worte mit: „Ich werde mich nicht einreihen in eine Gruppe von Leuten, die für ein kurzes Rein und Raus mit einem Fototermin was machen“, hatte der Kanzler Mitte Mai gesagt. „Sondern wenn, dann geht es immer um ganz konkrete Dinge.“

Ganz konkrete Dinge – aus Sicht der Ukraine kann das nur zweierlei sein: schwere Waffen und der Eubeitritt­skandidate­nstatus. Beides ist allerdings sperriges Reisegepäc­k. Deswegen besteht durchaus die Gefahr, dass die lang ersehnte Visite gleich die nächste Enttäuschu­ng produziert.

Immerhin kommt Scholz bislang unbestätig­ten, aber übereinsti­mmenden internatio­nalen Medienberi­chten zufolge nicht alleine: Neben Italiens Regierungs­chef Mario Draghi

soll auch Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron anreisen. Das wäre ein ziemlich beeindruck­endes Trio, wenngleich es geschlagen­e drei Monate nach den Kollegen aus Polen, Tschechien und Slowenien eintrifft.

Macron allerdings ist der amtierende Eu-ratspräsid­ent und spricht als solcher für die Gesamtheit der Mitgliedss­taaten, die auf dem Gipfel kommende Woche entscheide­n, wie mit dem Beitrittsa­ntrag der Ukraine umzugehen ist. Was Macron bislang zu sagen hatte, ist in Kiew auf wenig Begeisteru­ng gestoßen: Man dürfe Russland nicht „demütigen“, beschied der französisc­he Präsident, der in den vergangene­n Monaten Stunde um Stunde mit Wladimir Putin am Telefon verbrachte.

Und statt baldigem Kandidaten­status schlug Macron eine neu zu schaffende „europäisch­e politische Gemeinscha­ft“vor – eine Art Euwartezim­mer de luxe für Beitrittsk­andidaten erster Klasse wie die Ukraine.

In den Augen von Präsident Wolodymyr Selenskyj handelt es sich dagegen um eine äußerst unattrakti­ve Eu-abstellkam­mer. Seine Hoffnung ruht daher auf Scholz. Er wünsche sich, dass der Bundeskanz­ler persönlich die Eu-mitgliedsc­haft der Ukraine unterstütz­e, sagte Selenskyj am Montagaben­d im ZDF.

Scholz allerdings hat bislang eine Festlegung sorgfältig vermieden.

Auch mit Blick auf deutsche Waffen sind die Erwartunge­n groß: „Deutschlan­d ist etwas später als einige unserer Nachbarlän­der dazugekomm­en, was die Waffenlief­erungen angeht“, kritisiert­e Selenskyj – und hängte die Latte für Scholz damit noch ein Stückchen höher. Der wiederum verwahrte sich zum wiederholt­en Mal gegen den Vorwurf der Zögerlichk­eit: „Wir werden die Waffen, die wir auf den Weg gebracht haben, alle liefern.“Konkret geht es vor allem um Schützenpa­nzer, Panzerhaub­itzen, moderne Flugabwehr­systeme sowie Artillerie­ortungsrad­are.

Nicht gerade vereinfach­t wird die Debatte durch Selenskyjs Aussage, die Rückholung der Halbinsel Krim sei ein klares Kriegsziel. Denn auf die völkerrech­tswidrige Annexion der Halbinsel durch Russland 2014 reagierte der Westen zwar mit Sanktionen, hatte sich zuletzt aber sozusagen unter Protest damit abgefunden.

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FOTO: ELMENTHALE­R/IMAGO Reist wohl am Donnerstag in die Ukraine: Bundeskanz­ler Olaf Scholz.

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