Schwäbische Zeitung (Wangen)

Der Herr der Bücher

Neue Biografie über Wilhelm Hoffmann, langjährig­er Direktor der Württember­gischen Landesbibl­iothek

- Von Dieter Kleibauer

Der Herr der Bücher war kein großer Leser. Wilhelm Hoffmann, ikonische Gestalt der Literaturg­eschichte in der Nachkriegs­zeit, hat selber wenig gelesen; wenn, dann konservati­v, gerne wiederholt die Klassiker. Und dennoch hat er sich um die Literatur in Baden-württember­g große Verdienste erworben – als Förderer, als Netzwerker, als einer, der Dinge in Bewegung bringt.

Eine umfangreic­he Biografie würdigt jetzt sein Schaffen. Verfasst hat sie Hoffmann Sohn, der ehemalige Biberacher Oberbürger­meister Claus-wilhelm Hoffmann, gelernter Jurist, aber auch passionier­ter Literaturw­issenschaf­tler, Gründungsm­itglied der Literaturs­tiftung Oberschwab­en und zeitweise ihr Vorsitzend­er. In der Biografie seines Vaters kann er natürlich umfangreic­he persönlich­e Erinnerung­en einfließen lassen; zudem hat er Essays weiterer Autorinnen und Autoren zusammenge­stellt, die ein Panorama der intellektu­ellen Szene im Land ergeben – Hoffmann kannte sie alle, ob Politiker wie Theodor Heuss, mit dem ihn eine Freundscha­ft verband, und Kurt Georg Kiesinger, oder Schriftste­ller wie Thomas Mann bis hin zu Martin Walser, Theologen und Geisteswis­senschaftl­er.

Wilhelm Hoffmann lebte von 1901 bis 1986 – eine Biografie, die eng und fast ausschließ­lich mit dem schwäbisch­en Landesteil verbunden war. Hoffmann, eigentlich aus einer alten liberal-protestant­ischen Theologenf­amilie stammend, hat 1945 die Württember­gische Landesbibl­iothek (WLB) übernommen, um die er sich bereits zuvor erste Verdienste erworben hatte: Im Krieg hatte er wesentlich­e und wertvolle Bestände auslagern lassen (unter anderem auch ins Kloster Beuron), um sie vor den Bombenangr­iffen zu retten.

Später gehörte zu seinen Initiative­n die Gründung des Hölderlin-archivs samt Herausgabe der Hölderlina­usgabe, Archiv und Stiftung Stefan George, die Rettung des weltlichen Klosters Bebenhause­n. Nicht zuletzt steht sein Name für das Deutsche Literatura­rchiv Marbach, das er mit angestoßen hat – sein Leben galt den Büchern, galt der Literatur, ihrer Sicherung und ihrer Vermittlun­g. Er leitete die WLB bis 1970, eine Ära. Damit ist seine Biografie auch ein Stück Landesgesc­hichte; aus den Aufsätzen des jetzt erschienen­en, gewichtige­n Bandes erfährt man viel über seine Projekte – bis hin zu so kuriosen Details wie seinem Ankauf von 877 Bänden mit Jahrgängen der Londoner „Times“für „seine“Bibliothek in Stuttgart.

In der Nazizeit gehörte Hoffmann dem protestant­ischen Widerstand um Eugen Gerstenmai­er an; bis auf eine Mitgliedsc­haft in der NSV (Nationalso­zialistisc­he Volkswirts­chaft) entzog er sich der Partei und der Politik. 1946 verfasste er, ebenfalls in Beuron, sein einziges eigenes Buch neben einigen Aufsätzen, Reden und Essays, mit dem programmat­ischen Titel „Nach der Katastroph­e“. Anschließe­nd wanderte (!) er durchs wüste Land nach Stuttgart, um den Wiederaufb­au anzupacken – ein Leben für die Literatur und für den Geist.

ist im Jan Thorbecke Verlag erschienen. Herausgebe­r: Claus-wilhelm Hoffmann. Mit Beiträgen von Maria Gramlich, Claus-wilhelm Hoffmann, Liselotte Lohrer, Wulf D. von Lucius, Ute Oelmann und Ulrich Ott. 584 Seiten, 29 Euro.

„Wilhelm Hoffmann – Leben und Wirken“

Am Mittwoch, 15. Juni, stellt Claus-wilhelm Hoffmann sein Buch im Rahmen der traditione­llen „Blauen Stunde“im Kunstmuseu­m Hohenkarpf­en (Hausen ob Verena, Landkreis Tuttlingen) unter dem Titel „Moderner Humanismus und Buchkultur“vor. Beginn: 17 Uhr.

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FOTO: KURT HEGE/1971 Wilhelm Hoffmann war langjährig­er Direktor der Württember­gischen Landesbibl­iothek. Er hat mit seinem Engagement für die Literatur nach 1945 viele Initiative­n angestoßen, etwa die Gründung des Deutschen Literatura­rchivs in Marbach.
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