Schiller trifft auf bayerischen Hiasl
Freilichtspiel Altusried: Neues Stück aus Feder von Kluftinger-co-autor Volker Klüpfel
- „Zu spät! Das muss schneller gehen!“– Jana Vetten reißt die Arme hoch und rennt auf der Tribüne der Altusrieder Freilichtbühne wild gestikulierend hin und her. Die Proben des neuen großen Freilichtspiels „Schiller & der Bayerische Hiasl: Wir Räuber“sind in der Endphase. Am 18. Juni ist Premiere. Noch ein paar Tage Zeit also, um am Timing des dreistündigen Spiels zu feilen. Für den Wilderer-haufen heißt das: Wieder zurück, alles auf Anfang. Der zweite Auftritt klappt dann schon besser. Jana Vetten nickt zustimmend.
Regie führen hat auch etwas mit Sport zu tun. Zumindest wenn man Jana Vetten heißt. Es ist nicht sonderlich warm an diesem Proben-nachmittag, und doch trägt die Regisseurin zwar Shirt und Jacke, aber auch eine kurze Turnhose und Turnschuhe. Vettens Laufwege sind lang. Am Tribünenrand tigert sie auf und ab, gibt lautstark Anweisungen, oder springt hinunter zu den Darstellerinnen und Darstellern, um Szenen zu besprechen und Ratschläge zu geben. „Ich brauche kein Fitness-studio“, sagt die 33-Jährige. Dafür freilich etwas anderes: „Yoga, um wieder herunterzukommen.“Für Vetten ist Regiearbeit immer eine physische Angelegenheit. Energieübertragung sei beim Regieführen wichtig. Im Sitzen funktioniere das nicht so gut. Der Ton zwischen Regisseurin und Spielern ist bestimmt, aber freundschaftlich. Man kennt sich, schätzt sich. Denn Jana Vetten führt nach „Artus!“(2019) zum zweiten Mal in Altusried Regie. Wieder hat sie ihr künstlerisches Profi-team mitgebracht. Cornelius Borgolte gehört dazu. Der Komponist will diesmal einen Schritt weiter gehen als bei „Artus!“und die Musik noch enger mit der Handlung verknüpfen.
Borgolte arbeitet filmmusikalisch; so hat er den Wilderern und anderen wichtigen Gruppen Leitmotive zugeordnet, die im Laufe der Handlung variiert werden. Viel zu tun hat unter anderem die Perkussionsabteilung, die auch Raufereien akustisch kommentiert. Beim Einmarsch der Soldaten kommen Piccolo-flöten und Trommel zum Einsatz, Jagdhörner kündigen den Auftritt der Jäger an. Es werde auch einen Kampf der Geräusche geben, sagt
Borgolte. War die Musik bei „Artus!“mystisch und düster angelegt, so gehe es nun fröhlicher, humorvoller zu. Dafür soll auch das Volkslied vom „Bayerischen Hiasl“sorgen.
Das 21-köpfige Projektorchester hat die Altusrieder Dirigentin Gertrud Hiemer-haslach wieder aus einem Pool aus Musikerinnen und Musikern aus dem Allgäu und Oberschwaben zusammengestellt. Es ist ihr viertes großes Freilichtspiel und die zweite Zusammenarbeit mit Cornelius Borgolte. Hiemer-haslach dirigiert aus dem Orchestergraben. Neun Blechbläser stellen die größte Abteilung. Im neuen Stück spielen neben der Piccolo-flöte auch die Bass-klarinette eine Rolle. Verschiedene Handlungsebenen und Brüche im Stück waren eine Herausforderung, erzählt Komponist Borgolte. Was wäre, wenn im 18. Jahrhundert der berüchtigte Räuber Matthäus Klostermair alias „der bayerische Hiasl“auf den aufstrebenden und freiheitsliebenden Dichter Friedrich Schiller getroffen wäre? Diese Frage beschäftigte Autor Volker Klüpfel (Jahrgang 1971). Der Kluftinger-coautor wuchs in Altusried auf und gab dort 1982 als Tell-junge sein Freilichtspieler-debüt; zuletzt war er als König Artus zu sehen.
Für sein erstes Freilichtstück hat sich Klüpfel noch etwas Besonderes einfallen lassen: Er thematisiert das Freilichtspiel selbst und hat an den Anfang seines Stücks eine fiktive Probe gestellt. Ein humorvoller Start in eine am Ende dramatische Geschichte. Roland Wintergerst spielt den bayerischen Hiasl. Dieser sei kein klassischer Held, auch wenn er sich zunächst gegen die Ungerechtigkeit auflehnt. „Sein eigener Narzissmus
steht ihm am Ende im Weg“, sagt der 55-Jährige. Sebastian Schwab gibt an seiner Seite den Dichter Friedrich Schiller. Kurzfristig sprang der 45-Jährige für Florian Jungbold (36) ein, dem beim Treppensteigen die Achillessehne gerissen war (wir berichteten). So hat Schwab bei den Proben immer noch auch das Textbuch als Stütze im Arm. Aber bis zur Premiere sitzt der Text, sagt der Profi-schauspieler.
Die Geschichte wird auf verschiedenen Ebenen erzählt (Bühnenbild: Maximilian Lindner): Da gibt es die bereits erwähnte Gegenwartsebene mit der fiktiven Freilichtspiel-probe. Hier (und auch später noch) hat Volker Klüpfel im Wechsel mit Alexander May einen Auftritt als Autor. Auf der historischen Ebene trifft Hiasl auf Schiller, eine Wildererbande treibt ihr Unwesen und eine abgehobene adelige Gesellschaft genießt ihr Leben. Kostümbildnerin Eugenia Leis hat sich für die bonbonfarbenen, ausladenden Gewänder der Adeligen vom Punschkrapfen, einem österreichischen würfelförmigen Gebäck mit bunter Zuckerglasur, inspirieren lassen. Aber auch vom Kinderbuchklassiker „Alice im Wunderland“, erzählt sie. Seit zehn Jahren arbeitet Leis nun schon mit Jana Vetten und genießt wieder die Freilichtspielatmosphäre in Altusried. Das tut auch die Regisseurin. Am Ende der Probe ist Jana Vetten zufrieden. Sie kennt ihre Spielerinnen und Spieler mittlerweile ganz gut. Die Arbeit sei deutlich entspannter als beim ersten Mal. Gleichwohl müssten alle schon auch etwas aushalten. „Ich glaube, ich bin aber etwas weniger streng als bei Artus“, sagt Jana Vetten und lacht.