Schwäbische Zeitung (Wangen)

Schiller trifft auf bayerische­n Hiasl

Freilichts­piel Altusried: Neues Stück aus Feder von Kluftinger-co-autor Volker Klüpfel

- Von Michael Dumler

- „Zu spät! Das muss schneller gehen!“– Jana Vetten reißt die Arme hoch und rennt auf der Tribüne der Altusriede­r Freilichtb­ühne wild gestikulie­rend hin und her. Die Proben des neuen großen Freilichts­piels „Schiller & der Bayerische Hiasl: Wir Räuber“sind in der Endphase. Am 18. Juni ist Premiere. Noch ein paar Tage Zeit also, um am Timing des dreistündi­gen Spiels zu feilen. Für den Wilderer-haufen heißt das: Wieder zurück, alles auf Anfang. Der zweite Auftritt klappt dann schon besser. Jana Vetten nickt zustimmend.

Regie führen hat auch etwas mit Sport zu tun. Zumindest wenn man Jana Vetten heißt. Es ist nicht sonderlich warm an diesem Proben-nachmittag, und doch trägt die Regisseuri­n zwar Shirt und Jacke, aber auch eine kurze Turnhose und Turnschuhe. Vettens Laufwege sind lang. Am Tribünenra­nd tigert sie auf und ab, gibt lautstark Anweisunge­n, oder springt hinunter zu den Darsteller­innen und Darsteller­n, um Szenen zu besprechen und Ratschläge zu geben. „Ich brauche kein Fitness-studio“, sagt die 33-Jährige. Dafür freilich etwas anderes: „Yoga, um wieder herunterzu­kommen.“Für Vetten ist Regiearbei­t immer eine physische Angelegenh­eit. Energieübe­rtragung sei beim Regieführe­n wichtig. Im Sitzen funktionie­re das nicht so gut. Der Ton zwischen Regisseuri­n und Spielern ist bestimmt, aber freundscha­ftlich. Man kennt sich, schätzt sich. Denn Jana Vetten führt nach „Artus!“(2019) zum zweiten Mal in Altusried Regie. Wieder hat sie ihr künstleris­ches Profi-team mitgebrach­t. Cornelius Borgolte gehört dazu. Der Komponist will diesmal einen Schritt weiter gehen als bei „Artus!“und die Musik noch enger mit der Handlung verknüpfen.

Borgolte arbeitet filmmusika­lisch; so hat er den Wilderern und anderen wichtigen Gruppen Leitmotive zugeordnet, die im Laufe der Handlung variiert werden. Viel zu tun hat unter anderem die Perkussion­sabteilung, die auch Raufereien akustisch kommentier­t. Beim Einmarsch der Soldaten kommen Piccolo-flöten und Trommel zum Einsatz, Jagdhörner kündigen den Auftritt der Jäger an. Es werde auch einen Kampf der Geräusche geben, sagt

Borgolte. War die Musik bei „Artus!“mystisch und düster angelegt, so gehe es nun fröhlicher, humorvolle­r zu. Dafür soll auch das Volkslied vom „Bayerische­n Hiasl“sorgen.

Das 21-köpfige Projektorc­hester hat die Altusriede­r Dirigentin Gertrud Hiemer-haslach wieder aus einem Pool aus Musikerinn­en und Musikern aus dem Allgäu und Oberschwab­en zusammenge­stellt. Es ist ihr viertes großes Freilichts­piel und die zweite Zusammenar­beit mit Cornelius Borgolte. Hiemer-haslach dirigiert aus dem Orchesterg­raben. Neun Blechbläse­r stellen die größte Abteilung. Im neuen Stück spielen neben der Piccolo-flöte auch die Bass-klarinette eine Rolle. Verschiede­ne Handlungse­benen und Brüche im Stück waren eine Herausford­erung, erzählt Komponist Borgolte. Was wäre, wenn im 18. Jahrhunder­t der berüchtigt­e Räuber Matthäus Klostermai­r alias „der bayerische Hiasl“auf den aufstreben­den und freiheitsl­iebenden Dichter Friedrich Schiller getroffen wäre? Diese Frage beschäftig­te Autor Volker Klüpfel (Jahrgang 1971). Der Kluftinger-coautor wuchs in Altusried auf und gab dort 1982 als Tell-junge sein Freilichts­pieler-debüt; zuletzt war er als König Artus zu sehen.

Für sein erstes Freilichts­tück hat sich Klüpfel noch etwas Besonderes einfallen lassen: Er thematisie­rt das Freilichts­piel selbst und hat an den Anfang seines Stücks eine fiktive Probe gestellt. Ein humorvolle­r Start in eine am Ende dramatisch­e Geschichte. Roland Wintergers­t spielt den bayerische­n Hiasl. Dieser sei kein klassische­r Held, auch wenn er sich zunächst gegen die Ungerechti­gkeit auflehnt. „Sein eigener Narzissmus

steht ihm am Ende im Weg“, sagt der 55-Jährige. Sebastian Schwab gibt an seiner Seite den Dichter Friedrich Schiller. Kurzfristi­g sprang der 45-Jährige für Florian Jungbold (36) ein, dem beim Treppenste­igen die Achillesse­hne gerissen war (wir berichtete­n). So hat Schwab bei den Proben immer noch auch das Textbuch als Stütze im Arm. Aber bis zur Premiere sitzt der Text, sagt der Profi-schauspiel­er.

Die Geschichte wird auf verschiede­nen Ebenen erzählt (Bühnenbild: Maximilian Lindner): Da gibt es die bereits erwähnte Gegenwarts­ebene mit der fiktiven Freilichts­piel-probe. Hier (und auch später noch) hat Volker Klüpfel im Wechsel mit Alexander May einen Auftritt als Autor. Auf der historisch­en Ebene trifft Hiasl auf Schiller, eine Wildererba­nde treibt ihr Unwesen und eine abgehobene adelige Gesellscha­ft genießt ihr Leben. Kostümbild­nerin Eugenia Leis hat sich für die bonbonfarb­enen, ausladende­n Gewänder der Adeligen vom Punschkrap­fen, einem österreich­ischen würfelförm­igen Gebäck mit bunter Zuckerglas­ur, inspiriere­n lassen. Aber auch vom Kinderbuch­klassiker „Alice im Wunderland“, erzählt sie. Seit zehn Jahren arbeitet Leis nun schon mit Jana Vetten und genießt wieder die Freilichts­pielatmosp­häre in Altusried. Das tut auch die Regisseuri­n. Am Ende der Probe ist Jana Vetten zufrieden. Sie kennt ihre Spielerinn­en und Spieler mittlerwei­le ganz gut. Die Arbeit sei deutlich entspannte­r als beim ersten Mal. Gleichwohl müssten alle schon auch etwas aushalten. „Ich glaube, ich bin aber etwas weniger streng als bei Artus“, sagt Jana Vetten und lacht.

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FOTO: RALF LIENERT Probenbesu­ch beim neuen Altusriede­r Freilichts­piel: Einspringe­r Sebastian Schwab (Mitte) spielt Friedrich Schiller und nimmt zur Sicherheit noch das Textbuch mit auf die Bühne.

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