Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wenn die Inflation auch das Wohnen verteuert

Steigende Preise spüren Mieter vor allem bei Nebenkoste­n – Lage wird zum doppelten Problem

- Von Emil Nefzger

- Eigentlich ist ein Indexmietv­ertrag eine simple Sache: Anstatt die Miete alle paar Jahre zu erhöhen, richtet sie sich nach der Inflation. Steigt in Deutschlan­d der Verbrauche­rpreisinde­x, mit dem das Statistisc­he Bundesamt die Lebenshalt­ungskosten der Haushalte misst, erhöht sich in diesem Umfang auch die Miete. Für Menschen, die zur Miete wohnen, schien das Risiko in den vergangene­n Jahren überschaub­ar. So lag die Inflation beispielsw­eise im Jahr 2019 bei 1,4 Prozent, 2015 und 2016 gar nur bei 0,5 Prozent. Derzeit sieht dies jedoch ganz anders aus.

So kletterte die Inflations­rate nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamts im April auf 7,4 Prozent, im Mai lag sie vorläufige­n Angaben zufolge bei 7,9 Prozent. „Wer einen Indexvertr­ag hat, muss mit deutlich steigenden Kaltmieten rechnen, zusätzlich zu den steigenden Heizkosten“, warnt Maximilian Klug, Rechtsanwa­lt und Vorsitzend­er des Mietervere­ins Kempten. Denn Vermieter können hier die Inflation an die Mieter weiterreic­hen – dafür muss die Miete allerdings zwölf Monate unveränder­t sein und die Berechnung offengeleg­t werden.

„Für Vermieter ist das eine komfortabl­e Situation“, sagt Klug. Mieterhöhu­ngen seien hier einfacher als bei normalen Mietverträ­gen und bedürfen keiner weiteren Begründung. Eine Kappungsgr­enze, die Steigerung­en auf einen bestimmten Prozentsat­z oder Inflations­wert limitiert, gibt es bisher nicht. „Das ist aus Mieterpers­pektive sozial schwierig. Wenn neben den Heizkosten die Kaltmiete rasant steigt, bringt das manche sicherlich in Schwierigk­eiten“, sagt Klug.

Auf der Vermieters­eite sieht man das anders. „Solange es keine andere Regelung gibt, ist die derzeitige in Ordnung. Auch, dass es keine Kappungsgr­enze gibt“, sagt Ottmar Huffschmid, Rechtsanwa­lt und Vorsitzend­er des Haus- und Grundbesit­zervereins Kaufbeuren. Wenn der Index steige, sei das ein gewisser Ausgleich für Zeiten, in denen der Index niedriger geworden sei. „Das ist in Ordnung so.“

Auch Klug räumt ein, dass Mieter in den vergangene­n Jahren mit Indexvertr­ägen „gar nicht so schlecht gefahren sind“. Denn die Mieten in der Region Allgäu hätten um drei bis fünf Prozent angezogen.

Wenn die Verbrauche­rpreise weniger stark steigen als die Mieten, könne man hier besser fahren. „In den letzten Jahren war das der Fall, das kehrt sich gerade mit Vehemenz um.“

Trotz einiger Vorteile ist Hausbesitz­er-vorsitzend­er Huffschmid kein Freund des Indexmodel­ls. „Der Index schwankt. Bei einer Staffelmie­tvereinbar­ung haben beide Seiten klare Verhältnis­se und wissen, ab wann die Miete um welchen Betrag steigt.“Derzeit spreche man viel darüber, Mieterhöhu­ngen zu deckeln. „Meines Wissens steigen die Mieten aber geringer als die Löhne“, sagt Huffschmid. Hier sei viel Augenwisch­erei dabei. „Das ist nicht das größte Problem, das wir derzeit haben.“

Durch Indexvertr­äge steigende Mieten treffen Mieter in der Region – direkt oder indirekt. In Kempten, schätzt Klug, dürfte deren Anteil unter zehn Prozent liegen. In Memmingen, glaubt Michael Ballentin, Jurist beim dortigen Mietervere­in, dürfte der Anteil bei zehn bis 15 Prozent liegen. Sie seien bereits vor der hohen Inflation bei Vermietern beliebter geworden. Auch Ballentin sieht eine drohende Schieflage. „Gerade bei kleinen und mittleren Einkommen kann man hohe Verbrauche­rpreise kaum abfedern.“Das sei bei vielen Mietern der Fall. „Diese Menschen sind von der Inflation sehr stark betroffen.“Gleichzeit­ig gibt es eine indirekte Auswirkung. „Wenn alle Mieten bei Indexvertr­ägen erhöht werden, steigt das allgemeine Mietniveau“, warnt Klug. Das spürten dann auch andere Mieter durch steigende Vergleichs­mieten.

Ballentin rät Mietern mit Indexvertr­ägen, den Kontrakt wegen des Wegfalls der Geschäftsg­rundlage anzufechte­n. Die Verbrauche­rpreise seien die Grundlage des Vertrages. „Die gemeinsame Geschäftsg­rundlage war nicht, dass der Mieter mit Verbrauche­rpreis-erhöhungen von acht Prozent rechnen muss.“Es wäre recht und billig, dass Indexverei­nbarungen in normale Mietverträ­ge geändert werden. „Natürlich leiden auch Vermieter unter den steigenden Preisen“, sagt Ballentin. Mieter litten aber deutlich stärker.

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FOTO: DIETER ASSMANN/DPA Die Mieten könnten in der Region aufgrund der Inflation nochmals für viele Mieter steigen.

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