Bauern erwarten geringere Ernteerträge
(dpa/epd) - Wegen der anhaltenden Trockenheit in vielen Regionen Deutschlands steht den Bauern eine unterdurchschnittliche Ernte bevor – mit regionalen Unterschieden. „In Summe ist es in vielen Teilen Deutschlands zu trocken. Das heißt letztendlich auch, dass wir im zweiten Jahr in Folge eine kleinere Ernte einfahren werden“, sagte der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied. Sorgen macht den Bauern auch die Energiekrise wegen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Entscheidend für die zuverlässige Versorgung mit Lebensmitteln ist aus Sicht des Dbv-präsidenten die Verfügbarkeit von Gas.
Der Deutsche Bauernverband erwartet eine Getreideernte von rund 41,2 Millionen Tonnen. Damit liegen die Prognosen mit drei Prozent unter dem Vorjahresergebnis. Da waren es 42,3 Millionen Tonnen. Die Ernteerträge der Jahre 2015 bis 2020 lagen mit durchschnittlich 44,2 Millionen Tonnen noch höher.
Unterdessen erwartet Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne), dass Lebensmittel noch teurer werden, und hält weitere Entlastungen für Haushalte mit geringen Einkommen für nötig. Die Höhe des Anstiegs lasse sich zwar nicht seriös vorhersagen, sagte er dem Berliner „Tagesspiegel“. Aber er glaube nicht, „dass wir schon den Höhepunkt erreicht haben“. Viele Hersteller müssten jetzt mehr Geld für Energie ausgeben und reichten das an die Kunden weiter.
- Markus Beutinger dreht sich die Ohrstöpsel ins Ohr und setzt die Schutzbrille auf. „Jetzt wird es gleich laut und heiß“, warnt der Leiter des Technischen Zentrums und öffnet die Tür zur riesigen Produktionshalle des Glasherstellers Verallia in Bad Wurzach (Landkreis Ravensburg). Dem Besucher schlagen ein heißer Luftschwall und Maschinenlärm entgegen. Beutinger – drahtiger Typ, Rennradfahrer – steigt eine Stahltreppe hinauf. Oben angekommen ist es unerträglich heiß. Eine kleine Plattform gibt den Blick auf ein stählernes Monstrum frei, hinter dem es – aus etlichen Ritzen – glutrot leuchtet. Durch eine kleine Klappe kann man einen Blick ins Innere der riesigen Schmelzwanne werfen. Dort wabert eine zähflüssige, heiße Masse. Glasschmelze.
Drei solcher Glaswannen betreibt die Verallia Deutschland AG am Standort Bad Wurzach, jede zwischen 85 und 130 Quadratmeter groß, was einer Kapazität von mehreren Hundert Tonnen Glas pro Tag und Wanne entspricht. Der Innenraum, der aussieht wie ein Gewölbekeller, ist komplett mit feuerfestem und extrem hitzebeständigem Material ausgekleidet. „Rund 50 verschiedene Materialarten werden entsprechend ihrer chemischphysikalischen Beanspruchung darin verbaut“, erklärt Beutinger.
Der Aufwand für die extrem teuren Schmelzwannen ergibt sich aus ihrem Bestimmungszweck: In ihnen muss ein Rohstoffgemisch – im Wesentlichen Recyclingglas, Quarzsand, Soda und Kalziumkarbonat – bei gut 1500 Grad Celsius aufgeschmolzen werden – eine Temperatur, die sogar noch über der für die Stahlherstellung liegt. Und diese Temperatur muss 365 Tage im Jahr und 24 Stunden am Tag gehalten werden. Denn eine sich abkühlende und erstarrende Glasschmelze würde die Wanne unbrauchbar machen. Eine Katastrophe für jeden Glashersteller.
Damit ist klar: Die Glasherstellung ist eine extrem energieintensive Sache – ein Umstand, der das Unternehmen in Bad Wurzach seit seiner Gründung im Jahr 1946 umtreibt und herausfordert. Damals, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, war das Torf des nahegelegenen Wurzacher Rieds der Grund, weshalb Josef Wick aus Ulm in Bad Wurzach eine Glashütte bauen ließ. Die Idee war, das Naturmaterial zu verkoken und mit dem daraus gewonnenen Gas die Schmelzwannen für die Glasherstellung zu beheizen. Nasse Sommer Anfang der 1950er-jahre sorgten dafür, dass der Torf für die Erzeugung von Gas nicht mehr trocken genug war. Das Unternehmen, das damals noch Oberland Glas Gmbh hieß, stellte auf mittelschweres Heizöl um. Heute kommt überwiegend Erdgas zum Einsatz.
Die Herausforderungen sind dadurch nicht kleiner geworden. Im Gegenteil. Die angepeilte Dekarbonisierung der Wirtschaft und der damit verbundene Verzicht auf fossile
Brennstoffe zwingen Verallia zu einer erneuten Transformation. Die zuletzt stark gestiegenen Erdgaspreise und ein mögliches Gasembargo Russlands tun ihr Übriges. „Wir kommen in eine Phase, in der sich die Glasindustrie extrem wandeln wird“, sagt Markus Beutinger, der seit 40 Jahren bei Verallia in Bad Wurzach arbeitet, und der sich sicher ist, dass sein Arbeitgeber diesen Wandel meistern wird. Wie? Verallia soll von einem „gasintensiven“in ein „stromintensives“Unternehmen umgebaut werden. Das sei, so Beutinger, die Aufgabe der nächsten zehn bis 15 Jahre.
Bereits heute beheizt Verallia seine Glaswannen zu zehn Prozent mit Strom, eine Energie, die sich laut Beutinger „ideal für die Glasherstellung eignet“. Das liegt an den physikalischen Eigenschaften von Glas. Das ist im festen Zustand nämlich ein Isolator, im flüssigen Zustand hingegen ein elektrischer Leiter. „Dadurch kann man Glas wie bei einer elektrischen Widerstandsheizung erhitzen“, erklärt Beutinger. Zudem kommt die Energie, die über Molybdänelektroden eingeleitet wird, genau da an, wo sie den höchsten Wirkungsgrad hat: am Boden der Wanne, dort wo sich die Glasschmelze befindet.
Die Beheizung der Wannen mit Gas hingegen ist deutlich ineffizienter, weil die Flammen oberhalb der Glasschmelze eingebracht werden. Die Energie muss sich also erst ihren Weg durch das Rohstoffgemisch bahnen und dieses aufschmelzen. „Das geht bei Weißglas noch ganz gut. Doch farbiges Glas filtert und absorbiert die Wärmestrahlung, was den Energiebedarf nach oben treibt“, erklärt Beutinger.
Allerdings hält die Umstellung auf eine elektrische Wannenbeheizung für Verallia einige Tücken parat. Erstens kann nur Weißglas in vollelektrischen Wannen geschmolzen werden. Farbglas hingegen verlangt sogenannte Hybridwannen, die mit Strom und Gas betrieben werden. Letzteres soll perspektivisch durch Wasserstoff