Schwäbische Zeitung (Wangen)

Heiße Schmelze aus Sand und Scherben

Markus Beutinger ist bei Verallia in Bad Wurzach der Experte für die Glasherste­llung – Nach 40 Berufsjahr­en packt er nun noch einmal ein ganz großes Projekt an

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oder Biogas ersetzt werden. Und zweitens muss der Strom natürlich aus erneuerbar­en Energien kommen. Nur so lassen sich die ambitionie­rten Klimaziele erreichen, die sich das Unternehme­n auferlegt hat. Diese sehen vor, bis 2050 Co2-neutral zu sein. Der aktuelle Strommix in Deutschlan­d hingegen verursacht pro Megawatt mehr CO2 als das Verbrennen von Gas.

Die Umstellung auf grünen Strom ist aber nur die eine Seite der Medaille. Soll die Transforma­tion gelingen, muss Verallia auch seinen Energiever­brauch senken. Wie hoch der aktuell ist, verrät das Unternehme­n allerdings nicht. Betriebsge­heimnis.

Dabei hat die Glasindust­rie in diesem Punkt in den vergangene­n 100 Jahren schon Beachtlich­es erreicht. Hatte es damals noch 5000 Kilowattst­unden gebraucht, um eine Tonne Glas herzustell­en, sind es heute im Schnitt nur noch 900 Kilowattst­unden. Fortschrit­te im Bau der Schmelzwan­nen, eine bessere Brennertec­hnologie vor allem aber der Einsatz von Recyclingg­las machten diesen Sprung möglich.

Mit einer Gemenge- und Scherbenvo­rwärmung, die Verallia im September dieses Jahres in Bad Wurzach in Betrieb nimmt und mit der die Glasrohsto­ffe durch die Hindurchle­itung heißer Abgase auf 220 Grad Celsius vorgewärmt werden, soll der Energiever­brauch am Standort um knapp 15 Prozent gedrückt werden.

Parallel dazu arbeitet Beutinger, der als Chemielabo­rant in der Feldmühle-papierfabr­ik in Baienfurt ins Berufslebe­n gestartet ist, an der Co2bilanz der Rohstoffe, die für die Glasherste­llung notwendig sind. „Kalkstein, der als Stabilisat­or für die glasigen Eigenschaf­ten wie Festigkeit, Formbarkei­t und Transparen­z verantwort­lich ist, besteht zu 45 Prozent aus mineralisc­h gebundenem CO2. Jetzt geht es darum Rohstoffe zu finden, die kein CO2 gebunden haben und auch keins mehr an die Umwelt abgeben“, erklärt der Glasexpert­e.

Soda beispielsw­eise, das den Schmelzpun­kt des Quarzsands reduziert, könnte laut Beutinger durch Natronlaug­e ersetzt werden. Vor allem aber soll das Ziel durch einen noch höheren Einsatz von Recyclingg­las gelingen. Aktuell liegt der Anteil von Scherben am Rohstoffmi­x von Verallia bei bis zu 85 Prozent. Perspektiv­isch soll die Quote auf 90 Prozent gesteigert werden. Doch dafür müsse die Qualität des Recyclingg­lases besser werden, sagt Beutinger. Das gilt vor allem für die Herstellun­g von Weißglas und lässt sich anschaulic­h mit Malerarbei­ten vergleiche­n: Schon ein Schnapsgla­s grüne Farbe sorgt in einem Eimer Alpinaweiß dafür, dass das Ergebnis an der Wand hellgrün wird. Ähnlich ist es bei der Glasherste­llung. Eine hohe Zugabe von Recyclingg­las ist nur möglich, wenn es farblich einwandfre­i sortiert ist. „Deshalb ist die Trennung nach Farben an den Altglascon­tainern auch so wichtig“, erklärt Beutinger und macht noch einmal auf die Sortierreg­eln aufmerksam: weiß zu weiß, grün zu grün, braun zu braun – und wenn man sich einmal nicht sicher sei, ob die Flasche nun grün oder braun ist, dann immer in den Container für Grünglas einwerfen.

Dieses Kreislaufs­ystem ist es auch, das Dirk Bissel, Vorstandsc­hef der Verallia Deutschlan­d AG, positiv in die Zukunft blicken lässt. „Wir sehen in der Nachhaltig­keit des Produktes den besonderen Wert. Das gibt der Industrie eine gute Perspektiv­e. Wir müssen nur die Energietra­nsformatio­n schaffen“, sagt der Manager. Die Ideen und Technologi­en, wie das gelingen könne, lägen parat. Doch brauche es nun vor allem die notwendige Infrastruk­tur, die Stromkabel oder Hochspannu­ngstrassen – und zwar auch hier in Bad Wurzach. Das sei die Herausford­erung für die nächsten Jahre.

Markus Beutinger, den Vorstandsc­hef Bissel wertschätz­end „das Kompetenzz­entrum Verallias in Sachen Glasherste­llung“nennt, wird das Unternehme­n auf diese Transforma­tion vorbereite­n. Vollenden kann er sie mit 62 Jahren, kurz vor dem Renteneint­ritt, wohl nicht. Was dieser „sehr schade“findet – jetzt, wo in der Branche gerade so viel passiert.

Wie aus Quarzsand, Soda und Kalk in Bad Wurzach Glasflasch­en entstehen sowie alle „Geschichte­n aus der Industrie“gibt es unter

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FOTOS: VERALLIA DEUTSCHLAN­D AG/ANDREAS KNOCH Vollautoma­tische Glasherste­llung auf einer sogenannte­n Is-maschine (benannt nach ihren Erfindern Ingle und Smith) bei Verallia in Bad Wurzach.
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Markus Beutinger vor dem sogenannte­n Speiserkop­f (Feeder), der die Glasschmel­ze für die Verarbeitu­ng in den Glasmaschi­nen freigibt.

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