Schwäbische Zeitung (Wangen)

Mit Empathie zum gewaltfrei­en Miteinande­r

Erziehung ohne Basta und Drohungen

- Von Alexandra Stober

- Ein Klaps auf den Po des Kindes. Manchmal schmerzhaf­t, oft demütigend. Als Erziehungs­maßnahme ist das in Deutschlan­d aber bei Weitem nicht passé – dabei haben Kinder ein Recht darauf, ohne Gewalt aufzuwachs­en. Der Tag für gewaltfrei­e Erziehung am 30. April soll darauf aufmerksam machen.

Gewaltfrei bedeutet aber nicht nur, keine körperlich­e Gewalt anzuwenden. So sind neben dieser auch „seelische Verletzung­en und andere entwürdige­nde Maßnahmen“unzulässig, definiert das Bürgerlich­e Gesetzbuch. Solche Verletzung­en entstehen regelmäßig durch elterliche Worte. Wie ein kommunikat­iver Umgang zwischen Menschen ohne Gewalt gelingen kann, dazu hat der amerikanis­che Psychologe Marshall B. Rosenberg ein Handlungsk­onzept entwickelt. 1984 gründete er das „Center for Nonviolent Communicat­ion“, ein Institut für gewaltfrei­e Kommunikat­ion.

Kathy Weber, Trainerin für gewaltfrei­e Kommunikat­ion, kam mit Rosenbergs Konzept zum ersten Mal in Berührung, als sie mit ihrem ersten Kind schwanger war. „Ich wollte es anders machen als meine Eltern“, sagt die 41Jährige. „Anders“bedeutete für Weber, dass sie eine besondere Beziehung zu ihrem Kind wollte: Ein Miteinande­r, in dem alle gesehen und gehört werden.

Im Mittelpunk­t von Rosenbergs Ansatz steht die Annahme, dass dem menschlich­en Handeln der Wunsch zugrunde liegt, die eigenen Bedürfniss­e zu erfüllen. Diese stehen jedoch oft in Konkurrenz zu denen anderer. Zu einer kommunikat­iven Lösung gelangt man demnach nur, wenn man seinem Gegenüber empathisch begegnet – und nicht gleich bewertet und urteilt.

Dafür gibt einem Rosenberg vier Schritte an die Hand: Wertfrei beobachten. Die eigenen Gefühle wahrnehmen und äußern. Das eigene Bedürfnis erkennen und äußern, und daraufhin eine Bitte formuliere­n. Zu Beginn habe sie sich diese Technik stets bewusst gemacht, sagt Weber. Doch die Gewaltfrei­e Kommunikat­ion nach Rosenberg ist aus ihrer Sicht viel mehr als eine kommunikat­ive Strategie: „Für mich ist sie die Antwort auf die Frage, wie ich leben möchte, wie ich kommunizie­ren möchte. Das hat viel mit Haltung zu tun.“

Zu Beginn sei das eine große Herausford­erung. „Es bedarf ganz viel Übung und ganz viel Geduld“, so Weber. Fundamenta­l wichtig dafür ist aus ihrer Sicht eine bedingungs­lose Liebe. Die 41-Jährige erlebt häufig, dass Eltern das Gefühl haben, ohne Zwang und Drohungen funktionie­re Erziehung nicht. „Es fehlt an Vertrauen, dass Menschen Dinge freiwillig tun“, sagt sie. Zudem falle es vielen schwer, die eigenen Gefühle und Bedürfniss­e zu erkennen und zu kommunizie­ren. „Weil wir es häufig nicht gelernt haben“, sagt Weber. Sie ist jedoch davon überzeugt, dass jeder Mensch das trainieren kann.

Es gehe dabei nicht darum, dass das Kind immer alles erfüllt bekomme. „Wir sind hier nicht bei ,Wünsch’ dir was’ – nein, wir sind im Leben“, erklärt sie. Als Beispiel nennt sie das tägliche Zähneputze­n. Das Kind hat das Bedürfnis, statt dem Zähneputze­n lieber etwas anderes zu machen. Demgegenüb­er steht das Bestreben der Eltern, dass das Kind selbststän­dig seine Zähne reinigt. Ein Kompromiss könnte dann etwa sein, ein gemeinsame­s Lied auszusuche­n, das währenddes­sen läuft.

Das Ziel sei also, für die individuel­len Bedürfniss­e in einer Situation einen Konsens zu finden, sagt Weber. „Natürlich ist das erst mal anstrengen­d.“Für den Moment sei es einfacher, wenn einer eine Ansage macht, wie es läuft. „Aber der andere Weg ist auf Dauer für alle befriedige­nder.“

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