Brüdergemeinde bekennt Schuld und Scham
Pietistische Gemeinschaft in Korntal und Wilhelmsdorf arbeitet Missbrauch weiter auf
- Acht Jahre nachdem jahrzehntelanger Missbrauch und sexuelle Gewalt in ihren Heimen bekannt geworden war, hat die evangelische Brüdergemeinde in Korntal (Landkreis Ludwigsburg) und Wilhelmsdorf (Landkreis Ravensburg) an die Geschehnisse erinnert und der Opfer gedacht. Am Wochenende wurden drei Mahnmale eines Darmstädter Künstlers auf dem Gelände der drei Kinderheime aufgestellt und ein Schuldbekenntnis verlesen. Anschließend versammelten sich etwa 100 Menschen für einen Schweigemarsch zur Stadthalle.
„Wir bekennen uns schuldig, Kinder und Jugendliche in unseren Kinderheimen in Korntal und Wilhelmsdorf in den 1950er bis 1980er-jahren nicht ausreichend vor Missbrauch geschützt zu haben. Wir sind beschämt, dass wir das nicht früher erkannt haben“, heißt es in dem Bekenntnis, das die Evangelische Brüdergemeinde Korntal und ihre Diakonie während eines Gedenktages am Samstag abgegeben haben. „Wir haben das Leid der Betroffenen anerkannt und bitten sie aufrichtig um Vergebung für die schrecklichen Erlebnisse und Schmerzen, die ihnen in unseren Einrichtungen widerfahren sind.“
Jutta Arndt und Veit-michael Glatzle, beide Geschäftsführer Diakonie, der Weltliche Vorsteher der Brüdergemeinde Dieter Weißer und Klaus Andersen, Vorsitzender des Aufarbeitungskomitees, verlasen das
Schuldbekenntnis gemeinsam. Dem ging die Enthüllung einer Gedenkskulptur auf dem Gelände des Hoffmannhauses in Korntal voraus. Sie trägt den Titel „Hoffnung“und wurde vom Künstler Gerhard Roese geschaffen. Die anderen beiden Skulpturen aus dem Ensemble des Künstlers mit den Titeln „Vertrauen“und „Respekt“stehen beim Flattichhaus in Korntal und beim Hoffmannhaus in Wilhelmsdorf bei Ravensburg.
Roese wurde an der ebenfalls durch einen Missbrauchsskandal bekannt gewordenen Odenwaldschule Ober-hambach selbst Opfer. Das Wort „Hoffnung“hat er durch einen fragilen Buchstabenturm gebildet. In der Mitte ist eine kleine goldene Kugel eingeklemmt. Wer nach ihr greift, bringt den Turm zum Einsturz. Nach der Kugel greife „niemand, weil er es muss, sondern weil er es kann“, sagte der Künstler: „Das hat mit Macht zu tun“, verwies er auf das Motiv der Täter. „Ich warne davor, die Hoffnung zu zerstören.“
Für den jahrelangen Aufklärungsprozess habe es keinen Leitfaden gegeben, sagte Professor Benno Hafeneger, der als Aufklärer hinzugezogen worden war, bei einer anschließenden Podiumsdiskussion. „Das Ganze hätte auch in einem großen
Krach explodieren können.“2015 wurde die Aufklärung abgebrochen, weil das Vertrauen fehlte, danach gab es einen zweiten Anlauf.
Aus den Berichten von Betroffenen und Gesprächen hatte sich in den vergangenen Jahren ein schreckliches Bild der Heimerziehung in Baden-württemberg ergeben. In der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal hatten Kinder von den 1950er bis in die 1980er Jahre körperliche und sexualisierte Gewalt erlebt. Dutzende Täter sind bekannt, vor allem Betreuer und Angestellte. Hunderte von Fällen sind dokumentiert – aber die Taten juristisch verjährt. Bisher haben 138 Betroffene Anerkennungsleistungen von bis zu 20 000 Euro erhalten. Anträge seien weiterhin möglich, sagte Angelika Oetken vom Fonds Sexueller Missbrauch.
Ursula Kress, Vertreterin der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, sagte, Betroffenen müsste auf Augenhöhe begegnet und Whistleblower müssten ernst genommen werden. Die Kirche müsse sich um ihre toxischen Strukturen kümmern. Nötig sei öffentlicher Druck von außen. In Korntal sei es den Opfern gelungen, diese Öffentlichkeit zu schaffen.
Die Mitglieder der 1819 gegründeten Brüdergemeinde Korntal im Kreis Ludwigsburg zählen sich zu den Pietisten, die als besonders konservative Strömung im Protestantismus gelten. Sie sehen die Bibel als das offenbarte Wort Gottes und legen Wert auf eine intensive Auseinandersetzung mit der Heiligen Schrift.