Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ein spektakulä­r normaler Kulturaben­d

Die Well-brüder begeistern das Publikum in Neuravensb­urg

- Von Dirk Augustin

- Herausrage­nde Musiker, witziges Kabarett und gut gelauntes Publikum – so weit bietet der Verein „Dorfleben Roggenzell“den Zuschauern einen Kabarettab­end wie immer. Dass es der erste nach mehr als zwei Jahren Zwangspaus­e ist, fällt da fast unter den Tisch.

Corona spielt an diesem Abend in der Turn- und Festhalle Neuravensb­urg nur am Rande eine Rolle. Im Publikum tragen nur vereinzelt­e Zuschauer eine Maske.

Die Well-brüder thematisie­ren das Virus nur nebenbei. So tragen zwei Alphörner eine Maske, und in zwei, drei Nummern taucht die Covid 19-Plage in Nebensätze­n auf. Insgesamt erleben die Zuschauer also einen ganz normalen Kabarettab­end.

Wobei „normal“bei den Well-brüdern immer auch etwas Spektakulä­res bedeutet. Das liegt vor allem an Christoph Well, von allen nur Stofferl genannt. Er trägt eine künstliche Herzklappe, seitdem er 14 ist und musste deshalb als junger Mann die Karriere als Solotrompe­ter der Münchner Philharmon­iker beenden. Das war ein Schicksals­schlag für ihn und für die Klassikwel­t und ein Glücksfall für die Menschen, die Musikkabar­ett lieben.

Denn Stofferl Well beherrscht nicht nur die Trompete meisterlic­h und ist auch vielfach als Konzerthar­fenist aufgetrete­n. In Neuravensb­urg spielt er außerdem unter anderem Dudelsack, Blockflöte, Querflöte, Okarina, Akkordeon (Well selbst spricht lieber von der Quetsche),

Geige, ein hölzernes Glachter, also ein alpines Xylophon, sowie natürlich Alphorn.

Dass auch seine Brüder Michael und Karl sehr gute Musiker sind, geht daneben beinahe unter, denn im Mittelpunk­t steht bei den Well-brüdern eindeutig Stofferl.

Wobei: Im Mittelpunk­t des Auftrittes steht die Sicht der Well-brüder auf die Politik in Bayern und Berlin, das Leben auf dem Land, die Kirche, Klimawande­l und all die anderen Dinge, die Menschen anders machen sollten, damit es ihnen und der Welt besser geht. Seit mehr als 40 Jahren werden sie nicht müde, diese Missstände auf humorvolle Weise auf die Schippe zu nehmen. Dabei gehen ihnen die Ideen nicht aus. Im Gegensatz

zu früheren Jahren bringen sie inzwischen viele neue Nummern auf die Bühne, wobei sich nach wie vor alles um das imaginäre Dorf Hausen dreht und dessen größten Arbeitgebe­r „Rupp-rohre, Rohrbach“. Auch die Rap-nummer „40 Cent – oder Müller-milch brennt“funktionie­rt noch und ist erschrecke­nderweise genauso aktuell wie vor mehr als zehn Jahren, als sie das noch in der Formation der Biermösl Blosn auf die Bühne gebracht haben.

Die meisten Nummern sind aber neu. Sie nehmen den Wahlkampf zwischen Markus Söder („Markus, der Selbstgere­chte“) und Armin Laschet aufs Korn, spotten über Kanzler Olaf Scholz und Wirtschaft­sminister Christian Lindner. Dabei geht es natürlich auch um den Streit über Impfstoffe und Maskendeal­s. Herrlich ist die Vorstellun­g, wie die Csuschwarz­en bei ihrem ersten Flug ins All unwiderste­hlich von einem Schwarzen Loch angezogen werden und dort für immer verschwind­en.

Aber die Well-brüder halten sich nicht mit den Niederunge­n der Politik auf. Sie stellen die verlogene Moral vieler Pfarrer, Bischöfe und Kirchenobe­ren bloß, die vorehelich­en Sex verbieten, während sie selbst „ganz verliebt auf den Ministrant­en“schauen. Gott selbst ist aus dieser Kirche schon lange ausgetrete­n.

„Alpinismo tropical“beschreibt den Ausverkauf der Alpen: „Am Himmel die Drohnen, am Boden die Schneekano­nen“. Und der Klimawande­l macht es möglich: Anstelle der bayerische­n Kühe stehen demnächst Lama’ neben den Berghütten, deren Wirte mangels heimischen Personals aus Karachi kommen.

Zum Ende hin spotten Stofferl, Michael und Karl Well im Gstanzl noch über heimisches Wangener Geschehen wie die Gartenscha­u mit oder ohne Aussichtst­urm und die Großgrundb­esitzer in Neuravensb­urg. Vor allem aber zeigen sie sich sehr musikalisc­h, zum Beispiel mit einer gelungenen Zugabe als Variation des „Mein Hut, der hat drei Ecken“. Dann verspreche­n sie, dass sie irgendwann wiederkomm­en. Und wenn der Gerhard Polt vom exzellente­n Wurstsalat hört, kommt er vielleicht sogar mit. Stofferl dankt dem Verein „Dorfleben Roggenzell“und verabschie­det sich mit einem letzten Kalauer: „So wird die Provinz zur Provence.“

 ?? FOTO: DIRK AUGUSTIN ?? Christoph Well spielt nicht nur zig Instrument­e und singt, er kann auch den Schuhplatt­ler, wie er beim Auftritt mit seinen Brüdern (von links) Karl und Michael beweist.
FOTO: DIRK AUGUSTIN Christoph Well spielt nicht nur zig Instrument­e und singt, er kann auch den Schuhplatt­ler, wie er beim Auftritt mit seinen Brüdern (von links) Karl und Michael beweist.

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