Wie Fugel die Liebfrauenkirche vollendete
Sein erstes großes Werk empfängt jeden Kirchenbesucher mit tröstenden Worten
- Voll großer Erwartungen waren die Mitglieder der Pfarrei Liebfrauen, als das 1891 begonnene Jahrhundertprojekt der Umgestaltung ihrer Kirche bald nach 1900 in seine dritte, abschließende Phase trat. Nach dem architektonischen Umbau und der Aufstellung prachtvoller neugotischer Altäre samt Kanzel stand nun die Ausmalung der Kirche bevor. Man hoffte, nach Abschluss der Arbeiten, ein Gotteshaus zu besitzen, dessen „kirchliche und künstlerische Ausstattung wohl von keiner zweiten des Landes erreicht wird“, so eine zeitgenössische Stimme. Und kein geringerer als der bedeutendste Kirchenmaler der Zeit, Gebhard Fugel, sollte diesen Anspruch vollenden.
Der 1864 auf dem Hof Oberglöcken bei Oberzell geborene und 1939 in München verstorbene Künstler war zeitlebens seiner Heimat eng verbunden geblieben. Dies zeigen die vielen Zeugnisse seines Schaffens im südlichen Oberschwaben. Mit Liebfrauen verband den Maler eine langjährige, fruchtbare Zusammenarbeit. Eingeleitet wurde sie mit einem künstlerischen Paukenschlag: Er entwarf das große Mosaik über dem Chorbogen, das noch heute jeden Betrachter sofort in seinen Bann zieht. Ausgeführt wurde es von der damals weltbekannten Innsbrucker Mosaik- und Glasmaleranstalt in Glassteinmosaiktechnik. Das Werk wurde im November 1904 fertiggestellt. Im Jahr darauf vollendete Fugel dann die umfangreichen Wandmalereien im Mittelschiff der Kirche. Die Flächen oberhalb des Gesimses bis hinauf zur Mitte der Fenster (wo heute die überlebensgroßen Holzplastiken angebracht sind) wurden auf beiden Seiten mit 29 Gestalten aus der Kirchengeschichte geschmückt (1958 übertüncht).
Nach diesen sehr positiv aufgenommenen Arbeiten Fugels lag es nahe, ihm auch die noch ausstehende Ausmalung der Chorseitenwände anzuvertrauen. Er begann im August 1908 mit der Arbeit. Der Andreas-zyklus, bestehend aus sechs vier mal vier Meter großen Bildern, konnte aber erst 1910 mit dem neun Meter hohen Votivbild, das Ravensburg mit seinem Stadtheiligen St. Andreas zeigte, abgeschlossen werden (heute übertüncht). Charakteristisch für den Zyklus ist die Einbindung der realistisch dargestellten Personen in interessant belichtete Landschaften. Die umgebende Natur akzentuiert bisweilen das Geschehen. So taucht im dritten Bild das alles durchströmende Morgenrot die Szene der Apostelberufung am See in ein mystisches Licht.
Dieses Licht des Aufbruchs führt schließlich zu den letzten Arbeiten des Malers für die Kirche. Es sind 14 auf Leinwand gemalte Kreuzwegstationen, die im Oktober 1920 aus München angeliefert wurden und 11 000 Mark gekostet haben. Sie bilden den Abschluss der großen Umgestaltungsphase. Die Rahmen fertigte nach Fugels Entwurf der Ravensburger
Bildhauer Moriz Schlachter. Sie ersetzten einen Kreuzweg aus der Zeit um 1860, der nach Großengstingen veräußert wurde. Man spricht in der Forschung hier auch vom sogenannten „kleinen Kreuzweg“, im Gegensatz zu den monumentalen Fresken in der Münchener St. Josefs-kirche (1904 bis 1908), die im Krieg zerstört wurden. Die Fugel-biografin Gabriele Koller nennt die Münchener Stationsbilder sein „Hauptwerk“. Der kleine Kreuzweg wurde dann erstmals in der Stuttgarter Elisabethenkirche 1919 realisiert. Für St. Martin in Leutkirch malte Fugel ihn 1936 letztmals.
In der Struktur des Kirchenraums haben Kreuzwegstationen grundsätzlich eine wichtige Funktion: Sie bilden an den Wandflächen ein akzentuierendes Element und fördern eine Rhythmisierung des Gesamtraums. Die erwähnten Stuttgarter Bilder bezeichnete Fugel nur „als Vorarbeit für den hiesigen“. Mit den Maßen 1,40 auf 1,70 m sind diese auch wesentlich größer. Die Zahl der dargestellten Personen geht (außer bei Station I und XIII) nicht über fünf hinaus. Architektur und Landschaften sind kaum zu sehen – also eine Konzentration auf das Wesentliche und somit ein großer Gegensatz zu dem berühmten, für abertausende Kreuzwege als Vorbild dienenden Stationsweg von Joseph Führich in der Wiener Johann-nepomuk-kirche (1844 bis 1846).
In Ravensburg ist auch das orientalische Kolorit gegenüber den Münchener Stationen stark zurückgenommen. Er ist noch wesentlich christo-zentrischer. Im „Archiv für christliche Kunst“von 1925 wurde dies so charakterisiert: „Im Mittelpunkt steht in überragender Gestalt Christus, bei allem Leid voll Majestät, der in seinem leuchtenden lichten weißen Gewand alles an sich zieht. (…) Herrlich ist die Einheitlichkeit in der Darstellung dieser Figuren und die fortschreitende Entwicklung des Dramas in seiner Leidenschaft und im stillen großen Schmerz“. Der Autor, Pfarrer Hafner von Berg, verweist auch mehrfach auf die „herrliche Naturstimmung“bei den letzten Stationen.
So symbolisiert bei der Kreuzabnahme das warme Abendleuchten des Himmels das Ende des Leidenswegs und den Abschied Jesu vom Menschsein.