Erzählungen aus der Gefangenschaft
In Bad Wurzach sind Zeichnungen ehemaliger Insassen eines Internierungslagers ausgestellt
Eine Zeichnung des Schlosses Bad Wurzach: Im Innenhof steht ein kahler Baum, am bewölkten Himmel kreisen drei Flugzeuge. Ein Text in der Zeichnung erklärt, diese Zeichnung sei eine Erinnerung an den 19. Hochzeitstag, gefeiert am 19. März 1943 in Bad Wurzach. Gemalt hat das Bild Harold Hepburn. Am linken oberen Bildrand befinden sich zwei Hakenkreuzfahnen, darunter ein Stahlhelm. Die erwähnten Flugzeuge sehen aus wie britische Jagdflieger und scheinen auf die Fahnen Kurs zu nehmen.
Hepburn, und mit ihm viele andere, hat in Zeichnungen sein Leben in den Jahren 1942-1945 festgehalten. Zusammen mit mehreren Hundert anderen Personen, darunter auch Kindern, lebte der Zeichner in Bad Wurzach als Gefangener des Ns-regimes. Sie alle wurden von der Insel Jersey im Ärmelkanal verschleppt.
Alltag hinter Stacheldraht – wie ist das möglich? Von einer fremden Macht aus der Heimat vertrieben zu werden, ohne den Grund zu kennen. Abtransportiert in ein fremdes Land, eingesperrt zusammen mit mehreren Hundert Menschen auf engstem Raum. Diese Frage stellte sich Gisela Rothenhäusler, langjährige Lehrerin am Salvatorkolleg Bad Wurzach. Dort, wo einst Gefangene lebten, lernen nun Schüler.
Rothenhäusler ist es zu verdanken, dass in den Räumlichkeiten des ehemaligen Klosters Maria Rosengarten nun 43 Exponate aus der Zeit des Internierungslagers in der Ausstellung „Alltag hinter Stacheldraht“zu sehen sind.
Unter den ersten Gästen der Ausstellung sind Besucher von der Kanalinsel. Darunter unmittelbare Zeitzeugen die sich an die Vergangenheit erinnern. Lola Garwin (Foto: Jonas Voss) im Internierungslager aufgewachsen, erzählt davon. Jetzt kämen „viele verschüttete Erinnerungen wieder hoch“. Für sie als Kind sei das Aufwachsen im Lager Normalität gewesen, sagt Garwin. „Aber unsere Eltern litten sehr unter der Beengtheit, unter der Gefangenschaft und Unwissenheit.“Trotz der Hilfe vom Roten Kreuz – und mancher Spende der Bad Wurzacher Bürger – sei das Leben im Lager hart und zehrend gewesen. Bad Wurzach kennt sie seit Jahren, dennoch sei dieser Besuch „ganz besonders“.
Auf den Bildern ist von der Härte nicht viel zu sehen. Allzu realistische Darstellungen des Lagerlebens wären wohl der Zensur durch deutsche Behörden zum Opfer gefallen. Denn manche der Zeichnungen gelangten als Briefe auf die Heimatinsel Jersey. Die Motive sind farbenfroh und detailreich: Viele der Bilder zeigen das Schloss, seine Räume und die Umgebung. Es gibt Geburtstags- und Weihnachtskarten, die auch von der Sehnsucht nach Heimat, den Lieben daheim und dem Kriegsende erzählen. Theater, Tanz- und Sportveranstaltungen sind ebenso abgebildet wie die engen Wohnverhältnisse.
Die zeichnerische Qualität der Bilder ist dabei recht unterschiedlich, aber darauf kommt es in dieser Ausstellung nicht an: Vielmehr beeindrucken Humor, Scharfsinn und Gleichmut, mit dem die Insassen ihr Schicksal schildern und akzeptieren. Die Zeichnungen des Lagerlebens berühren – und haben natürlich ihre Bedeutung als historische Quellen.
Die Bilder sind allerdings nur Kopien, gedruckte Fotografien: Die Originale waren auf Papier von billigster Kriegsqualität gemalt und in den meisten Fällen über die Jahrzehnte natürlichen Verfallsprozessen ausgeliefert. Die Räume von Maria Rosengarten sind laut Rothenhäusler nicht geeignet, um die Originale auszustellen. Aber auch die Kopien sind ausdrucksstark genug, um eine heute beinahe in Vergessenheit geratene Geschichte berührend zu erzählen.
Die Ausstellung „Alltag hinter Stacheldraht – Bilder aus dem Internierungslager im Wurzacher Schloss 1942 – 1945“ist in Maria Rosengarten noch bis zum 16. Oktober zu sehen. Die Öffnungszeiten sind dienstags 10 – 12 Uhr und 14 – 18 Uhr, mittwochs und freitags 14 – 18 Uhr, donnerstags 10 – 18 Uhr, samstags 10 – 12 Uhr und sonntags 14 – 17 Uhr. Der Eintritt ist frei.