Schwäbische Zeitung (Wangen)

Gerne kontrovers, aber immer respektvol­l

Im Respektrau­m können Fremde Grundsätzl­iches diskutiere­n

- Von Kara Ballarin

Hetze im Netz, Beschimpfu­ngen in digitalen Kommentare­n, Mobbing in sozialen Medien: Das Internet hat die Art, wie wir kommunizie­ren, massiv verändert. Gregor Siebenkott­en wollte sich darüber nicht nur ärgern, sondern eine Alternativ­e schaffen. Er hat die Initiative Respektrau­m gegründet, die inzwischen von einem Verein getragen wird. Solch einen Raum hat er auch beim Bodensee Business Forum 2022 am Dienstag in Friedrichs­hafen geschaffen.

An den Wänden des Raums wollen Banner, beschrifte­t mit Thesen, zum Nachdenken anregen. „Wissenscha­ft entzaubert die Welt nicht, sie beschreibt den Zauber“, lautet eine. Eine andere: „Menschenre­chte sind nicht Kultur, sondern Natur.“Im Raum verteilt stehen Tische, umringt mit Stühlen.

Bevor die Teilnehmer des Respektrau­ms jedoch Platz nehmen dürfen, bittet Moderator Johannes Lange zum Spiel, um das Eis der sich unbekannte­n Menschen zu brechen. Ein Spiel, das zeigen solle, dass Menschen Gemeinsamk­eiten teilen, ohne dies zu wissen. Wer hat noch seinen Blimddarm, wer schon mal ein Menschenle­ben gerettet? Wer war Klassenspr­echer? Die Menge teilt sich immer wieder neu auf, jeder

findet sich in stets neuen Gruppen wieder, mit dem er oder sie wenigstens ein Merkmal teilt.

Die Thesen an der Wand gibt es ebenfalls in Postkarten­größe. Wer sich nun von einer These angesproch­en fühlt, schnappt sich diese und stellt sie sichtbar auf einen Tisch – und hofft darauf, Gesprächsp­artner zu finden, die sich dazusetzen. Das dauert nicht lange, schnell ist der Raum von Stimmengew­irr erfüllt.

„Wir wollen Räume schaffen, in denen sich die Menschen austausche­n können“, erklärt Siebenkott­en sein Konzept, mit dem er durch ganz Deutschlan­d tourt. „Sie sollen sich dazu bereit erklären, respektvol­l miteinande­r umzugehen.“Dabei geht es nicht etwa darum, die aktuellen Aufreger zu diskutiere­n, sondern um grundsätzl­iche Werte. „Denn die sind aktuell in Gefahr“, sagt Siebenkott­en. Wie, beispielsw­eise, verteidige ich Menschenre­chte gegen Angriffe?

Damit die Diskussion­en auch respektvol­l verlaufen, gibt es elf Tipps. „Das ist eine Antwort auf verrohte Sprache des digitalen Raums“, erklärt der Schauspiel­er Lange, der durch die Veranstalt­ung führt. „Gehen Sie nicht in das Gespräch mit dem Ziel, es zu gewinnen, sondern Ihre eigene Meinung weiterzubi­lden.“Oder auch: „Werden Sie niemals persönlich.“„Fordern Sie Respekt nicht ein, sondern gehen Sie in Vorleistun­g.“

Die Diskussion­en an den Tischen verlaufen so, wie sich das Siebenkott­en wohl nicht schöner hätte wünschen können. An einem Tisch diskutiere­n zwei Männer über die These „Wir denken viel weniger, als wir glauben.“Sie nehmen sich gemeinsam Begriffe vor wie Meinung, Glauben, Wissen. Und was heißt eigentlich Haltung in diesem Kontext? Sie drehen und wenden diese Worte, ordnen sie ein, besprechen Gefahren falscher Wahrnehmun­gen und den Einfluss von Boulevardz­eitungen als Meinungsma­cher. „Inwiefern sind wir dazu fähig, über bestimmte Themen sachlich nachzudenk­en, und inwiefern sind wir in manchen Bereichen darauf angewiesen, zu glauben?“, fragt einer. Ein anderer antwortet: „Wenn ein Wissenscha­ftler über sein Thema spricht, glaub ich ihm, weil es genug Anzeichen dafür gibt, dass er weiß, wovon er spricht.“

An einem Tisch haben sich zwei Frauen in die These über die Entzauberu­ng der Welt durch die Wissenscha­ft vertieft. Das tue sie oft nicht, sondern beschreibe tatsächlic­h vielfach den Zauber, etwa das Wachsen eines Babys im Mutterleib, sagt eine. Und die andere pflichtet ihr bei.

Vielleicht ist die reale Welt ja doch gar nicht so polarisier­t und kontrovers, wie dies die Kommunikat­ion im digitalen Raum suggeriert? Eine Diskutanti­n hat eine andere These: „Vielleicht kommen zu so einem Raum Leute, die ohnehin respektvol­l miteinande­r umgehen“, mutmaßt die Studentin der Biotechnol­ogie an der Hochschule in Biberach. Aus diesem studentisc­hen Umfeld kennt sie Respektlos­igkeit allerdings zur Genüge, vor allem in den sozialen Medien, wie sie sagt. Dort käme ein Respektrau­m gerade recht. „Es wäre toll, so ein Format in die Hochschule zu bringen“, sagt sie.

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FOTO: MICHAEL SCHEYER Respektvol­ler Diskurs steht im Mittelpunk­t des Bodensee Business Forums.
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FOTOS: NILS SCHWARZ/PR Johannes Lange (li.) und Gregor Siebenkott­en.

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