Ranghöchster Polizist soll vor Gericht
Staatsanwaltschaft erhebt Anklage – Umgang mit Fall hat weitreichende Konsequenzen
- Fast ein Jahr hat die Stuttgarter Staatsanwaltschaft ermittelt, nun erhebt sie Anklage: Aus Sicht der Behörde hat Baden-württembergs ranghöchster Polizist eine Untergebene sexuell genötigt. Beobachter gehen davon aus, dass der Umgang mit dem Fall darüber entscheidet, ob sich künftig Polizeiangehörige gegen Machtmissbrauch innerhalb ihrer Organisation wehren werden.
Karriere gegen Sex – so lässt sich zusammenfassen, was der Inspekteur der Polizei am 13. November vergangenen Jahres einer Hauptkommissarin vorgeschlagen haben soll. Die Polizistin befand sich zu diesem Zeitpunkt in einem Auswahlverfahren für einen neuen, gut dotierten Job. Sie strebte in den höheren Polizeidienst. In den Worten der Staatsanwaltschaft hat der Polizeiinspekteur die Frau zur „Duldung und Vornahme sexueller Handlungen veranlasst“. Dabei habe er „bewusst ausgenutzt“, dass er „aufgrund seiner beruflichen Stellung in der Lage war, der Polizeibeamtin im Falle des Widerstands erhebliche berufliche Nachteile zu bereiten“.
Die Frau soll diesen mutmaßlichen Machtmissbrauch in einem Videotelefonat mitgeschnitten haben. Am 23. November hatte die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen aufgenommen, der Beschuldigte wurde vom Dienst suspendiert. Nun liege es am Stuttgarter Landgericht zu entscheiden, ob und wann es ein Verfahren eröffnet, erklärt die Anklagebehörde. Der Polizeiinspekteur bestreitet die Vorwürfe. „Mein Mandant wird sich in der anstehenden Hauptverhandlung nun konsequent im Hinblick auf einen Freispruch verteidigen“, zitiert die Deutsche Presse-agentur dessen Rechtsanwalt Jens Rabe.
„Am Umgang mit diesem Fall wird sich entscheiden, wie Betroffene sich künftig verhalten werden“, sagt Beate Böhlen dazu. Die Grünen-politikerin ist seit 2019 als unabhängige Bürgerbeauftragte des Landes auch Anlaufstelle für Polizistinnen und Polizisten. Die Stelle gibt es seit 2016, ihr Vorgänger Volker Schindler war zuvor Vizepräsident des Polizeipräsidiums Aalen. „Zu seiner Zeit hatten wir höhere Eingaben von Polizistinnen und Polizisten als ab dem Zeitpunkt, als ich das Amt übernommen habe“, erklärt Böhlen. Das habe sich nun wieder geändert, seitdem Wolfgang Jaeger ihr Team verstärkt.
Jaeger schaut auf eine 43-jährige Karriere bei der Polizei zurück. Seit seiner Pensionierung bringt sich der zertifizierte Coach und Mediator als
externer Berater bei Böhlens Stelle ein. Die Zunahme an Anfragen zeige, so die Bürgerbeauftragte, dass Polizistinnen und Polizisten „ein höheres Vertrauen haben, wenn sich jemand in dem Bereich auskennt“. Wie viele Polizeiangehörige sich meldeten, werde Ende 2022 in Zahlen genannt.
Jaeger betont die Bedeutung der Anlaufstelle – gerade im Vergleich zu den Angeboten bei der Polizei selbst. Diese gibt es, wie das Innenministerium erläutert. Beamte könnten sich zum Beispiel im Landespolizeipräsidium informieren, welche Beratungsund Beschwerdestellen es innerhalb der Polizei gebe. „Die Stelle der Bürgerbeauftragten ist viel wichtiger als alles, was wir innerhalb der Polizei haben“, sagt indes Jaeger. Denn die Ansprechpartner bei der
Polizei seien in Hierarchien eingebunden und dem Legalitätsprinzip verpflichtet: Sie müssen einer gemeldeten Straftat im Zweifel nachgehen, selbst wenn die Hilfesuchenden das – noch – nicht wünschten. Was das Team um die Bürgerbeauftragte zusichern könne, sei indes Vertraulichkeit und unabhängige Informationen dazu, wo Betroffene weitere Hilfen, auch juristische, finden können. Im Innenministerium gibt es derweil Pläne, einen Vertrauensanwalt für Fälle sexueller Belästigung einzusetzen, der Vertraulichkeit garantiere. Das gebe es bereits für Korruptionsvorwürfe, erklärt ein Sprecher von Innenminister Thomas Strobl (CDU).
Dieser „spektakuläre Einzelfall“der mutmaßlichen sexuellen Nötigung
durch den ranghöchsten Polizisten hinterlasse einen kulturellen Trümmerhaufen bei der Landespolizei, sagt Jaeger. „Es geht aber nicht nur um den sexuellen Übergriff“, betont er, „es geht um Machtmissbrauch, um Allmachtfantasien. Was macht Macht mit einem?“Diese Frage stelle sich auch in vielen anderen Bereichen – bei möglichem Mobbing, Rassismus, Antisemitismus. In einer Organisation wie der Landespolizei mit 30 000 Mitgliedern gebe es immer schwarze Schafe. „Wie geht man mit solchen Fällen dann um? Dieses Thema sollte die Polizeiführung noch mal mehr in den Blick nehmen“, mahnt Jaeger und sagt zum aktuellen Fall: „Daran werden sich alle orientieren, die noch im Dunkelfeld sind. Daran wird sich bemessen, ob man sich trauen kann, an die Öffentlichkeit zu gehen.“Laut Innenministerium befindet sich die Polizistin im Dienst und „übt ihre Tätigkeit in üblichem Umfang aus“. Was aus ihren Karriereplänen wurde, beantwortet Strobls Sprecher mit Verweis auf den Persönlichkeitsschutz nicht.
Der Politik stellt Böhlen hierbei ein gutes Zeugnis aus und verweist auf den Untersuchungsausschuss des Landtags: Auf Druck und Antrag der oppositionellen SPD und FDP hat das Parlament den U-ausschuss „Machtmissbrauch“einstimmig ins Leben gerufen, der seit Sommer läuft. Die Abgeordneten wollen darin beleuchten, wie es zu diesem mutmaßlichen Machtmissbrauch durch den obersten Polizisten im Land kommen konnte, wie er überhaupt an diesen Posten kam und ob es bei der Beförderungspraxis in der Landespolizei Gemauschel gibt. Im Visier ist auch Innenminister Strobl, der ein Anwaltsschreiben des Polizeiinspekteurs an einen Journalisten weitergegeben hat. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen den Journalisten laufen, die gegen Strobl hingegen enden mit einer Zahlung von 15 000 Euro, die der Innenminister nach eigenem Bekunden leisten will, um sich wieder aufs Regieren konzentrieren zu können.
Nach Ansicht der Opposition lief die Beförderung des Polizeiinspekteurs nicht sauber ab. Spd-obmann im U-ausschuss Sascha Binder spricht von „Turbo-beförderung“, Fdp-fraktionschef Hans-ulrich Rülke von „Blitzkarriere“, für die Strobl die Verantwortung trage. Binder verweist auch auf die betroffene Hauptkommissarin, die großen Respekt verdiene, weil sie die im Raum stehende sexuelle Belästigung öffentlich gemacht habe. „Ohne ihren Mut wäre das alles nie herausgekommen.“