Schwäbische Zeitung (Wangen)

Geschichte­n, Gewissen und Gefühle

Pur stellt nach längerer Corona-pause ein neues Album nach bewährtem Rezept vor

- Von Martin Oversohl ●

BIETIGHEIM-BISSINGEN (dpa) Hartmut Engler hat lange ausharren müssen. Der Pur-frontmann hat in seiner Wohnung gehockt, die Corona-pandemie vor der Türe, den Kopf voll von Gedanken, auch von Sorgen. Vor allem aber voll von Sehnsucht nach dem Austausch mit den Fans, mit seiner Band, mit dem Draußen. All das, die Furcht und die Lust und das Verlangen nach der großen Bühne, findet sich wieder in den Songs auf dem neuen, prall gefüllten Album der Band.

Es ist bereits das 17. Pur-studiowerk und die Freunde aus Bietigheim­bissingen bei Stuttgart sind sich treu geblieben: „Persönlich“sind die Gedanken, Erinnerung­en und Bilder, die sie begleitet haben und die sie im gleichnami­gen Album teilen wollen. In typischem Pur-stil, emotional, auch mal warnend, aber stets hoffnungsv­oll, auf Hirn und Herz zielend, bisweilen kitschig, sicher auch nicht für jeden Geschmack, aber doch genau das, was die Fans nach der Corona-pause von ihnen erwarten dürften.

Wieder sind Hymnen für den Auftritt vor den Massen dabei, Liebeslied­er und das eine oder andere Stück, das, geprägt durch die Zeit der Pandemie

und die jüngere politische Weltlage, zwar gesellscha­ftskritisc­h, aber optimistis­ch daherkommt. „Es ist kein Album, bei dem ich in zehn Jahren sagen werde, es sei ein schwierige­s Pandemie-putin-album“, sagt Engler. „Wir müssen diese Themen nach einer solchen Zeit natürlich ansprechen, das lässt sich nicht vermeiden. Aber wir haben auch versucht, es nicht zu überziehen.“

Unumstritt­en gehören Pur auch nach vier Jahrzehnte­n zu den bekanntest­en und populärste­n Musikern des Landes. Die 16 neuen Songs erinnern daran, dass hinter Engler und der Band mehr zu finden ist als die überaus populären Schwärmere­ien von „Abenteuerl­and“und „Funkelperl­enaugen“, die von einigen belächelt, aber von Millionen gesungen werden in Arenen oder auch im Wohnzimmer. Denn auf „Persönlich“riskieren sie, sich mit dem einen oder anderen Song deutlich zu positionie­ren. „Das erwarten Pur-fans auch von uns“, sagt Engler. „Die sind auf alle Songs, auf das ganze Album gespannt, und sie bekommen dort auch den kompletten Überblick.“

So wird in „Voll sein“an „die Zeit der Zahlendreh­er, der Bedenkentr­äger, der Falschbera­ter, der Geisteshac­ker“erinnert, die den Menschen zugesetzt habe. „Was ist aus uns geworden, träge Herde, tristes Heer“, singt Engler weiter, es fehlten die Geschichte­n, die Zärtlichke­it, der Mensch müsse doch „voll“sein mit Liebe und Freude. „Ich bin mit der Gesamtsitu­ation überhaupt nicht zurechtgek­ommen“, bilanziert der 60Jährige seine ganz private Coronaphas­e, diese Zeit, in der er keine Texte schreiben konnte, sich isoliert fühlte. „Sicher muss ich heute keine 150 Konzerte pro Jahr mehr spielen. Aber ich brauche ein Ziel, auf das ich mich freuen kann.“

Ein Ziel, das Engler lange gefehlt zu haben scheint. Er ruft in einem Song nach der vermissten „guten Laune“, er macht in einem anderen den Isolierten, Herunterge­zogenen Mut, sich selbst zu lieben und Gefühle zuzulassen, um nicht „immun“zu werden gegen andere Menschen. Auch er habe in den dunklen Phasen der Pandemie „nicht mehr so richtig den Draht zu anderen Leuten“gehabt, sei lieber zu Hause geblieben. „Weil ich mich selber nicht mochte“, sagt er.

Pur wäre aber nicht Pur ohne das große Gefühl. Seiner Langzeitve­rlobten Katrin widmet Engler ein einfühlsam­es Liebeslied, dem früheren Schlagzeug­er Martin Stoeck melancholi­sche Abschiedse­rinnerunge­n nach dessen Tod („Herzensgut“) und auch das geschenkte Stückchen eines viele Millionen Jahre alten Meteoriten

gibt Engler Anlass für einen Song und Gedanken über das Dasein der Menschheit.

Zu allem und zu jedem will sich Engler keineswegs äußern: „Ich habe nicht zu allem und zu jedem etwas zu sagen, sondern es muss stimmen und ich muss es wichtig finden.“Wichtig wie der russische Angriffskr­ieg in der Ukraine: „In den ersten Tagen war ich nur in Weltunterg­angsstimmu­ng“, sagte Engler. „Ich dachte: Dieser Wahnsinn zerstört alles, an was wir uns festgehalt­en haben.“Später brachte er den durchaus hoffnungsf­rohen Appell an „Ein gutes Morgen“zu Papier.

Hartmut Engler steht nun schon seit vier Jahrzehnte­n mit Pur auf der Bühne. Vom Keller der örtlichen schwäbisch­en Kirchengem­einde arbeiteten sie sich seit Mitte der 1970erjahr­e hinauf, landeten 1990 mit „Lena“den ersten Single-charts-erfolg. Wenige Jahre später wird „Abenteuerl­and“(1995) mit zwei Millionen Exemplaren zu einem der meistverka­uften deutschspr­achigen Alben. „Seiltänzer­traum“hielt sich dann mehr als 120 Wochen in den Albumchart­s. Nach wie vor plant die schwäbisch­e Popband etwa alle drei Jahre ein Album mit anschließe­nder Tournee. 2021 wäre es wieder so gewesen, aber das Virus kam dazwischen. Nun soll es im kommenden Jahr so weit sein.

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 ?? FOTO: BERND THISSEN ?? Frontsänge­r Hartmut Engler steht seit vier Jahrzehnte­n mit Pur auf der Bühne.
FOTO: BERND THISSEN Frontsänge­r Hartmut Engler steht seit vier Jahrzehnte­n mit Pur auf der Bühne.

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