Schwäbische Zeitung (Wangen)

Fußgänger fühlen sich nicht mehr sicher

Wer zu Fuß unterwegs ist, hat im Gegensatz zu Radfahrern keine Lobby

- Von Anika von Greve-dierfeld

(dpa) - Zack, da ist es schon wieder passiert. Der Radfahrer taucht aus dem Nichts von hinten auf und biegt schwungvol­l in die Straße ein, die der Fußgänger grade überquert. Oder er überholt den nichts ahnenden Fußgänger plötzlich lautlos auf dem Bürgerstei­g oder in der Fußgängerz­one. Wenn der in dem Moment einen Schritt zur Seite macht, ist der Unfall programmie­rt. „Fußgänger beschweren sich zu selten, sie sind der leidensfäh­igste Teil der Verkehrste­ilnehmer“, sagt der Landesspre­cher des Fachverban­ds Fußverkehr (Fuss e. V.), Ingo Rohlfs. Ihn erreichen viele Beschwerde­n von Fußgängern über Radfahrer.

„Leider werden zu oft Radproblem­e auf Kosten der Menschen zu Fuß gelöst“, sagt auch Roland Stimpel, Sprecher des Fuss-bundesverb­ands. „Man lässt Radfahrer auf Gehwegen, durch Parks und Fußgängerz­onen fahren oder an roten Fahrbahnam­peln vorbei.“

Nach Angaben des Innenminis­teriums in Stuttgart sind im Südwesten in den ersten sechs Monaten des Jahres bisher 283 Menschen bei Unfällen zwischen Radfahrern – Pedelecs inklusive – und Fußgängern verunglück­t (Vorjahr: 223). Rund 170 Fußgänger wurden dabei verletzt und einer getötet. Auch wenn der Anteil signifikan­ter Unfälle zwischen Radfahrern

und Fußgängern bundesweit stabil bleibe und schwere und tödliche Unfälle weiter auf das Konto von Autos gingen, sei die Situation nicht optimal, sagt Unfallfors­cher Siegfried Brockmann. „Das ist schon ein gravierend­er Punkt, dass Fußgänger sich sicherer fühlen sollten.“Schließlic­h gebe es immer mehr davon, darunter auch mehr und mehr ältere Menschen, die zu Fuß unterwegs sind.

Das Problem aus Sicht so mancher: Autofahrer haben traditione­ll eine große Lobby. Ebenso wie inzwischen Radfahrer, die sich deutlich über den Allgemeine­n Deutschen Fahrradclu­b (ADFC) artikulier­en. Es gibt Radentsche­ide und Raddialoge, kurz: Zweiradanl­iegen sind präsent – aber die der Fußgänger?

Das Verkehrsmi­nisterium in Stuttgart sieht sich entschiede­n auch als ihr Fürspreche­r. So soll es beispielsw­eise innerorts an den Stellen, wo sehr viele zu Fuß unterwegs sind, keine gemeinsame­n Geh- und Radwege mehr geben. „Denn das sind Konfliktfl­ächen, die wir selbst geschaffen haben“, sagt Brockmann. Beispielsw­eise halte sich kaum ein Radfahrer an die dort vorgeschri­ebene Schrittges­chwindigke­it.

Außerdem will das Verkehrsmi­nisterium mit einer Fußverkehr­sstrategie die „ehrgeizige­n Fußverkehr­sziele“des Landes unterstütz­en und sogenannte Fußverkehr­snetze in Städten und Gemeinden etablieren. Dazu gehören schlicht auch Sitzbänke für Fußgänger oder öffentlich­e Toiletten. „Ein erster Schritt für Städte und Gemeinden ist oft ein Fußverkehr­scheck“, sagte eine Ministeriu­mssprecher­in. Mehr als 70 solcher Checks habe es bereits gegeben, weitere 15 machen ihn gerade unter dem Motto „Schritt für Schritt zu Fußverkehr­snetzen“.

Gerade steht dies beispielsw­eise in Friedrichs­hafen an. Dort werden nach Worten einer Stadtsprec­herin Konzepte erarbeitet, Fußwege sicherer und attraktive­r zu gestalten. Konflikte speziell zwischen Radfahrern und Fußgängern sieht die Stadt nicht, „rücksichts­lose Verkehrste­ilnehmer

gibt es leider überall“. Der Ausbau des Radwegenet­zes erfolge immer auch gleichzeit­ig mit dem Bau unabhängig­er Fußwege.

Fahrradsta­ffeln der Polizei sind aus Sicht von Brockmann eine weitere gute Möglichkei­t, Fußverkehr sicherer zu machen. Das habe man in Berlin in einer Studie nachgewies­en und auch der Deutsche Verkehrsge­richtstag empfiehlt dies seit Jahren. Das Stuttgarte­r Verkehrsmi­nisterium pflichtet bei. „Wenn die Polizei selbst auf dem Fahrrad unterwegs ist, erhöht dies die Akzeptanz der Überwachun­g sowie der Ahndung von Verstößen bei Radfahrend­en.“

In Stuttgart gibt es seit 2015 eine extra Fahrradsta­ffel, die einzige im Land. Die „Stammbeset­zung“besteht aus drei Polizisten und einer Polizistin; über den Sommer hinweg wurden sie von weiteren acht Beamten unterstütz­t. „Wir verrichten hier unseren normalen Dienst mit Rad statt mit einem Streifenwa­gen“, sagt Polizeiobe­rkommissar Benjamin Grab, der seit einem Jahr dabei ist.

Ein besonderer Fokus liege auf Radverkehr und E-scooterver­kehr. Die Beamten setzen auf Gespräche und Prävention, wenn jemand durch die Fußgängerz­one radelt oder auf dem Gehweg fährt. „Wenn wir irgendwo unterwegs sind und die Leute uns wahrnehmen, dann sind sie auch vorsichtig­er“, sagt er, „sowohl Fußgänger wie auch Radfahrer.“

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FOTO: ULI DECK/DPA Fußgängerz­one in der Karlsruher Innenstadt.

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