Wenn die Lichter ausgehen
Was passiert im Fall eines Blackouts? Wie sich die Krisenmanager und die Bevölkerung vorbereiten können
KREIS RAVENSBURG - Ein Einsatz: Kreisbrandmeister Oliver Surbeck (Archivfoto: Heiss) steht nachts auf und fährt von seinem Wohnort Amtzell nach Ravensburg. In der Großen Kreisstadt angekommen, ist alles anders. Die Ampeln funktionieren nicht, die Straßenbeleuchtung ist aus, in den Häusern ist jedes Zimmer dunkel: Der Strom ist weg. „Die Atmosphäre ist eine ganz andere, die Stimmung ist seltsam“, findet der oberste Katastrophenmanager im Kreis.
Das Beschriebene ist kein Horrorszenario für den anstehenden Winter. Es hat sich vor ein paar Jahren so ereignet, als nach einem Brand in Teilen der Stadt der Strom ausgefallen war. Surbeck erinnert sich daran, wenn es heute um das Thema Blackout, also einen flächendeckenden Stromausfall für mehr als 24 Stunden, geht.
Damals war unter anderem eine Firma aus der sogenannten kritischen Infrastruktur betroffen. „Die hatten zwar ein Notstromaggregat im Hauptgebäude. Aber im Nebengebäude ist die Sicherung beim Umschalten rausgeflogen“, berichtet Surbeck. „Man hat es einfach nie unter der Auslastung ausprobiert. Und dann muss man nachts um halb vier natürlich erst einmal einen Elektriker herbekommen.“Das Technische Hilfswerk habe in diesem Fall unterstützt. „Aber ich war heilfroh, dass es kein flächendeckender Ausfall war.“
Ein solcher flächendeckender Stromausfall ist mit der fortschreitenden Energiekrise inzwischen weniger auszuschließen, als noch vor einem Jahr. Stromaggregate seien ein Punkt, an dem man jetzt Vorbereitungen für den Winter treffen könne, erklärt Oliver Surbeck. „Wenn man in einem Betrieb eines hat, dann sollte man es auch mal unter Last testen – nicht am Freitagmittag im Leerlauf“, rät der Kreisbrandmeister.
Freilich verfügt auch die öffentliche Hand über solche Aggregate. In einem entsprechenden Ordner kann Surbeck mit einem Handgriff nachschauen, wo im Kreis den Feuerwehren leistungsfähige Aggregate zur Verfügung stehen. Sie sind allerdings ausschließlich für den Dienstbetrieb von Feuerwehr, THW, Rettungsdiensten und dergleichen vorgesehen. „Die gibt es, damit wir unsere Arbeit tun können.“An anderer Stelle könne man damit nicht aushelfen. „Klar
kann ein Landwirt mit 500 Kühen im Stall nicht anfangen von Hand zu melken, nur weil der Strom für den Melkroboter fehlt“, weiß Surbeck. Das sei dramatisch – aber mit guter Vorbereitung und entsprechenden Anschaffungen zu verhindern.
Um die gute Vorbereitung geht es derzeit auch im „Verwaltungsstab Energie“, den das Landratsamt eingesetzt hat. Für die Einsatzkräfte gibt es außerdem das „Einsatzkonzept Blackout“. „Das schreibe ich zurzeit tagesaktuell weiter“, sagt der Kreisbrandmeister.
Er sei bei dem Thema aber kein Einzelkämpfer und beispielsweise an einer bayerischen Task-force beteiligt: „Ein Blackout hört ja nicht an der Kreisgrenze auf.“Das Einsatzkonzept gehe an die Blaulichtfamilie, die Kommunen und die Kreisverwaltung. Die bestmögliche Vorbereitung der Kommunen sei wichtig. „Jeder große oder kleine Bürgermeister hat die Aufgabe, seine Verwaltung und seine Feuerwehr am Laufen zu halten.“
Das Abklopfen der kritischen Infrastruktur habe dezentral die beste Wirkung. Surbeck findet: „Es ist legitim, dass der Bürgermeister vor Ort seine Apothekerin fragt: „Wie funktioniert dein Kassen- und Lagersystem beim Stromausfall?“Oder beim Arzt: „Wie wird die Versorgung von Dialyse-patienten sichergestellt?“
Dass solche Fragen gestellt werden, sei aber nur eine Säule, sagt Surbeck. „Von mir gibt es auch eine klare Aussage in Richtung der Bevölkerung: Nicht warten bis das Asthmaspray leer ist und dann just-in-time einen neuen kaufen, nicht warten bis man im Auto den Reservetank braucht.“
In der Sensibilisierung der Menschen sieht Surbeck eine große Chance. „Das wichtigste und das stärkste Glied in der Sicherheitskette ist die Bevölkerung. Da ist am meisten Manpower da. Deshalb müssen wir es schaffen, die Gesellschaft so zu sensibilisieren, dass sie sich selbst stärkt und sich gegenseitig hilft.“Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe habe „tolle Checklisten und Infomaterial, die der Einzelne jetzt für sich verinnerlichen sollte“.
Panik sei nicht angebracht. Dennoch sagt der Kreisbrandmeister: „Wir haben mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit etwas vor uns, auf das wir uns vorbereiten müssen.“Überhastete Hamsterkäufe meine er damit nicht, sondern überlegtes und informiertes Vorgehen. „Es sollen nicht morgen alle zum Klopapiereinkaufen gehen. Aber wenn jeder nur eine Tiefkühlpizza daheim hat, ist unsere Gesellschaft für den Ernstfall nicht resilient genug.“Aber braucht es die Vorratshaltung wirklich?
Wie groß die Wahrscheinlichkeit eines Blackouts ist, kann und will Oliver Surbeck nicht beziffern. „Wir haben in Baden-württemberg ein gutes und leistungsfähiges Netz, wir sind aber nicht allein auf der Welt.“Naturkatastrophen, technische Ausfälle und Netzüberlastungen seien nur ein Aspekt. „Ein anderes, mögliches Thema sind Cyberattacken auf die kritische Infrastruktur. Da mag, glaube ich, niemand beurteilen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist“, sagt der Kreisbrandmeister.
Er schränkt aber ein: „Es gibt die Leute, die sagen, dass es gar keine Frage ist, ob es zum Blackout kommt, es sei nur die Frage wann. Das ist mir zu platt.“
Fakt sei lediglich, dass eine Restwahrscheinlichkeit bestehe. „Als Feuerwehr und als Krisenmanager muss ich mich auf genau diese letzten Prozent oder Promille einstellen.“Seit 2005 beschäftige sich der Landkreis damit. Handbücher und Ordner zum Thema Stromausfall stünden bei jedem Bürgermeister und manchem Firmeninhaber im Bücherregal. Sie werden wohl auch im Fall eines längeren Blackouts aus dem Schrank geholt.
Nimmt man einmal an, der Strom fällt kreisweit aus: Oliver Surbeck überlegt einen Moment, was wohl die ersten Feuerwehreinsätze sein würden. „Es wird mit steckengebliebenen Fahrstühlen anfangen“, sagt der Kreisbrandmeister. Die Leitstelle der Feuerwehr wird einen flächendeckenden Stromausfall aber vorher mitbekommen, wenn die Notstromversorgung für die Alarmierungstechnik anspringt.
Spätestens nach 30 Minuten werden die Wehren im Kreis die Feuerwehrhäuser anfahren. „Einfach, weil die Alarmierungen dann schnell steigen“, erklärt Surbeck. Es würde zu Fehlmeldungen bei Brandmeldeanlagen kommen, die Verkehrsunfälle würden sich häufen, weil Ampeln ausfallen. „Wir gehen davon aus, dass es am Anfang eher Bagatelleinsätze sind“, so Surbeck.
„Wenn die Ersten dann aber in der kalten Jahreszeit anfangen, ihre Häuser mit Holzkohle zu heizen, geht das Thema Kohlenmonoxidvergiftung los“, macht der Kreisbrandmeister die Bandbreite auf: „Dann geht es weiter, wenn die Wasserleitungen einfrieren, Leute versuchen sie mit Lötkolben warmzumachen und die Gasleitung erwischen.“Die Wetterlage wäre ein entscheidender Faktor, wie es in einem solchen Szenario weitergeht.
„Es gibt keine Daten darüber, wie lange eine Gesellschaft so eine Situation aushält“, sagt Surbeck. Und er verweist, „auch wenn es manchen überraschen wird“, auf einen Thriller: In dem 2012 erschienenen Roman „Blackout – Morgen ist es zu spät“von Marc Elsberg geht man davon aus, dass nach drei bis vier Tagen bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen. „Das ist natürlich getragen von einer Fiktion“, weiß der Kreisbrandmeister.
Man muss sich aber nicht auf Schriftsteller verlassen, wenn man etwas über das Blackoutszenario wissen will: „Es gibt Studien, die ganz klar belegen, dass die Todesfallrate nach zwei Tagen signifikant steigt.“Das trete dann ein, wenn die Randbereiche der Gesellschaft, etwa alte, alleinlebende Menschen, vergessen werden. „Da sehe ich unseren staatlichen und gesellschaftlichen Auftrag, diese zu unterstützen.“
Surbeck hofft und schätzt, dass die „ländliche Bevölkerung im Landkreis Ravensburg besser durch eine solche Situation kommt als die Anonymität einer Großstadt“.
Die Checklisten zur Vorsorge für einen Stromausfall gibt es unter www.bbk.bund.de