Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wenn die Lichter ausgehen

Was passiert im Fall eines Blackouts? Wie sich die Krisenmana­ger und die Bevölkerun­g vorbereite­n können

- Von Paul Martin

KREIS RAVENSBURG - Ein Einsatz: Kreisbrand­meister Oliver Surbeck (Archivfoto: Heiss) steht nachts auf und fährt von seinem Wohnort Amtzell nach Ravensburg. In der Großen Kreisstadt angekommen, ist alles anders. Die Ampeln funktionie­ren nicht, die Straßenbel­euchtung ist aus, in den Häusern ist jedes Zimmer dunkel: Der Strom ist weg. „Die Atmosphäre ist eine ganz andere, die Stimmung ist seltsam“, findet der oberste Katastroph­enmanager im Kreis.

Das Beschriebe­ne ist kein Horrorszen­ario für den anstehende­n Winter. Es hat sich vor ein paar Jahren so ereignet, als nach einem Brand in Teilen der Stadt der Strom ausgefalle­n war. Surbeck erinnert sich daran, wenn es heute um das Thema Blackout, also einen flächendec­kenden Stromausfa­ll für mehr als 24 Stunden, geht.

Damals war unter anderem eine Firma aus der sogenannte­n kritischen Infrastruk­tur betroffen. „Die hatten zwar ein Notstromag­gregat im Hauptgebäu­de. Aber im Nebengebäu­de ist die Sicherung beim Umschalten rausgeflog­en“, berichtet Surbeck. „Man hat es einfach nie unter der Auslastung ausprobier­t. Und dann muss man nachts um halb vier natürlich erst einmal einen Elektriker herbekomme­n.“Das Technische Hilfswerk habe in diesem Fall unterstütz­t. „Aber ich war heilfroh, dass es kein flächendec­kender Ausfall war.“

Ein solcher flächendec­kender Stromausfa­ll ist mit der fortschrei­tenden Energiekri­se inzwischen weniger auszuschli­eßen, als noch vor einem Jahr. Stromaggre­gate seien ein Punkt, an dem man jetzt Vorbereitu­ngen für den Winter treffen könne, erklärt Oliver Surbeck. „Wenn man in einem Betrieb eines hat, dann sollte man es auch mal unter Last testen – nicht am Freitagmit­tag im Leerlauf“, rät der Kreisbrand­meister.

Freilich verfügt auch die öffentlich­e Hand über solche Aggregate. In einem entspreche­nden Ordner kann Surbeck mit einem Handgriff nachschaue­n, wo im Kreis den Feuerwehre­n leistungsf­ähige Aggregate zur Verfügung stehen. Sie sind allerdings ausschließ­lich für den Dienstbetr­ieb von Feuerwehr, THW, Rettungsdi­ensten und dergleiche­n vorgesehen. „Die gibt es, damit wir unsere Arbeit tun können.“An anderer Stelle könne man damit nicht aushelfen. „Klar

kann ein Landwirt mit 500 Kühen im Stall nicht anfangen von Hand zu melken, nur weil der Strom für den Melkrobote­r fehlt“, weiß Surbeck. Das sei dramatisch – aber mit guter Vorbereitu­ng und entspreche­nden Anschaffun­gen zu verhindern.

Um die gute Vorbereitu­ng geht es derzeit auch im „Verwaltung­sstab Energie“, den das Landratsam­t eingesetzt hat. Für die Einsatzkrä­fte gibt es außerdem das „Einsatzkon­zept Blackout“. „Das schreibe ich zurzeit tagesaktue­ll weiter“, sagt der Kreisbrand­meister.

Er sei bei dem Thema aber kein Einzelkämp­fer und beispielsw­eise an einer bayerische­n Task-force beteiligt: „Ein Blackout hört ja nicht an der Kreisgrenz­e auf.“Das Einsatzkon­zept gehe an die Blaulichtf­amilie, die Kommunen und die Kreisverwa­ltung. Die bestmöglic­he Vorbereitu­ng der Kommunen sei wichtig. „Jeder große oder kleine Bürgermeis­ter hat die Aufgabe, seine Verwaltung und seine Feuerwehr am Laufen zu halten.“

Das Abklopfen der kritischen Infrastruk­tur habe dezentral die beste Wirkung. Surbeck findet: „Es ist legitim, dass der Bürgermeis­ter vor Ort seine Apothekeri­n fragt: „Wie funktionie­rt dein Kassen- und Lagersyste­m beim Stromausfa­ll?“Oder beim Arzt: „Wie wird die Versorgung von Dialyse-patienten sichergest­ellt?“

Dass solche Fragen gestellt werden, sei aber nur eine Säule, sagt Surbeck. „Von mir gibt es auch eine klare Aussage in Richtung der Bevölkerun­g: Nicht warten bis das Asthmaspra­y leer ist und dann just-in-time einen neuen kaufen, nicht warten bis man im Auto den Reservetan­k braucht.“

In der Sensibilis­ierung der Menschen sieht Surbeck eine große Chance. „Das wichtigste und das stärkste Glied in der Sicherheit­skette ist die Bevölkerun­g. Da ist am meisten Manpower da. Deshalb müssen wir es schaffen, die Gesellscha­ft so zu sensibilis­ieren, dass sie sich selbst stärkt und sich gegenseiti­g hilft.“Das Bundesamt für Bevölkerun­gsschutz und Katastroph­enhilfe habe „tolle Checkliste­n und Infomateri­al, die der Einzelne jetzt für sich verinnerli­chen sollte“.

Panik sei nicht angebracht. Dennoch sagt der Kreisbrand­meister: „Wir haben mit einer gewissen Wahrschein­lichkeit etwas vor uns, auf das wir uns vorbereite­n müssen.“Überhastet­e Hamsterkäu­fe meine er damit nicht, sondern überlegtes und informiert­es Vorgehen. „Es sollen nicht morgen alle zum Klopapiere­inkaufen gehen. Aber wenn jeder nur eine Tiefkühlpi­zza daheim hat, ist unsere Gesellscha­ft für den Ernstfall nicht resilient genug.“Aber braucht es die Vorratshal­tung wirklich?

Wie groß die Wahrschein­lichkeit eines Blackouts ist, kann und will Oliver Surbeck nicht beziffern. „Wir haben in Baden-württember­g ein gutes und leistungsf­ähiges Netz, wir sind aber nicht allein auf der Welt.“Naturkatas­trophen, technische Ausfälle und Netzüberla­stungen seien nur ein Aspekt. „Ein anderes, mögliches Thema sind Cyberattac­ken auf die kritische Infrastruk­tur. Da mag, glaube ich, niemand beurteilen, wie groß die Wahrschein­lichkeit ist“, sagt der Kreisbrand­meister.

Er schränkt aber ein: „Es gibt die Leute, die sagen, dass es gar keine Frage ist, ob es zum Blackout kommt, es sei nur die Frage wann. Das ist mir zu platt.“

Fakt sei lediglich, dass eine Restwahrsc­heinlichke­it bestehe. „Als Feuerwehr und als Krisenmana­ger muss ich mich auf genau diese letzten Prozent oder Promille einstellen.“Seit 2005 beschäftig­e sich der Landkreis damit. Handbücher und Ordner zum Thema Stromausfa­ll stünden bei jedem Bürgermeis­ter und manchem Firmeninha­ber im Bücherrega­l. Sie werden wohl auch im Fall eines längeren Blackouts aus dem Schrank geholt.

Nimmt man einmal an, der Strom fällt kreisweit aus: Oliver Surbeck überlegt einen Moment, was wohl die ersten Feuerwehre­insätze sein würden. „Es wird mit steckengeb­liebenen Fahrstühle­n anfangen“, sagt der Kreisbrand­meister. Die Leitstelle der Feuerwehr wird einen flächendec­kenden Stromausfa­ll aber vorher mitbekomme­n, wenn die Notstromve­rsorgung für die Alarmierun­gstechnik anspringt.

Spätestens nach 30 Minuten werden die Wehren im Kreis die Feuerwehrh­äuser anfahren. „Einfach, weil die Alarmierun­gen dann schnell steigen“, erklärt Surbeck. Es würde zu Fehlmeldun­gen bei Brandmelde­anlagen kommen, die Verkehrsun­fälle würden sich häufen, weil Ampeln ausfallen. „Wir gehen davon aus, dass es am Anfang eher Bagatellei­nsätze sind“, so Surbeck.

„Wenn die Ersten dann aber in der kalten Jahreszeit anfangen, ihre Häuser mit Holzkohle zu heizen, geht das Thema Kohlenmono­xidvergift­ung los“, macht der Kreisbrand­meister die Bandbreite auf: „Dann geht es weiter, wenn die Wasserleit­ungen einfrieren, Leute versuchen sie mit Lötkolben warmzumach­en und die Gasleitung erwischen.“Die Wetterlage wäre ein entscheide­nder Faktor, wie es in einem solchen Szenario weitergeht.

„Es gibt keine Daten darüber, wie lange eine Gesellscha­ft so eine Situation aushält“, sagt Surbeck. Und er verweist, „auch wenn es manchen überrasche­n wird“, auf einen Thriller: In dem 2012 erschienen­en Roman „Blackout – Morgen ist es zu spät“von Marc Elsberg geht man davon aus, dass nach drei bis vier Tagen bürgerkrie­gsähnliche Zustände herrschen. „Das ist natürlich getragen von einer Fiktion“, weiß der Kreisbrand­meister.

Man muss sich aber nicht auf Schriftste­ller verlassen, wenn man etwas über das Blackoutsz­enario wissen will: „Es gibt Studien, die ganz klar belegen, dass die Todesfallr­ate nach zwei Tagen signifikan­t steigt.“Das trete dann ein, wenn die Randbereic­he der Gesellscha­ft, etwa alte, alleinlebe­nde Menschen, vergessen werden. „Da sehe ich unseren staatliche­n und gesellscha­ftlichen Auftrag, diese zu unterstütz­en.“

Surbeck hofft und schätzt, dass die „ländliche Bevölkerun­g im Landkreis Ravensburg besser durch eine solche Situation kommt als die Anonymität einer Großstadt“.

Die Checkliste­n zur Vorsorge für einen Stromausfa­ll gibt es unter www.bbk.bund.de

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ARCHIVFOTO­S: HEISS/DPA Wie sich die Krisenmana­ger und die Bevölkerun­g vorbereite­n können, erklärt Ravensburg­s Kreisbrand­meister Oliver Surbeck (links).

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