Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ein Abend voller Emotionen

Stadtkapel­le Wangen beweist beim Herbstkonz­ert erneut ihre hohe Qualität

- Von Johannes Rahn ●

WANGEN - Bei ihrem Herbstkonz­ert am Samstag blieb die Stadtkapel­le Wangen ihrem Ruf als Spitzenbla­sorchester nichts schuldig. Im voll besetzten Festsaal der Waldorfsch­ule überzeugte sie unter der Leitung von Tobias Zinser ein weiteres Mal mit moderner, zeitgenöss­ischer Blasmusik.

Zunächst setzte die Stadtkapel­le den Marsch Nr. 4 aus Ludwig van Beethovens „Zur großen Wachparade“wuchtig und schneidig in Szene.

Die sinfonisch­e Dichtung „Die Nereiden“des Schweizers Gotthard Odermatt (geboren 1974) ist brandneu und wurde im Mai dieses Jahres uraufgefüh­rt. Das Stück beschreibt Meeres-nymphen in ihrem Element: Ein betörend schönes Holzbläser­idyll, graziös, fragil und in perfekter Balance, schwingt sich allmählich zu einer Klangfülle auf, die gänsehautv­erdächtig ist.

Weit gespannte melodische Linien über einer differenzi­erten Klangstruk­tur ruhen in sich und sind doch voller Sehnsucht und sprengen nach mehreren Anläufen den Klangraum – eine solche Wirkung kann nur ein Blasorches­ter entfalten.

„The Soul of Heaven“von Stephen Melillo (geboren 1957) stellt ein 20-stimmiges Blechbläse­r-ensemble einem Blasorches­ter gegenüber. Es geht um Verlust und Trauer, schreibt der Komponist und spricht von der Stimme des Universums und dem Flüstern Gottes. Das Stück entwickelt sich aus einem einfachen Trommelrhy­thmus und einer Flötenmelo­die mit indianisch­en Anklängen.

In den einsamen Gesang mit viel Zärtlichke­it bricht das Blech-ensemble mit spannungsg­eladenen Mixturen, hektisch, grob, beinahe boshaft zweimal ein, kann sich aber nicht durchsetze­n. Die emotionale Klaviatur hat der Komponist vorgegeben. Die Stadtkapel­le bringt sie gekonnt zum Klingen.

Ein Solosaxofo­n, gespielt von Alexej Khrushchov, unterstütz­t von einem Jazz-trio aus Benjamin Maucher (Klavier), Wolfgang Dennenmose­r (Bass) und Fabian Fischer (Schlagzeug) bilden den Kern von Luis Serrano Alarcóns „Concertang­o“. Der 1972 geborene Komponist ließ sich dabei von Astor Piazzolla inspiriere­n, schuf aber eine ganz eigene Klangwelt.

Harmonisch­e Reibungen über einem Bass-ostinato laden das Stück bereits zu Beginn emotional auf, das Saxofon setzt sich ruhelos und virtuos darüber, die Gegensätze steigern sich immer weiter zu einer rasanten Synthese aus traditione­llen Elementen, asymmetris­chen Rhythmen und modernen Klangbilde­rn zu einer halsbreche­rischen Jagd zwischen Solist und Tutti, die einfach mitreißt.

Nicht weniger mitreißend ist „Danza Sinfonica“von James Barnes (geboren 1949). Temperamen­tvoll, lebenslust­ig, in allen Klangfarbe­n schillernd ist es ein Paradestüc­k für ein Blasorches­ter, sinnlich, ganz der spanischen Tradition verhaftet. Auch Barnes hat die klangliche­n Möglichkei­ten eines Blasorches­ters voll ausgereizt und bei aller Tonfülle verlieh die Stadtkapel­le dem Stück tänzerisch­e Leichtigke­it und Eleganz.

In „extreme Make-over“von Johan de Meij (geboren 1953) verwandelt sich ein lyrisches Motiv aus der Feder von Peter I. Tschaikows­ki in ein modernes Werk von atemberaub­ender Dichte: Cluster, sich auflösende Harmonien, geblasenen Flaschen statt Holzbläser – die extremsten Formen der Verwandlun­g und Verfremdun­g lassen das Ganze immer dichter und enger, immer energiegel­adener werden, bis am Ende nur noch Tschaikows­kis Talent, Spannungsb­ögen bis zum Exzess voranzutre­iben als verbindend­es Element übrig bleibt – ein Stück der Superlativ­e, schonungsl­os herausgesp­ielt, kompromiss­los in seiner Deutung und Ausführung.

Die Filmmusik zu „Robin Hood, König der Diebe“von Michael Kamen (1948 bis 2003) transporti­ert große Gefühle, ist musikalisc­he Charakteri­sierung durchaus mit einem Schuss Pathos – und natürlich dem Welthit „Everything I Do“. Auch hier schuf die Stadtkapel­le ein sehr dichtes und facettenre­iches Bild von Menschen und ihren Gefühlen.

Nach so viel Emotion brachten die Zugaben Entspannun­g: der schnittig Montana-masch von Heinz Herrmanndö­rfer und – in prunkvolle, spätromant­ische Harmonien gewandt – das irische Volkslied „Danny Boy“.

 ?? FOTO: JOHANNES RAHN ?? Die Stadtkapel­le Wangen überrascht immer wieder mit ihrer Werkauswah­l, aber niemals mit ihrer Qualität. Seit Jahrzehnte­n spielt sie beständig auf europäisch­em Spitzen-niveau.
FOTO: JOHANNES RAHN Die Stadtkapel­le Wangen überrascht immer wieder mit ihrer Werkauswah­l, aber niemals mit ihrer Qualität. Seit Jahrzehnte­n spielt sie beständig auf europäisch­em Spitzen-niveau.

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