Philipp Amthor wird gefeiert wie ein Popstar
300 überwiegend junge Menschen wollen den konservativen Jungpolitiker sehen – manche für ein Grusel-selfie
RAVENSBURG - Kein anderer Cdubundestagsabgeordnete hätte wohl so viele junge Leute auf den Marienplatz gelockt wie Philipp Amthor: Der aus zahlreichen Comedy-shows und Satiresendungen, in denen er regelmäßig durch den Kakao gezogen wird, bekannte Politiker kommt am Donnerstagabend auf Einladung seines Parteifreundes Axel Müller nach Ravensburg und wird gefeiert wie ein Popstar. „Amthor, Amthor!“, rufen ein paar Teenager aus der Jungen Union vor der „Ratsstube“im Chor zur Begrüßung, viele wollen ein Selfie mit dem 29-Jährigen. Einige, weil er mit seinem geschniegelten, braven Äußeren in Anzug, Krawatte und zum strengen Seitenscheitel gegelten Haar als kultiger Antiheld der Cdu-jugend durchgeht, andere, weil sie einfach nur einen lustigen Gruß in den sozialen Medien posten wollen.
„Es sind sogar Leute aus Stuttgart gekommen“, sagt Cdu-kreisvorsitzender Christian Natterer stolz. Der 41-jährige Wangener saß als Nachrücker selbst ein Jahr im Bundestag, konnte aber anders als Amthor bei der Wahl im vergangenen Herbst nicht mehr über die Landesliste ins Parlament einziehen. Dabei fußt die Berühmtheit des Gastes aus dem hohen Norden zum Teil auch auf einem Skandal. Amthor hatte im Oktober 2018 an seinen Parteifreund, den damaligen Wirtschaftsminister Peter Altmaier, einen Brief geschrieben, in dem er sich für die Interessen des Unternehmens „Augustus Intelligence“einsetzte, von dem er später 2817 Aktienoptionen und einen Direktorenposten erhielt. Doch irgendwie ist es dem Juristen aus Mecklenburg-vorpommern, der direkt nach der Uni in den Bundestag kam, gelungen, die Affäre abzuschütteln.
Am Abend in Ravensburg ist sie auch kein Thema. Dass er ein beliebtes Opfer der Comedians der „Heuteshow“ist, schon eher. „Mich hat Lutz van der Horst auch mal vor dem Bundestag abgepasst, aber der Beitrag wurde nicht gesendet“, sagt Natterer und klingt dabei ein wenig enttäuscht. „Philipp Amthor ist da vielleicht doch schlagfertiger.“
Zumindest ist der 29-Jährige eloquent. Die meisten der etwa 300 Zuhörer scheinen tatsächlich gekommen zu sein, um ihm zuzuhören, und nicht, wie Axel Müller als Veranstalter
im Scherz vermutet: „Ihr habt die Bedingung der Teilnahme erfasst. Ihr alle kriegt ein Getränk, und das geht auf mich.“Dann legt Amthor los. Mit einem Satz, der als Kompliment für die Zuhörer gemeint ist: „Die Jugend in Deutschland ist nicht per se links, sondern einfach vernünftig.“Es folgen die üblichen Inhalte, die für einen Oppositionspolitiker nicht überraschend sind. Dass die CDU im Moment nicht regiere, sei „traurig für Deutschland“, das Land werde „unter Wert regiert“, die Atomkraftwerke – Amthor benutzt das nicht so gefährlich klingende Wort „Kernkraftwerke“– müssten länger laufen als bis April 2023, illegale Migration solle stärker bekämpft werden, und die Gaspreisbremse komme im März oder April, also zum Ende der Heizperiode, viel
zu spät, um eine wirkliche Entlastung darzustellen.
Aber der Abgeordnete, der sich selbst zum konservativen Flügel der Union zählt, grenzt sich auch gegen die AFD ab. Es sei wichtig, der Rechtsaußenpartei „mit einer bürgerlich-konservativen Politik klar entgegenzutreten“. Angesichts der vielen Krisen, besonders des Ukraine-kriegs und seiner Folgen, bestehe ansonsten die Gefahr, „dass die rechten und linken Vereinfacher immer mehr Zulauf bekommen“.
Auf die Frage eines Zuhörers, wie er zur Legalisierung von Marihuana stehe, antwortet er ausweichend. Vermutlich, weil seine wahre Meinung beim jungen Publikum nicht gut ankäme. Die Legalisierung werde wahrscheinlich kommen, „aber ich muss euch enttäuschen, das wird
nichts unter 18“, sagt er. Überhaupt würden die Menschen „in der aktuellen Notlage erwarten, dass die Politik wichtigere Schwerpunkte setzt als die Legalisierung von Cannabis“.
Keine Zustimmung erhält er auf die Antwort, warum er sich nicht von der zuvor geäußerten Vermutung eines älteren Mannes distanziert habe, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sei „von den Chinesen gekauft“– im Zusammenhang mit dem Cosco-deal am Hamburger Hafen. Er habe das ja nicht bejaht, folglich nicht unterstützt, meint Amthor, was einige Zuhörer mit Buh-rufen quittieren. Eher unbefriedigend für die Jugendlichen auch das Thema Wahlrecht mit 16, das die Union nicht befürwortet. „Warum darf man erst mit 18 wählen? Trauen Sie uns das nicht zu?“, fragt ein Mädchen. Er selbst sei mit 16,17 nach seinem Beitritt in die Junge Union auch „Leidtragender“dieser Regelung gewesen, erinnert sich Amthor und fügt leicht pathetisch an: „Politisches Engagement ist so viel mehr, als nur ein Kreuz zu setzen.“
Besonders tiefgründig kann ein solcher Rundumschlag zu allen möglichen politischen Themen kaum sein, und nicht jeder Zuhörer ist am Ende begeisterter Amthor-fan. Einem Rentner, Siegfried Ziarnetzki aus Berg, geht „so viel belangloses Geschwätz auf den Geist“, wie er sagt. „Ehrlich, ich bin kein Anhänger der Linken: Aber wenn ich dem zuhöre, wundert es mich nicht, dass die CDU nicht mehr in der Regierung sitzt.“Auch die zwei Ravensburger Fdp-stadträte Oliver Schneider und Markus Waidmann, die aus Neugier auf ein Feierabend-bier gekommen sind, wollen nach dem Amthor-auftritt nicht spontan die Partei wechseln. Wobei Schneider meint, man müsse gnädig sein: „Der Lindner war in dem Alter auch nicht besser.“
Nach einer knappen Stunde muss Amthor auch schon weiter und schlägt die nette Einladung einer Studentin zu einer Party aus, lässt sich aber noch bereitwillig zu mehreren Selfies überreden. Axel Müller ist mit seiner Veranstaltung am Ende zufrieden. Vor allem auch, weil das Wetter an diesem außergewöhnlich warmen Oktoberabend gepasst hat und alles draußen stattfinden konnte – so viele Zuhörer hätten niemals in die kleine Ratsstube gepasst.
Am Ende wollen zwei junge, hübsche Frauen sogar noch ein Selfie mit ihm selbst – „weil Sie das alles so toll organisiert haben“.