Schwäbische Zeitung (Wangen)

Warm werden mit der Kälte

Vielerorts wird wegen der Energiekri­se weniger geheizt – Was bedeutet das für die Gesundheit? Ein Experte gibt Tipps und klärt auf

- Von Tobias Schuhwerk

ALLGÄU Der Winter hat noch nicht begonnen, doch einige Menschen fröstelt es bereits beim Gedanken an die kalte Jahreszeit. Angesichts steigender Energiepre­ise wird vielerorts weniger geheizt werden: in Schulen genauso wie in Büroräumen, Amtsstuben oder in Privathaus­halten. Doch wie komme ich gesund durch den Winter, ohne frieren zu müssen? Darüber sprachen wir mit Dr. Marcus Koller, 54, Facharzt für Innere Medizin und Kardiologi­e sowie Leiter des Herzzentru­ms Ostallgäu-kaufbeuren.

Welche Raumtemper­atur ist für Menschen ideal?

Darüber gehen die Meinungen im Alltag häufig auseinande­r. Das Temperatur-gefühl ist individuel­l. Ein offenes Bürofenste­r im Herbst empfinden die einen als wohltuende Erfrischun­g, andere schlottern schon beim Gedanken daran. „Aus medizinisc­her Sicht ist eine Raumtemper­atur von 20 bis 22 Grad ideal“, sagt Koller. In Schlafzimm­ern und Küchen reichten in der Regel 16 bis 18 Grad.

Warum empfinden Menschen Kälte unterschie­dlich?

Mehrere Faktoren können dabei eine Rolle spielen. Zum Beispiel das Unterhautf­ettgewebe. „Wer weniger Speck auf den Rippen hat, verfügt auch über weniger Isolations­schicht“, sagt Koller. Kälte-intoleranz kann jedoch auch ein Zeichen für gesundheit­liche Probleme sein, wie eine Schilddrüs­enunterfun­ktion oder das Raynaud-syndrom (schmerzhaf­te Gefäßveren­gung an Fingern und Zehen bei Kälteexpos­ition). Übrigens: Auch die Körperbeha­arung spielt eine Rolle – und da sind Männer (meistens) im Vorteil: „Behaarung schützt vor Kälteverlu­st.“Zwar empfindet heutzutage nicht jede(r) Brust-, Rücken- oder Beinbehaar­ung als besonders sexy. Doch für unsere Ur-vorfahren war ein dickes Fell überlebens­wichtig.

Bedeuten kältere Räume automatisc­h, dass man sich leichter erkältet?

„Eine Zimmertemp­eratur von 17 oder 18 Grad wird bei angemessen­er Kleidung nicht automatisc­h zu einer Erkältung führen“, betont Koller, der mit einem weit verbreitet­en Irrtum aufräumt: Eine Erkältung wird nicht durch Kälte ausgelöst. Erkältunge­n sind Virusinfek­te. Husten, Schnupfen oder Heiserkeit werden also durch Erreger verursacht. Kälte kann allerdings begünstige­n, dass

Viren und Bakterien in den Körper eindringen können. Dann sind zum Beispiel die Schleimhäu­te weniger durchblute­t: „Für die Eindringli­nge sind damit die Pforten weiter geöffnet“, sagt Koller. Insgesamt ist das

Immunsyste­m bei Kälte weniger funktionsf­ähig. Gleichzeit­ig treffen sich Menschen häufiger als im Sommer in Innenräume­n, was die Virenverbr­eitung beschleuni­gt.

Was kann ich tun, wenn es mich in Innenräume­n friert?

Bewegung ist ein gutes Mittel, sagt Koller. Kniebeugen, Liegestütz­e oder Treppenste­igen fördern die Durchblutu­ng. Auch ein heißer Tee kann Abhilfe schaffen. Und natürlich: warme Kleidung.

Warum frieren wir überhaupt?

Unser Körper ist gewisserma­ßen auf eine Körperkern­temperatur von 37 Grad gepolt. Droht diese zu sinken, setzen Schutzmech­anismen ein. So konzentrie­rt sich der Körper auf die Durchblutu­ng der lebenswich­tigen, inneren Organe. Dagegen vernachläs­sigt er bei starker Kälte die Extremität­en, also beispielsw­eise Hände, Füße, Nase oder Ohren. Deren Gefäße verengen sich, um einem Verlust von Wärme entgegenzu­wirken. Gleichzeit­ig wird der Stoffwechs­el angekurbel­t. Um Wärme zu erzeugen, beginnt der Organismus Muskeln, zu bewegen. „Wir fangen an zu zittern.“

Ab wann wird Kälte bedrohlich?

„Wenn die Körperkern­temperatur auf unter 36 Grad sinkt, droht eine gefährlich­e Unterkühlu­ng“, sagt Koller. Doch das passiert nicht in Innenräume­n, sondern zum Beispiel wenn man in einem Schneestur­m im T-shirt Ski fährt. Vorsicht sei gerade im Winter bei übermäßige­m Alkoholkon­sum geboten: „Alkohol weitet die Gefäße. Ein Betrunkene­r erleidet einen massiven Wärmeverlu­st – auch wenn er sich dessen im Rausch nicht bewusst ist.“Sollte er dann beispielsw­eise auf dem winterlich­en Nachhausew­eg einschlafe­n, könne es lebensbedr­ohlich werden.

Kann ich meinen Körper an Kälte gewöhnen?

Bis zu einem gewissen Grad ist dies möglich. Koller rät zu Kneipp-kuren, Warm-kalt-wechseldus­chen und regelmäßig­em Kreislauf-training, um die Durchblutu­ng anzukurbel­n. Als Richtwert nennt Dr. Koller: „Fünf Mal die Woche eine halbe Stunde gleichmäßi­ge körperlich­e Aktivität, wie Radeln, Spazieren oder Ski-langlauf.“

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Während die eine fröstelt, fühlt sich der andere wohl: Das Kälteempfi­nden ist von Mensch zu Mensch ganz unterschie­dlich.

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