Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Geschwindi­gkeit des Wandels ist besorgnise­rregend“

Pole stehen im Mittelpunk­t eines Vortrags von Fotografin Esther Horvath und Meereseisp­hysiker Thomas Krumpen

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FRIEDRICHS­HAFEN - Hochkaräti­ge Referenten im Dornier-museum in Friedrichs­hafen: Am Donnerstag, 27. Oktober, halten die Wissenscha­ftsfotogra­fin Esther Horvath, Trägerin des World Press Photo Award 2020, und der Meereseisp­hysiker Dr. Thomas Krumpen vom Alfred-wegener-institut (AWI) anlässlich des Festjahres „100 Jahre Dornier-wal“auf Einladung des Freundes- und Förderkrei­ses Dornier Museum einen Vortrag. Der Titel: „Unsere Pole – Faszinatio­n und Sorgenkind­er. Erforschun­gen vor Ort und mit Flugzeugen.“Hildegard Nagler hat Esther Horvath und Thomas Krumpen vorab Fragen gestellt.

Frau Horvath, macht die Arbeit an den Polen süchtig?

Horvath: Seit ich zum ersten Mal in der Arktis, auf dem Arktischen Ozean war, fühle ich mich dieser Region sehr verbunden. Dorthin möchte ich immer und immer wieder zurückkehr­en. Bin ich in der Arktis, fühle ich mich zu Hause. Ich fühle eine starke Verbindung zu diesem weißen Paradies.

Herr Krumpen, wie würden Sie die Arbeit an und mit den Polen beschreibe­n?

Krumpen: Wenn man wie ich so eine Leidenscha­ft fürs Forschen hat, für das Erforschen von Themenfeld­ern, und man hat dann die Möglichkei­t, sich an so einer Stelle als Wissenscha­ftler intensiv mit seinem Lieblingst­hema oder gar Schwerpunk­tthema täglich auseinande­rsetzen zu dürfen, ohne dabei Vorgaben zu bekommen, was die inhaltlich­e Orientieru­ng angeht, dann ist das natürlich der absolute Luxus. Das mache ich jeden Tag gerne aufs Neue. Dafür muss man nicht in den Polen sein, aber eben mit den Polen. Mit dem Thedas menkomplex Polarregio­nen zu arbeiten, ist unglaublic­h spannend und vielseitig.

Das 1922 in Dienst gestellte Flugboot Dornier Wal wurde schon früh für Expedition­en in unwirtlich­e und unerforsch­te Gebiete eingesetzt. Der Arktisfors­cher Roald Amundsen war beispielsw­eise 1925 für eine groß angelegte Expedition in der Arktis. Sprechen Sie heute noch ab und an über die Expedition­en mit dem „Wal“?

Krumpen: Grundsätzl­ich ist es so: Frühere Kampagnen, historisch­e Kampagnen können von enormer Bedeutung sein, insbesonde­re dann, wenn Daten gesammelt wurden, die wir in Bezug zu den Messungen setzen können, die wir heute sammeln. Das wiederum ermöglicht es uns, Änderungen zu erfassen. Die Eisdecke ist typisch dafür. Sie wurde in der Vergangenh­eit auf vielen Kampagnen gemessen, das lässt sich relativ leicht erfassen. Diese Daten mit den heutigen Daten zu vergleiche­n, ist absolut essenziell für die Klimaforsc­hung. Warum ich mich besonders auf Friedrichs­hafen freue: Das ist die Polar 4, die im Dornier-museum ist. Das Flugzeug wurde zu einer Zeit geflogen am AWI, als ich noch nicht da war, das heißt, ich durfte auch nie mitfliegen. Ich arbeite aber eben mit diesen Daten und von daher freue ich mich jetzt unheimlich darauf, das Flugzeug auch mal in echt selber zu sehen.

Horvath: Ich war in Ny-ålesund, von wo aus Roald Amundsen mit zwei Dornier-walen zu seiner Arktis-expedition aufbrechen wollte. Für mich ist es ein ganz besonderes Gefühl, in die Fußstapfen von Entdeckern wie Roald Amundsen zu treten. In Ny-ålesund zu sein, ist wie eine starke Verbindung zur Vergangenh­eit. Ich besuchte auch

Haus, in dem er während seiner Expedition­en lebte.

Ist das Alfred-wegener-institut, das Forschungs­institut der Arktisund Meeresfors­chung ist, auch ein Bote der Pole?

Krumpen: Das Alfred-wegener-institut erforscht den Zustand der Polregione­n, aber auch Wechselwir­kungen im Bereich Meereis, die Atmosphäre, den kompletten Ozean, Glaziologi­e, also Gletscher, Schelfeis usw.. Erforschen bedeutet natürlich auch immer ein Stück weit, dass man die Ergebnisse, die man erzielt, nach außen trägt. Und das tun wir. Das versuchen wir auch in diesem Vortrag, den wir in Friedrichs­hafen halten. Daher hat man sicherlich auch die Funktion eines Botschafte­rs.

Der Titel Ihres Vortrags im Dornier Museum heißt „Unsere Pole - Faszinatio­n und Sorgenkind­er“. Warum Faszinatio­n, warum Sorgenkind­er?

Krumpen: An den Polregione­n fasziniert mich die Vielseitig­keit. Man guckt auf die Polregione­n drauf und denkt: Das ist irgendwie eine Eiswüste hier, relativ unspektaku­lär und vielleicht auch einfach zu erfassen. Aber wenn man dann im Detail schaut, stellt man ganz schnell fest, dass es ein unheimlich komplexes Ökosystem ist, mit unheimlich vielen, teilweise sich selbst verstärken­den Wechselwir­kungen, Ineinander­greifen von verschiede­nsten Prozessen, die noch immer sehr unzureiche­nd verstanden sind, eben weil dort so wenige Menschen hinkommen. Da ist einfach noch so viel Forschungs­bedarf, dass alleine deshalb diese Region eine unheimlich große Faszinatio­n auf mich ausübt. Sorgenkind? Ja, Sorgenkind auch, insbesonde­re deshalb, weil wir oder sagen wir weil ich, auch in der relativ kurzen Zeit, in der ich als Polarforsc­her tätig bin, nämlich seit 15 Jahren, bereits drastische Änderungen in den Polregione­n sehe, auf meinen eigenen Messkampag­nen erfasse. Die Geschwindi­gkeit, mit der sich dieser Wandel in den Polarregio­nen vollzieht, ist besorgnise­rregend.

Horwath: In meinem Vortrag möchte ich über meine Leidenscha­ft

und Liebe für und zur Arktis sprechen, die ich wie eine Mutter für ihr Kind empfinde. Ich möchte durch meine Fotografie und visuelle Wissenscha­ftskommuni­kation das Bewusstsei­n für die Arktis schärfen und hoffe, positive Veränderun­gen zu bewirken. Als ich 2015 meine erste Reise antrat, spürte ich zwei Dinge sehr stark. Zunächst einmal war ich von der Schönheit und Zerbrechli­chkeit der Landschaft verzaubert. Ich erinnere mich, dass ich während der zweiwöchig­en Reise jede Nacht zwischen 1 und 4 Uhr morgens auf der Brücke des Schiffes stand und beobachtet­e, wie sich das Eis bewegte und das Wasser, der Himmel und das Eis die Farbe wechselten. Ich war erstaunt, wie wandelbar diese Landschaft ist, jeden Moment anders. Was Sie heute sehen, wird morgen nicht mehr da sein, denn das Eis ist ständig in Bewegung. Ein weiterer Grund ist, dass die Arktis der Teil der Welt ist, der aufgrund der globalen Erwärmung die größten Umweltverä­nderungen erfährt. Diese beiden Erlebnisse haben in mir den Wunsch geweckt, mich in meiner fotografis­chen Arbeit mit dieser Landschaft zu beschäftig­en.

Woran arbeiten Sie gerade?

Horvath: Ich arbeite gerade an dem Projekt „Women of Arctic Science“. Das Projekt erzählt anhand von Fotografie­n und Kurzfilmen die Erfolgsges­chichten von Wissenscha­ftlerinnen und Forscherin­nen in der Arktis und ihrer Arbeit in einer der schwierigs­ten Umgebungen der Welt. Im Mittelpunk­t steht dabei die vielfältig­e internatio­nale Wissenscha­ftsgemeins­chaft in Ny-ålesund auf dem Svalbard-archipel in Norwegen, der nördlichst­en Gemeinde der Welt.

Krumpen: Ich arbeite im Bereich der Klimaforsc­hung, und als Meereisphy­siker beschäftig­e ich mich mit der Entstehung von Meereis. Dazu gehören auch die Wege, die es einschlägt und wie es durch den arktischen oder antarktisc­hen Ozean treibt. Welche Prozesse dabei auf das Eis einwirken und letztendli­ch, wie es schmilzt. Da interessie­ren mich insbesonde­re Veränderun­gen, die in diesem Kreislauf passieren, und die Prozesse, die diese Änderungen steuern. Ich selber setze mich auch viel mit der Änderung der Eisdicke in der Arktis auseinande­r. Das erforschen wir mit unseren Forschungs­flugzeugen, inzwischen heißen sie Polar 5 und Polar 6. Eine Frage, die mich gerade umtreibt, ist: Das Eis wird immer dünner, das sehen wir in unseren Messdaten. Aber die Frage ist: Was passiert dann damit? Es gibt die These, dass dünner werdendes Eis sich auch stärker deformiert. Also mehr Presseisrü­cken bildet. Ich untersuche gerade, ob das wirklich der Fall ist. Das versuche ich anhand von Lasermessu­ngen, Laserbefli­egungen zu erarbeiten. Gibt es mehr Presseisrü­cken, gibt es weniger? Das ist insofern relevant, weil eben diese Presseisrü­cken in der Arktis auch ein großes Habitat für verschiede­nste Lebensform­en darstellen. In einer Eiswüste kann so ein Rücken ein kleiner Shelter, ein Unterschlu­pf sein.

Frau Horvath, Sie wurden 2020 für das beste Pressebild des Jahres 2020 in der Kategorie Umwelt mit dem World Press Photo Award ausgezeich­net. Ihre Bilder sprechen eine eigene Sprache. Können Sie trotzdem zusätzlich in Worte fassen, welche Botschaft Sie haben?

Horvath: Mit meiner Fotografie möchte ich Geschichte für die Ewigkeit festhalten. Ich denke hier an das Mondlandun­gs-foto. Wenn wir das Bild nicht hätten, woran würden wir bei der Mondlandun­g denken? Jeder Mensch an etwas anderes, was er sich in seinem Kopf vorstellen kann. Fotografie hat die Kraft zu lehren, aufmerksam zu machen und zu kommunizie­ren.

Sie dokumentie­ren den Rückgang des Eises, sehen es noch so, wie es die künftige Generation nicht mehr sehen wird. Macht Sie das traurig?

Horvath: Ja, es macht mich sehr traurig, dass dieses ewige Eis des Arktischen Ozeans einmal verschwind­en kann und dadurch auch ein komplettes Ökosystem.

Krumpen: Natürlich macht das einen traurig. Vor allen Dingen macht mich traurig, die enorme Aufgabe zu sehen, mit der die künftige Generation konfrontie­rt ist, nämlich die des Klimawande­ls und wie man mit den Folgen des Klimawande­ls umgeht. Die Polregione­n und die krassen Änderungen, die wir dort sehen, sind natürlich sinnbildli­ch oder stehen im Prinzip für eine globale Änderung.

 ?? FOTO: ESTHER HORVATH ?? Eine Eisbärin und ihr Junges nähern sich der Ausrüstung von Wissenscha­ftlern der „Polarstern“-mission. Das Foto von Esther Horvath für die New York Times ist mit dem World Press Photo Award 2020 ausgezeich­net worden.
FOTO: ESTHER HORVATH Eine Eisbärin und ihr Junges nähern sich der Ausrüstung von Wissenscha­ftlern der „Polarstern“-mission. Das Foto von Esther Horvath für die New York Times ist mit dem World Press Photo Award 2020 ausgezeich­net worden.
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FOTO: ESTHER HORWATH Esther Horvath
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FOTO: ESTHER HORVATH Thomas Krumpen

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