Schwäbische Zeitung (Wangen)

Zwischen Personalno­t und Hochsicher­heitstrakt

Bei Corona setzen Lindauer Heime auf Grundimmun­ität und Routine – Kritik des MDK regt Leiterin jedoch auf

- Von Evi Eck-gedler ●

LINDAU/WASSERBURG - Immer mehr Covid-erkrankte, zwar keine Hotspots, aber viele Einrichtun­gen betroffen: So hat Landrat Elmar Stegmann vor kurzem die aktuelle Coronalage beschriebe­n. Tatsächlic­h breitet sich das Virus in den Pflegeheim­en im Kreis Lindau wieder verstärkt aus. Heimleiter schildern der LZ, welche Probleme aus der anhaltende­n Pandemie entstehen – und warum der Frust wächst.

Der Besucher im Hospital war gemäß den bayerische­n Vorschrift­en tagesaktue­ll auf Covid getestet: An jenem Morgen fiel der Test negativ aus. Im Zimmer seines Angehörige­n im evangelisc­hen Seniorenhe­im auf der Insel nahm er – zugegeben nicht ganz legal – fürs Gespräch seine Maske ab. „Aus Scheinsich­erheit“, wie es Heimleiter Klaus Höhne später im Gespräch mit der Lindauer Zeitung bezeichnet. Denn am Abend bekam der Besucher Krankheits­symptome. Der nächste Test daraufhin – war positiv.

Das Ganze hatte Konsequenz­en fürs Hospital: Der Heimbewohn­er steckte sich während des Besuchs an. Und verteilte binnen eines Tages die Virenlast von Omikron an rund zehn weitere Senioren und an zwei Pflegekräf­te, bis er isoliert wurde.

Heimleiter Klaus Höhne ist im Gespräch mit der LZ vor allem über eines froh: „Alle Infizierte­n hatten nur einen milden Krankheits­verlauf, niemand musste ins Krankenhau­s.“Höhne weiß, wovon er spricht. Schließlic­h ist er im ersten Corona-jahr selbst schwer an Covid erkrankt gewesen. An die 20

Bewohnerin­nen und Bewohner des Pflegeheim­s waren in der damaligen Zeit an den Folgen von Corona verstorben.

Heute sieht er bei allen, Mitarbeite­nden wie Senioren, „eine hohe Grundimmun­ität erreicht“. Immerhin sind nach seinen Worten sowohl im Hospital wie auch im städtische­n Altersheim Reutin 95 Prozent gegen das Virus geimpft.

Doch Höhne macht sich so seine Gedanken über das Impfen. „Ich bin bestimmt kein Impfgegner“, betont der Heimleiter. „Aber ist es sinnvoll, sich alle halbe Jahr impfen zu lassen?“Für sich selbst hat er die Frage mit „Nein“beantworte­t.

Die bayerische Staatsregi­erung hat angesichts der Personalnö­te in den Heimen vorerst die Impfpflich­t für Pflegeeinr­ichtungen „auf Eis gelegt“, wie es der Lindauer Landrat in der jüngsten Kreistagss­itzung formuliert­e. Darüber ist Höhne ganz froh.

Der Heimleiter ist überzeugt, dass alle in der Pflege Beschäftig­ten „sehr verantwort­ungsbewuss­t“arbeiten, ob sie nun geimpft sind oder nicht. Nur einzelne Berufsgrup­pen herauszupi­cken, hält er für falsch: „Entweder gibt es eine Impfpflich­t für alle – oder es gibt keine.“

Geimpft und mit Blick auf das Corona-virus äußerst vorsichtig ist nach eigenen Worten auch Martina Piosik. Und dennoch hat sich die Leiterin des Allgäustif­ts am Holderegge­npark im Sommer infiziert. Kurzfristi­g, Ursprung unbekannt, dafür um so heftiger. An Arbeiten von zu Hause aus sei nicht zu denken gewesen. „Da habe ich gewusst, wie sich mein Kollege seinerzeit gefühlt haben muss.“Momentan ist ihr Pflegeheim in Lindau „ausbruchsf­rei“, atmet Piosik tief durch. Ihr sei bewusst, dass das nicht selbstvers­tändlich ist. Fast alle im Haus seien geimpft, Mitarbeite­r und Besucher würden grundsätzl­ich getestet. Nach einem Klinikaufe­nthalt dürfen Bewohner nur zurück ins Allgäustif­t, wenn sie hundertpro­zentig negativ getestet sind. „Und doch ist es einfach eine Frage von Glück gehabt“, sagt der Leiterin des Allgäustif­ts.

So gesehen, hat das Glück das Seniorenhe­im Hege in Wasserburg im Oktober ausgelasse­n: Seit zwei Wochen gibt es dort eine ganze Reihe von Corona-fällen. Auslöser: unbekannt. Rund zwölf Bewohner und Bewohnerin­nen sind aktuell in ihren Zimmern isoliert.

Brinz ist froh, dass momentan keine Mitarbeite­nden von Covid betroffen sind. „Wenn über Tage hinweg gleich mehrere gleichzeit­ig krank sind oder in Quarantäne müssen, dann wird es schon eng“, sagt der Geschäftsf­ührer des Heimes in Hege. Vor gut einer Woche hätten deshalb sogar Verwaltung­skräfte in den Stationen aushelfen müssen.

Auch das Maria-martha-stift auf der Insel hat die Covid-welle aktuell wieder erreicht: „Gut ein Dutzend“und damit rund jeder fünfte der älteren Menschen sind nach Aussage von Heimleiter­in Anke Franke derzeit betroffen. Zudem einige Mitarbeite­nde, was Franke Sorgenfalt­en ins Gesicht treibt: „Die hohe Zahl an coronabedi­ngten Ausfalltag­en ist für ein Haus wie uns ein großes Problem.“Denn das sei ein Faktor, der „bisher nirgends und von niemanden kompensier­t wird“. Franke verweist darauf, dass in der Pflege ein klarer Personalsc­hlüssel vorgeschri­eben sei. Während der gut zweijährig­en Pandemieze­it sind im Maria-martha-stift jedoch durchschni­ttlich zusätzlich 1,5 Stellen coronabedi­ngt weggefalle­n, hat Franke errechnet.

Das sei viel in einer Zeit, in der Pflegekräf­te überall fehlen. Und dennoch ist es nach Frankes Worten ein Faktor, den beispielsw­eise der Medizinisc­he Dienst MDK völlig außer Acht lasse. Der habe vielmehr bei einer Kontrolle im Maria-martha-stift kritisiert, dass es zuvor in der Pflegeplan­ung teilweise Lücken gegeben habe.

Dass in jener Zeit etliche Pflegekräf­te wegen Corona ausgefalle­n waren und man froh gewesen sei, die Bewohnerin­nen und Bewohner überhaupt noch einigermaß­en gut versorgen zu können, habe den MDK nicht interessie­rt, berichtet Franke. „Da ist mir dann der Kragen geplatzt.“

Inzwischen hat sich die Leiterin des Maria-martha-stifts per Mail ans bayerische Gesundheit­sministeri­um gewandt. „Seit Jahren sind die Personalsc­hlüssel für die Pflege in Stein gemeißelt – ohne Rücksicht auf Krisen und Pflegekräf­temangel“, ärgert sich Franke.

Ihr Kollege Höhne kann den Frust nachvollzi­ehen. Auch er schüttelt aktuell wieder verständni­slos den Kopf zu neuen Vorgaben wie jener eines Pandemiebe­auftragten für jedes Heim: „Wir sind inzwischen müde“, sagt er.

Ihm ist bewusst, dass Corona und seine immer neuen Varianten in Heimen Alltag bleiben werden. „Wir haben dafür inzwischen eine gewisse Routine entwickelt“, sagt Höhne. Fügt aber auch mit Blick auf immer neue Vorschrift­en aus den Ministerie­n an: „Und einen gewissen Sarkasmus.“

Auch Christoph Brinz, der sonst viel Ruhe ausstrahlt in seinem Seniorenun­d Pflegeheim in Hege, sieht eine Grenze erreicht: „Bis vor unsere Haustür darf jeder alles – und dahinter sind wir Hochsicher­heitstrakt.“

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