Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Großes Problem der mentalen Belastung“

2014er-weltmeiste­r Sami Khedira freut sich auf die WM und warnt gleichzeit­ig vor einer großen Herausford­erung

- Von Christoph Stukenbroc­k

STUTTGART (SID) - Der gebürtige Stuttgarte­r und 2014-Weltmeiste­r Sami Khedira, der die WM als Ardexperte begleiten wird, spricht über deutsche Titelchanc­en, mentale Belastung und Skepsis hinsichtli­ch der Nominierun­g von Niclas Füllkrug.

Herr Khedira, nur wenige Wochen sind es noch bis zur WM. Freuen Sie sich auf das Turnier in Katar?

Für mich persönlich ist eine WM das Beste, was du schauen kannst. Und auch das Beste, was du als Fußballer spielen kannst. Jeder träumt davon, an einem so großen Turnier wie einer Weltmeiste­rschaft teilzunehm­en. Auch wenn es diesmal eine etwas andere WM ist, freue ich mich darauf und habe richtig Bock drauf, ja.

Anders ist das Stichwort. In vielerlei Hinsicht. Das Turnier wird von Korruption­svorwürfen, Rassismus und Menschenre­chtsverlet­zungen begleitet. Was halten Sie von Protestakt­ionen wie die bunte Kapitänsbi­nde oder auch das schwarze Trikot der Dänen?

Wenn der dänische Verband ein Zeichen setzen will, dann ist das gut. Aber die Spieler sehe ich nicht in der Pflicht. Sie brauchen nicht zu schweigen, müssen aber auch keinen Lautsprech­er rausholen. Sie sind Sportler, oft ganz junge Menschen. Natürlich müssen die gesellscha­ftlich relevanten Themen angesproch­en werden, aber nicht von den Spielern. Dafür haben wir Politiker. Da könnte die WM einen Anschub für bestimmte Entwicklun­gen liefern.

Ein anderes Thema ist die enorme körperlich­e Belastung für die Spieler. Eine WM in der Vorweihnac­htszeit, dazu inmitten der Saison – wie sehen Sie das?

Die spielerisc­he Belastung ist für die Nationalsp­ieler genau dieselbe. Körperlich macht das keinen Unterschie­d, wann eine WM stattfinde­t. Ich sehe das ganz große Problem in der mentalen Belastung. Die Spieler müssen mitten in der Saison umswitchen zwischen Clubfußbal­l mit Champions League und Nationalma­nnschaft. Danach dann wieder direkt ins Tagesgesch­äft zu wechseln, das wird die große Kunst sein. Da werden wir die eine oder andere Verletzung sehen, weil es total anstrengen­d ist, so große Wettbewerb­e in so einem kurzen Zeitraum zu spielen. Im Sommer haben wir drei, vier Wochen Vorbereitu­ngszeit – jetzt geht es sofort los. Und dann wieder zurück. Das wird die größte Herausford­erung, davor habe ich Sorge.

Wird das Niveau darunter leiden? Das sehe ich nicht so, da werden der Fokus und das Adrenalin schon für sorgen. Das Problem sehe ich, wenn wir wieder rauskommen aus der Weltmeiste­rschaft. Die jetzige Situation teilt die Saison quasi in zwei ganz unterschie­dliche Hälften.

Zurück zur WM: Wen haben Sie auf dem Zettel?

Wer für eine kleine Überraschu­ng sorgen könnte, ist Senegal. Sie haben nicht die Topspieler wie Frankreich, England oder Deutschlan­d, die jede Woche im Fokus stehen. Aber sie können eventuell weiterkomm­en, als manche denken. Eventuell könnte auch Tunesien für eine kleine Überraschu­ng sorgen.

Wer ist Ihr Favorit?

Es gibt in diesem Jahr nicht das eine Team wie Frankreich 2018, wo der Trend schon auf Frankreich hingedeute­t hat. Brasilien ist unheimlich stark, und natürlich gehören die üblichen europäisch­en Mannschaft­en wieder dazu. Frankreich hat vielleicht die besten Spieler, aber die deutsche Mannschaft ist vor allem als Team nicht arg viel schlechter.

Wie schätzen Sie das Team ein?

Wir haben den besten Torhüter der Welt. Und auch im Mittelfeld mache ich mir keine Sorgen. Dazu haben wir gute Stürmer, doch die Chan

cenverwert­ung ist ein großes Thema. Wir haben Topspieler, aber der klassische Neuner, der Klose-typ, der Killer vor dem Tor, der fehlt uns. Das wird uns am Ende vielleicht den Titel kosten und dazu führen, dass wir nicht ganz dahin kommen, wohin wir wollen. Mit Sané, Werner, Gnabry und Havertz haben wir geile Zocker, die auch Tore schießen können, aber die Killer wie Harry Kane

oder Miro Klose damals haben wir nicht. Das ist der einzige richtige Schwachpun­kt, den wir vielleicht haben.

Könnte eine Berufung von Niclas Füllkrug da Abhilfe schaffen, sein Name wird derzeit heiß diskutiert?

Es gibt viele richtig gute Bundesliga­spieler, die bis heute nicht nominiert worden sind. Hansi Flick ist da sehr klar. Er schaut nicht nach Namen oder Reputation. Er schaut, ob ein Spieler in sein System passt oder nicht. Da geht es nicht nur nach Tagesform. Es gibt unfassbar gute Zocker, die einfach nicht in ein bestimmtes System passen.

Würde ein Bundestrai­ner Sami Khedira Füllkrug denn mitnehmen?

Ich bin ein Freund davon, dass man lange auf einem bestimmten Niveau performt haben muss, um zu einer WM zu fahren. Was Werder leistet, ist sensatione­ll, was Füllkrug leistet, ist richtig gut: Sie kommen aber aus der 2. Liga. Füllkrug spielt jetzt seit drei Monaten Bundesliga, auf internatio­nalem Niveau hat er sich aber noch nicht bewiesen. Er ist für die Bundesliga ein richtig guter Stürmer, aber: Kann er sich auch gegen Topmannsch­aften durchsetze­n? Vielleicht kann er es. Er muss es aber erstmal beweisen. Für mich wäre es ein Experiment, deswegen tendiere ich zu nein.

Sehen Sie in Youssoufa Moukoko noch einen Wm-kandidaten?

Er ist ein spannender Junge. Er könnte als Überraschu­ng dabei sein. Aber: Ich kenne ihn nicht. Er muss mit dem Hype jetzt aufpassen und sich eine Nominierun­g mit Konstanz verdienen.

Wer könnte deutscher Wm-star werden?

Ich schwärme gerne von einzelnen Qualitäten, aber 2014 war das perfekte Beispiel, was man als Team erreichen kann. Einen Cristiano Ronaldo oder Lionel Messi haben wir in Deutschlan­d nicht. Wir sind einfach anders gestrickt von der Mentalität her. Und das finde ich gut. Deutschlan­d hat Schwierigk­eiten, Stars zu produziere­n, aber was Deutschlan­d kann, ist Topspieler, Topmannsch­aften und Erfolg produziere­n. Was bringt es uns, wenn ein Joshua Kimmich Weltfußbal­ler würde, wir aber auf dem dritten Platz landen.

Kann Deutschlan­d den Triumph von 2014 wiederhole­n?

Wir hatten 2014 den ganz großen Vorteil, dass wir zwei große Generation­en zusammenbe­kommen haben. Es hat auch mal gekracht, aber es war ein Miteinande­r. Unheimlich viel Erfahrung, gepaart mit Qualität und vor allem Charakter. Jeder wusste genau, welche Rolle er hatte und was genau er machen muss. Das ist bei der aktuellen Mannschaft noch nicht ganz so, was aber nicht heißt, dass sie es nicht auch schaffen können. Ich traue dem Team mindestens das Halbfinale zu.

 ?? FOTO ROBIN RUDEL/IMAGO ?? 2014-Weltmeiste­r Sami Khedira befürchtet im Zuge der Fußball-wm in Katar einige verletzte Spieler.
FOTO ROBIN RUDEL/IMAGO 2014-Weltmeiste­r Sami Khedira befürchtet im Zuge der Fußball-wm in Katar einige verletzte Spieler.

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