Flüchtlingslage verschärft sich weiter
Für Menschen aus der Ukraine gelten besondere Regeln – Welche Auswirkungen das hat
STUTTGART - Anfang Oktober hieß es im Landkreis Ravensburg: 170 Ukrainer hätten sich zwar bei der Erstaufnahme gemeldet, waren dann aber nicht mehr erreichbar. Ein landesweites Problem? Und was bedeutet es, wenn sich Geflüchtete nicht mehr bei Behörden melden? Ein Überblick.
Wie viele Geflüchtete hat Badenwürttemberg aufgenommen?
Im laufenden Jahr wurden laut dem baden-württembergischen Justizministerium bislang mehr als 134 000 Geflüchtete aus der Ukraine in Baden-württemberg erfasst. Hinzu kommen zusätzlich mehr als 19 000 Asylsuchende aus anderen Staaten sowie weitere rund 2800 Geflüchtete, die Deutschland aus humanitären Gründen direkt aufnimmt – etwa, weil die Ankunftslager auf der griechischen Insel Lesbos überfüllt sind. Zusammengerechnet sind das seit Jahresbeginn also mehr als 156 000 Menschen. Zum Vergleich: Im Jahr 2015 wurden rund 101 000 Asylsuchende registriert, zudem rund 1000 Personen aus humanitären Programmen, zusammen 102 000 Menschen – also deutlich weniger als im laufenden Jahr. Zu der weiteren Entwicklung will das Ministerium von Marion Gentges (CDU) keine Prognosen treffen, die Lage sei zu dynamisch.
Welche Leistungen erhalten Ukrainer und andere Geflüchtete vom Staat?
Seit Juni 2022 sind Menschen aus der Ukraine in Deutschland besser gestellt als Asylsuchende aus anderen Staaten. Letztere erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, der Regelsatz liegt bei 364 Euro. Dazu zahlt der Staat für Unterkunft, Heizung, Möbel und Einrichtungsgegenstände – allerdings wird all das meist als Sachleistung gestellt. Arbeiten dürfen diese Menschen erst, wenn ihr Asylantrag bewilligt wurde. Ukrainer bekommen Leistungen nach Sozialgesetzbuch. Entweder, sie können arbeiten, dann erhalten sie Hartz IV – in der Regel etwa 20 Prozent mehr als Asylbewerber. Angerechnet werden aber Einkommen und Vermögen. Hinzu kommen unter anderem Zuschüsse für die Unterkunft. Oder sie sind nicht arbeitsfähig, dann erhalten sie Sozialhilfe. Außerdem müssen sie nicht wie andere Asylsuchende auf den Abschluss ihres Verfahrens warten, sondern können direkt Arbeit aufnehmen.
Was passiert, wenn sich Geflüchtete nicht mehr melden?
Wie alle Hartz-iv-empfänger haben
die Geflüchteten Pflichten. Sie müssen zum Beispiel an Integrationskursen oder anderen Schulungen teilnehmen und sich regelmäßig melden, auch persönlich. Passiert dies nicht, forschen die Jobcenter vor Ort nach eigener Auskunft nach – etwa bei Vermietern oder anderen Behörden. Bleiben die Betroffenen verschwunden, werden die Zahlungen der Leistung „regelmäßig“eingestellt, so die Agentur für Arbeit. Genaue Zahlen hat sie dazu nicht. Drei Wochen pro Jahr dürfen sich die Menschen so weit weg vom Wohnort aufhalten, dass sie nicht am selben Tag das Jobcenter besuchen können. Diese Frist kann aus bestimmten Gründen verlängert werden – etwa bei vom Arzt verordneten Maßnahmen oder ehrenamtlicher Tätigkeit. Ankündigen müssen Hartz-iv-empfänger ihre Abwesenheit immer.
Wie viele Personen sind nicht mehr erreichbar?
Es gebe keine Statistik dazu, wie viele Menschen aus der Ukraine Hartz IV beantragt haben, aber nicht mehr erreichbar sind, heißt es bei der Bundesagentur für Arbeit. Die entsprechende Abfrage sei zu komplex, es gehe um verschiedene Sachverhalte „wie Ortsabwesenheit, Mitwirkungspflicht, Aufenthaltswechsel“.
Der Hauptgeschäftsführer des Landkreistages, Alexis von Komorowski, sagte der „Schwäbischen Zeitung“, es handle sich seiner Kenntnis nach nicht um ein flächendeckendes Problem, es gebe dazu keine Meldungen aus den Kreisen.
Die vom Landkreis Ravensburg verwendete Formulierung „untergetaucht“könne nicht in Statistiken abgefragt werden, erklärt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf): „Eine Auswertung des Ausländerzentralregisters
nach als „untergetaucht“geführten Personen ist nicht möglich, da ein solcher Speichersachverhalt nicht existiert.“Im Ausländerzentralregister werden Menschen unter dem Stichwort „Fortzug nach unbekannt“summiert.
Darunter fallen jene, die sich einer Abschiebung entziehen ebenso wie Menschen, die freiwillig ausreisen, zu Verwandten gezogen sind, ohne sich umzumelden und vieles mehr. Nicht jeder, auf den dies zutrifft, bekommt im Übrigen Geld vom Staat. Wer Leistungen haben will, muss diverse Anträge stellen und Auflagen erfüllen – die ohne bekannten Wohnort nicht bewilligt werden.
Ukrainer werden auch deshalb anders eingestuft als Menschen aus anderen Ländern, weil sie schnell Arbeit finden sollen. Wie gut klappt das?
Laut Bundesagentur für Arbeit waren von etwa einer Million Geflüchteter in Deutschland im September rund 337 800 arbeitssuchend gemeldet, 202 600 davon bezogen Hartz IV. Im Juli hatten rund 102 000 Männer und Frauen aus der Ukraine einen sozialversicherungspflichtigen Job in Deutschland.
In Baden-württemberg bezogen im September 25 775 Menschen mit ukrainischem Pass Hartz IV – darunter auch Menschen, die bereits vor dem Krieg in Deutschland lebten. Seit Juli dürfen sie direkt Hatz IV beziehen und auch arbeiten, seither wechselten laut Arbeitsagentur rund 1680 daraus in einen festen Job.
Grundsätzlich sei das Bildungsniveau in der Ukraine im internationalen Vergleich sehr hoch, allerdings fehlten derzeit in den Statistiken Angaben zu Schul- oder Hochschulabschlüssen. Das werde sich ändern, wenn mit allen Betroffenen ausführliche Gespräche in den Jobcentern geführt worden seien, heißt es von der Bundesagentur. Allerdings spreche nur etwa jeder Zehnte gut genug Deutsch für den Arbeitsmarkt. Darüber hinaus ist der Anteil der Frauen und Kinder unter den Geflüchteten hoch, Männer im wehrpflichtigen Alter dürfen das Land in der Regel nicht verlassen.
Angesichts der relativ kurzen Zeit, seit Geflüchtete arbeiten dürften, der mangelnden Deutschkenntnisse und des hohen Frauenanteils ist der Anteil der geflüchteten Ukrainer in Arbeit von etwa 15 Prozent recht hoch, sagt etwa das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Eine spürbare Entlastung des Fachkräftemangels sei jedoch durch die Ukrainer kurzfristig nicht in Sicht.