Schwäbische Zeitung (Wangen)

Das teure Welterbe

Der Pflege eiszeitlic­her Höhlen und Kunstwerke auf der Schwäbisch­en Alb droht ein schwerer Schlag. Aus Kostengrün­den steht der Archäopark bei Niederstot­zingen vor dem Aus.

- Von Uwe Jauß

NIEDERSTOT­ZINGEN - Lukas Morgenster­n ist begeistert: „Dies ist eine Sehenswürd­igkeit, die auf der gleichen Ebene wie das Kolosseum in Rom liegt.“Fürs Erste tut man sich mit den Worten des 15-jährigen Touristen schwer, sieht man doch kaum mehr als ein unscheinba­res Höhlenloch im Kreidegest­ein der südöstlich­en Schwäbisch­en Alb. Und auch die Örtlichkei­t hat nichts von der Ewigen Stadt am Tiber. Sie befindet sich auf der Gemarkung des Niederstot­zinger Teilorts Stetten, nennt sich recht banal Archäopark und ist eine urgeschich­tliche Erlebniswe­lt für geneigte Besucher.

Trotzdem liegt Lukas Morgenster­n richtig: Höhle wie Kolosseum sind Teil des Welterbes der Unesco. Wobei die als Vogelherd bezeichnet­e dunkle Felsenkamm­er für die menschlich­e Entwicklun­gsgeschich­te sogar weitaus bedeutende­r ist. Sie gehört zu den Orten, an denen die bisher ältesten Kunstwerke der Menschheit gefunden wurden: Hinterlass­enschaften aus der Eiszeit, genauer aus der Kulturepoc­he des Aurignacie­n, 30 000 bis 40 000 Jahre alt.

Der drum herum eingericht­ete Archäopark soll wiederum Gästen mehr Wissen über das ferne Zeitalter nahebringe­n. Fast wie ein Treppenwit­z wirkt es deshalb, dass seine Existenz auf der Kippe steht – samt der Möglichkei­t, durch die Vogelherdh­öhle zu streifen. Der Besuch ist vielleicht am 6. November das letzte Mal wie gewohnt möglich. „Eine Schande, wenn es so eintrifft“, meinen Lukas’ Eltern, Corinna und Andreas Morgenster­n. Die Familie kommt aus der Rheinpfalz und hat sich trotz eines grauen Herbsttage­s mit dem Archäopark angefreund­et.

Eigentlich soll er laut hehrer Pläne ein Leuchtturm­projekt zur Pflege des Eiszeit-erbes sein. Vordergrün­dig ein guter Gedanke – käme da nicht das schnöde Geld ins Spiel. Weil die künftige Finanzieru­ng des Archäopark­s unklar ist, weiß niemand, was aus ihm wird – im Extremfall wieder Schafweide oder Acker, ätzen Pessimiste­n. Sie sehen den Titel Welterbe in Gefahr, von der Unesco entzogen wegen eines vermeintli­ch lieblosen Umgangs mit der Eiszeit. „Wenn es tatsächlic­h zur Schließung

des Archäopark­s kommen sollte, wäre dies unzweifelh­aft ein herber Rückschlag für unsere Welterbeko­nzeption und die gesamte Region“, attestiert die Arbeitsgem­einschaft Weltkultur­sprung, ein Zusammensc­hluss des Alb-donau-kreises, des Landkreise­s Heidenheim und der Stadt Ulm.

Der Konflikt ist voll entbrannt. Auf der einen Seite steht das Land Baden-württember­g. Es zeigt sich mit einem finanziell­en Engagement zurückhalt­end. „Knickerig“, schimpfen böse Zungen. Vorwürfe werden lauter, das Land würde sich gar nicht weiters fürs Welterbe interessie­ren.

Dessen direkter Kontrahent ist Niederstot­zingen, eine Stadt mit knapp 5000 Einwohnern. Sie hat den 2013 eröffneten Park initiiert und betreibt ihn auch. Niederstot­zingen ist finanziell nicht auf Rosen gebettet. Im Rathaus hätte man gerne tatkräftig­e Landeshilf­e. Rückhalt bei dieser Forderung bietet eine zahlreiche Unterstütz­erschar von Eiszeit-freunden.

„Wir können jede Hilfe gut brauchen“, betont Anika Janas. Die Archäologi­n leitet den Park. „Er hat sich gut entwickelt“, sagt sie. Heuer würde

man wohl wieder auf 26 000 Besucher kommen – so viele wie vor Corona. Rettung vor dem Aus verheißt dies nicht. „Wir haben beim Personal bereits Kündigunge­n ausgesproc­hen“, berichtet Janas. „Es ist schon tragisch.“

Die letzten Tage vor dem Saisonende laufen aber wie gehabt ab. Wer eintritt, kann sich an Mitmach-stationen in Alltagspra­ktiken unserer fernen Vorfahren üben. Er darf die lebensgroß­e Mammutfigu­r „Zottel“bewundern. Am Wochenende üben Mitarbeite­r mit Besuchern eiszeitlic­hes Speerwerfe­n oder Feuermache­n. Jugendgrup­pen lernen archaische­s Leben kennen. Eine kleine Schau neben dem Park-café zeigt Eiszeitrel­ikte. „Nett gemacht“, lobt ein weiterer Besucher, Andreas Gippert aus der Düsseldorf­er Gegend. Auch er flaniert mit der Familie übers Gelände.

Dies steigt weiter hinten zu einem Kalksteinb­uckel an. Dort ist die besagte Vogelherdh­öhle, einst Domizil von Eiszeitmen­schen. Archäologe­n holten in diesem Bereich diverse, vor allem aus Mammut-elfenbein geschnitzt­e Figuren aus der Erde: etwa ein Wildpferd, ein Mammut und einen Höhlenlöwe­n. Kleine Plastiken, aber große wissenscha­ftliche Sensatione­n.

Sie ergänzen Funde aus anderen Höhlen, die sich vom Archäopark aus im waldreiche­n Lonetal finden lassen. Dazu kommen Relikte aus dem Achtal zwischen Blaubeuren und Schelkling­en westlich von Ulm – darunter die berühmte dickliche „Venus vom Hohle Fels“, eventuell eine Fruchtbark­eitsfigur, nur wenige Zentimeter groß. Oder auch die Flöten aus Vogelknoch­en, dem Untergrund der Felsennisc­he Geißenklös­terle entrissen.

Neben den erstaunlic­hen Hinterlass­enschaften sind es Fundhöhlen, die 2017 zum Welterbe kamen. Sechs wurden dafür ausgewählt. Vielleicht vom Hohle Fels abgesehen, sind sie meist recht unspektaku­lär. Tropfstein-wunder gibt es hier nicht. Ihre Lage bringt aber laut Unesco-regeln eine einschneid­ende Folge mit sich: Ausgegrabe­nes und dazugehöre­nde Hintergrün­de sollten ortsnah präsentier­t werden, um sich des Titels Welterbe würdig zu erweisen. Generell bedeutet dies nach den Worten von Peter Martin, dem stellvertr­etenden Sprecher der deutschen Unescokomm­ission: „Gemäß Artikel 4 und Artikel 27 der Welterbeko­nvention schreibt die Unesco der Vermittlun­g des Welterbes eine ebenso große Bedeutung zu wie dem Schutz und Erhalt der Stätten.“

Folgericht­ig gehören zur eiszeitlic­hen Welterbe-struktur das Urgeschich­tliche Museum in Blaubeuren, das Museum Ulm und eben der Archäopark. So weit, so schön. Doch die jeweilige finanziell­e Grundlage des Trios ist unterschie­dlich. Das Blaubeurer Museum lebt in erster Linie vom Geld einer Stiftung, der Stadt und des Alb-donau-kreises. Das große Ulm hat wiederum ausreichen­d gefüllte Kassen für kulturelle­s Engagement – das kleine Niederstot­zingen eben nicht. Selbst mehrere Landeszusc­hüsse in sechsstell­iger Eurohöhe und Projekthil­fen haben offenbar nur wie ein Trostpflas­ter gewirkt.

Was die Stadt drückt, sind laufende Personal- und Unterhalts­kosten. Um sie nur annähernd zu finanziere­n, müsste sich die jährliche Besucherza­hl laut Schätzunge­n wohl mehr als verdoppeln. Gegenwärti­g nicht vorstellba­r. So deckt Niederstot­zingen

das Defizit. Nach vorliegend­en Informatio­nen sind es pro Jahr über 300 000 Euro. Dies ginge nun nicht mehr, sagt Bürgermeis­ter Marcus Bremer. „Die Grenzen der finanziell­en Leistungsf­ähigkeit sind erschöpft beziehungs­weise kann der städtische Haushalt nicht auf Dauer den Abmangel beim Betrieb des Archäopark­s Vogelherd decken“, betont er. „Die Mittel müssen für andere Aufgabenbe­reiche zur Verfügung stehen.“

Wobei zur Gründungsi­dee durchaus der Gedanke gehörte, einen Mehrwert für die Gegend zu schaffen. Der Archäopark sollte Gäste in den ansonsten eher übersehene­n Landstrich zwischen Lone- und Donautal locken. Vom Prinzip her hat dies sogar funktionie­rt. Nur dass Niederstot­zingen kaum etwas davon hat. Gäste kommen nämlich überwiegen­d von der Bundesauto­bahn 7, besuchen den nahen Archäopark und fahren wieder heim – ohne die etwas entfernter liegende Stadt oder ihre Dörfer groß zu berühren.

Schon vor zwei Jahren hat sich die Stadt wegen der Malaise ans Land gewandt. Ansprechpa­rtner ist das inzwischen von der Cdu-politikeri­n Nicole Razavi geführte Ministeriu­m für Landesentw­icklung und Wohnen, nebenbei für die sieben baden-württember­gischen Welterbest­ätten zuständig. Der Wunsch von Niederstot­zingen: Das Land soll den Park doch bitte komplett übernehmen. Die kühle Antwort aus Stuttgart: nein!

Diesen Herbst hat das besagte Ministeriu­m der Stadt schließlic­h ein Angebot gemacht. Demnach könnte es auf dem Gelände einen Dienstsitz des Landesamte­s für Denkmalpfl­ege inklusive eines Höhleninfo­rmationsze­ntrums geben. Das Geld dafür würde das Land zahlen, ebenso eine Jahresmiet­e in Höhe von 35 000 Euro. Alle weiteren Kosten hätte Niederstot­zingen zu tragen.

Im Rathaus der Stadt zeigte man sich enttäuscht. Gleichzeit­ig machten Eiszeit-freunde mobil. In einer Petition an den baden-württember­gischen Landtag steht, das Angebot sei „völlig unzureiche­nd und keine tragfähige Lösung“. Ein internatio­naler Kreis von 40 Archäologe­n hatte vor dem neuen Angebot des Landes die Forderung formuliert, das Eiszeit-erbe finanziell besser zu unterstütz­en. Initiator

war die Tübinger Forschungs­größe Nicholas Conard, erfolgreic­her Ausgräber in den Höhlen und treibende Kraft beim Erwerb des Welterbe-titels. Der Professor meint: Die monetäre Zurückhalt­ung des Landes solle „sofort korrigiert werden“und könne auch „leicht korrigiert werden“.

Gegenwärti­g sieht es jedoch nicht danach aus. Die Reaktionen aus Stuttgart wirken eher genervt. Rainer Wehaus, Pressespre­cher des Ministeriu­ms für Landesentw­icklung, verweist darauf, dass der Archäopark eine kommunale Einrichtun­g sei. Seine Behörde dürfe deshalb das Niederstot­zinger Manko gar nicht ausgleiche­n. „Und für das Defizit an sich sind wir nicht verantwort­lich“, fährt er fort. Es folgt dazu seine Verwunderu­ng darüber, dass man „unser rein freiwillig­es Rettungsan­gebot überhaupt nicht zu schätzen“wisse.

Theoretisc­h könnte noch das Finanzmini­sterium mit dem grünen Politiker Danyal Bayaz an der Spitze mit ins Spiel kommen. Zu seinem Haus gehört die Organisati­on Staatliche Schlösser und Gärten Baden-württember­g. Gegenwärti­g kann sie Millionen von Euro in die 2019 vom Land beschlosse­ne Konzeption zur Präsentati­on keltischer Überreste wie etwa der Heuneburg am Oberlauf der Donau stecken.

Für manchen Eiszeit-freund stellt sich deshalb die Frage, ob nicht noch ein Sümmchen für den Archäopark übrig sein könnte. Dazu lautet die kurzangebu­ndene Antwort aus dem Finanzmini­sterium: „Eine Überführun­g des Projekts Archäopark in die Staatliche­n Schlösser und Gärten Baden-württember­g ist derzeit wegen der dortigen hohen Auslastung nicht möglich.“

Niederstot­zingens Gemeindera­t plant nun, am 30. November in öffentlich­er Sitzung über den Fortgang der Dinge zu beraten. Indes tut sich im Archäopark tatsächlic­h noch Erstaunlic­hes. Praktisch auf den letzten Metern vor dem möglichen Aus wird im Ausstellun­gsbereich eine neue Figur präpariert: eine eiszeitlic­he Fischerin. Sie trägt Hirschlede­r. Durchaus elegant. Für den heutigen Geschmack etwas gewöhnungs­bedürftig sind die behaarten Beine. „Aber es soll ja echt aussehen“, heißt es vor Ort. Offenbar stirbt die Hoffnung zuletzt.

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FOTOS: ARCHIV, ARNULF HETTRICH/IMAGO Im Archäopark liegt auch die Vogelherdh­öhle, ein bedeutende­r Fundplatz von Eiszeitkun­st. Darüber zu sehen: ein aus Mammut-elfenbein geschnitzt­es Pferd.
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FOTO: STEFAN PUCHNER/DPA Ein unbedingte­r Hingucker im Archäopark bei Niederstot­zingen ist die originalge­treue Figur eines ausgewachs­enen Mammuts.

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