Schwäbische Zeitung (Wangen)

Gratwander­ung in Peking

Auf Kanzler Scholz lasten während seiner China-reise widersprüc­hliche Erwartunge­n

- Von Michael Fischer und Andreas Landwehr

(dpa) - Jahrzehnte­lang liefen China-reisen von Kanzlern und Kanzlerin fast immer nach demselben Schema ab. Für das bevölkerun­gsreichste Land der Welt nahmen sich Deutschlan­ds Regierungs­chefs zwei oder drei, manchmal aber auch vier, fünf oder sogar sechs Tage Zeit. Neben dem Pflichtpro­gramm bei der chinesisch­en Führung in der Hauptstadt Peking ging es in mindestens eine weitere Millionen-metropole. Und in der Regel war eine Wirtschaft­sdelegatio­n mit Top-managern dabei, von denen einige mit Millionen- oder sogar Milliarden­verträgen zurückkehr­ten.

Nur einmal wurde eine eigentlich für vier Tage geplante Kanzler-reise kurzerhand auf 16 Stunden ohne Übernachtu­ng eingedampf­t. Das war 1999: Die Nato hatte gerade im Kosovo-krieg versehentl­ich die chinesisch­e Botschaft in Belgrad bombardier­t und der damalige Kanzler Gerhard Schröder musste sich in Peking dafür entschuldi­gen.

Wenn Olaf Scholz am Freitagmor­gen in Peking eintrifft, bleibt ihm noch weniger Zeit als Schröder damals: gerade mal elf Stunden. Sein Bewegungsr­adius beschränkt sich auf wenige Kilometer um die Große Halle des Volkes im Pekinger Zentrum. Die Wirtschaft­sdelegatio­n ist mit rund einem Dutzend Unternehme­rn vergleichs­weise klein. Milliarden­verträge sind keine zu erwarten.

Dafür gibt es vor allem einen Grund: Corona. Die chinesisch­e Führung hat Bürgern und Gästen ein knallharte­s Null-corona-regime auferlegt. Der Besuch ausländisc­her Delegation­en ist nur unter strengen Auflagen möglich – auch für die, die mit ihnen in Kontakt kommen. Deswegen hat die chinesisch­e Seite mehrere Besuche zusammenge­legt: Scholz reiht sich hinter Vietnams Parteichef Nguyen Phu Trong, Pakistans Premiermin­ister Shehbaz Sharif und Tansanias Präsidenti­n Samia Suluhu Hassan ein.

So kurz die Reise ist, so riesig ist die internatio­nale Aufmerksam­keit. Scholz ist der erste westliche Regierungs­chef, der dem gerade erst in seiner Macht gestärkten Präsidente­n Xi Jinping nach seiner Wiederwahl als Vorsitzend­er der Kommunisti­schen Partei persönlich gratuliere­n kann. Jedes Wort von ihm, jede Geste wird auf die Goldwaage gelegt – von den Verbündete­n in der EU, von den USA und nicht zuletzt von den Koalitions­partnern in Berlin.

Spricht er die Unterdrück­ung der Uiguren deutlich genug an? Wie verhält er sich zu Chinas Drohgebärd­en gegenüber Taiwan? Thematisie­rt er die Repression­en in Hongkong? Wie geht er mit dem Streit um chinesisch­en Einfluss auf kritische Infrastruk­tur in Europa um? Kurzum: Bleibt Scholz bei dem auf Pragmatism­us

und Kooperatio­n ausgericht­eten Kurs seiner Vorgängeri­n Angela Merkel? Oder vollzieht er seine vielbeschw­orene Zeitenwend­e auch in der China-politik?

Mit seiner Entscheidu­ng, dem chinesisch­en Staatsunte­rnehmen Cosco den Einstieg bei einem Terminal im Hamburger Hafen zu erlauben, setzte der Kanzler vor seiner Abreise ein Zeichen, das vielen bitter aufstößt. Vor allem die Grünen blicken dem Kurztrip nun voller Misstrauen entgegen. Man befürchtet, Scholz könnte in Peking Pflöcke einschlage­n, die sich dann nicht mehr so leicht bewegen lassen.

Außenminis­terin Annalena Baerbock sah sich sogar veranlasst, den Kanzler während eines Besuchs in Usbekistan an den Koalitions­vertrag zu erinnern. Darin hatten SPD, Grüne und FDP vereinbart, die Kooperatio­n mit China „auf der Grundlage

der Menschenre­chte und des geltenden internatio­nalen Rechts“zu suchen. „Wir wollen und müssen unsere Beziehunge­n mit China in den Dimensione­n Partnersch­aft, Wettbewerb und Systemriva­lität gestalten.“

Wo bei diesem Dreiklang der Akzent liegen soll, muss die Ampel noch definieren. Die im Vertrag vereinbart­e gemeinsame China-strategie wird gerade erst erarbeitet. In einem Beitrag für die „Frankfurte­r Allgemeine Zeitung“skizzierte Scholz aber schon, wie er sich das Ergebnis vorstellt. „Das China von heute ist nicht mehr dasselbe wie noch vor fünf oder zehn Jahren“, schreibt er. „Es ist klar: Wenn sich China verändert, muss sich auch unser Umgang mit China verändern.“Das klingt nicht wie Business as usual. Aber was heißt das konkret?

Scholz wirbt für eine Doppelstra­tegie. Einerseits will er auch als Konsequenz

aus der gescheiter­ten Annäherung­spolitik mit Russland die wirtschaft­liche Abhängigke­it von China verringern. Deswegen hat er – anders als seine Vorgänger – in Asien zuerst den demokratis­chen G7-partner Japan besucht. Eine Abkopplung von China, wie sie von den USA betrieben wird, kommt für ihn aber nicht infrage. Das würde die deutsche Wirtschaft auch so schnell nicht verkraften.

Für Diskussion­en sorgt auch der Zeitpunkt der Reise. Gerade einmal zwei Wochen ist es her, dass Xi sich auf einem Parteitag alle Macht gesichert und nur noch mit „Ja-sagern“umgeben hat. Wenn Scholz nun als erster prominente­r Westler persönlich zur Verlängeru­ng seiner Amtszeit gratuliert, könnte Chinas Propaganda das ausschlach­ten.

Anderersei­ts: Dass Scholz kurz vor dem G20-gipfel in Indonesien mit Xi spricht, birgt auch eine Chance. Auf der Urlaubsins­el Bali wird es Mitte November – mit oder ohne Wladimir Putin – vor allem um den russischen Krieg gegen die Ukraine und dessen Folgen gehen. Der Kanzler hofft, dass Peking Druck ausübt. „Klare Worte Pekings an die Adresse Moskaus sind wichtig – zur Wahrung der Charta der Vereinten Nationen und ihrer Prinzipien“, schreibt er in der „Frankfurte­r Allgemeine­n“.

Bislang jedoch hält Peking an der Rückendeck­ung für den russischen Präsidente­n fest. Beobachter sehen zwar, dass die Unterstütz­ung des geostrateg­ischen Partners gegen die USA nicht mehr so enthusiast­isch ist. Aber ein Kurswechse­l gilt als unwahrsche­inlich. „Wenn Scholz erwartet, er könnte China dazu bringen, Russlands Krieg oder Drohungen in Europa öffentlich zu kritisiere­n, wird er enttäuscht“, sagt der Professor für internatio­nale Beziehunge­n, Shi Yinhong.

In China weiß man noch nicht, was man von dem Neuen halten soll. „Wir müssen warten, bis Scholz seinen Fuß auf Chinas Boden gesetzt hat, um herauszufi­nden, was er sagt und wie gut er es sagt“, kommentier­t der staatliche Sender Shenzhen TV. Andere Staatsmedi­en bemühten chinesisch­e Experten, um Differenze­n zwischen der „werteorien­tierten“Außenminis­terin Baerbock, die Deutschlan­d „mehr Ärger als Vorteile“bereite, und Kanzler Scholz aufzuzeige­n.

Die Regierung hob Gemeinsamk­eiten und Vorteile einer Zusammenar­beit hervor. „Wir sind Partner, nicht Rivalen“, betont Außenamtss­precher Zhao Lijian. Das gegenseiti­ge Verständni­s übersteige bei Weitem die Differenze­n. Er warnte aber auch: Sollte der Kanzler wie angekündig­t Menschenre­chtsverlet­zungen oder die Verfolgung der Minderheit­en in Xinjiang ansprechen, wäre dies eine Einmischun­g in innere Angelegenh­eiten. „Wir lehnen es ab, dass China verleumdet wird.“

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Erstmals in seinem Amt als Bundeskanz­ler reist Olaf Scholz (SPD) nach China. Elf Stunden Zeit bleiben ihm dort für Gespräche.

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