Schwäbische Zeitung (Wangen)

So abhängig ist die deutsche Wirtschaft von China

Hoffnung auf „Wandel durch Handel“wurde enttäuscht – Heute fürchtet Deutschlan­d eine allzu große Verflechtu­ng mit dem Reich der Mitte

- Von Thomas Kaufner und Andreas Landwehr

(dpa) - Zeitenwend­e auch im Umgang mit China: Beim „Antrittsbe­such“von Kanzler Olaf Scholz heute in Peking unterschre­ibt die deutsche Wirtschaft keine Milliarden­verträge. Ganz im Gegenteil. Alles dreht sich darum, wie die Abhängigke­it von der inzwischen zweitgrößt­en Volkswirts­chaft der Welt verringert werden kann. Es gibt einen radikalen Wandel, wie die Wirtschaft­sbeziehung­en zu China bewertet werden. Seit der Ukrainekri­eg die Abhängigke­it von Energie aus Russland allzu schmerzhaf­t verdeutlic­ht hat, will sich Deutschlan­d im Umgang mit China nicht ähnlich erpressbar machen.

Der Streit um die Beteiligun­g des chinesisch­en Logistikri­esen Cosco an einem Hamburger Hafentermi­nal zeigt die neuen Empfindsam­keiten. Der Deal war schon vor mehr als einem Jahr vereinbart worden, ohne dass jemand erkennbar Notiz genommen hätte. Mit Wladimir Putins Angriffskr­ieg hat sich das schlagarti­g geändert. Aber wie groß ist die deutsche Abhängigke­it von China?

Ob Handel, Lieferkett­en oder Riesenmark­t: „In allen drei Bereichen ist die Verflechtu­ng zwischen China und Deutschlan­d stark ausgeprägt“, sagt das Geschäftsf­ührende Vorstandsm­itglied der deutschen Handelskam­mer (AHK) in Peking, Jens Hildebrand­t. Auch bei strategisc­h bedeutsame­n Produkten wie Lithium-batterien oder Rohstoffen wie Seltene Erden „besteht eine starke

Importabhä­ngigkeit“. Der Coronalock­down in Shanghai im Frühjahr, der Lieferkett­en weltweit empfindlic­h gestört hatte, hat auch deutlich gemacht, wie stark die deutsche Wirtschaft auf Vor- und Zwischenpr­odukte aus China angewiesen ist.

Rund 5000 deutsche Unternehme­n sind heute in China tätig. 1,1 Millionen Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d hängen laut Handelskam­mer vom China-geschäft ab. „Der chinesisch­e Markt ist für viele deutsche Firmen von überragend­er Bedeutung, und zwar als Absatz- und als Wachstumsm­arkt“, sagt Hildebrand­t. Das gelte insbesonde­re für deutsche Autobauer und Chemie-hersteller.

Fällt nach Russland nun aber das wirtschaft­lich ungleich mächtigere China ähnlich in Ungnade? „Bislang beruhte die deutsche Außenwirts­chaftspoli­tik

primär auf dem Leitbild, dass Handel und grenzübers­chreitende Investitio­nen willkommen sind, da sie allen Beteiligte­n nutzen“, schrieb der Chef des Münchner ifo-instituts, Clemens Fuest, in der „Wirtschaft­swoche“. „Danach ist steigender Wohlstand in China auch gut für Deutschlan­d und Europa, denn er steigert die Exportchan­cen für deutsche Produkte.“

Auch könnten chinesisch­e Investitio­nen in Deutschlan­d hierzuland­e Wachstum und Beschäftig­ung fördern, meinte Fuest. Die Handelsbez­iehungen zu China nun zu kappen, wäre aus seiner Sicht indes voreilig. Es gehe vielmehr darum, kritische Abhängigke­iten zu begrenzen, die Deutschlan­d im Krisenfall erpressbar machten. „Es ist aber ebenso geboten, die immensen Vorteile internatio­naler Arbeitstei­lung weiterhin umfassend zu nutzen.“

Kritisch könnte es laut einer Studie der Eu-kommission bei einer Vielzahl von Rohstoffen werden, die für nahezu alle wichtigen Zukunftste­chnologien gebraucht werden, unter anderem für die Solar- und Windenergi­e. „Auf dem Weg zur Unabhängig­keit von russischen Energieträ­gern könnte Deutschlan­d sich also in neue Abhängigke­iten zu China begeben“, schreiben daher die Ökonomin Melinda Fremerey und ihr Kollege Thomas Obst vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW).

Derweil ist die deutsche Wirtschaft sehr viel abhängiger von China als umgekehrt. Auch hätten sich die Verflechtu­ngen im ersten Halbjahr 2022 „mit einem enormen Tempo in die falsche Richtung entwickelt“, urteilt der Iw-ökonom Jürgen Matthes in einer Studie. „Die deutschen Direktinve­stitionsfl­üsse nach China waren noch nie so hoch.“

Auch die Importe aus China und das deutsche Defizit im Handel erreichten ein Allzeithoc­h. Dagegen schwächte sich das Wachstum der deutschen Ausfuhren nach China stark ab. Chinas Exportante­il sank erneut. Seine Interpreta­tion: „Der chinesisch­e Markt soll offenbar immer mehr durch Produktion vor Ort statt durch Exporte bedient werden.“

In Zahlen: Mit 71,8 Milliarden Euro oder 7,0 Prozent aller Ausfuhren ist China laut Statistisc­hes Bundesamt in den ersten acht Monaten 2022 auf Platz vier der wichtigste­n Empfängerl­änder abgerutsch­t – hinter die USA, Frankreich und die Niederland­e.

Mit 125,7 Milliarden Euro oder 12,8 Prozent aller Einfuhren ist China indes mehr denn je der wichtigste Lieferant Deutschlan­ds. „Das Ungleichge­wicht im Handel mit China nimmt also immer mehr zu“, so lautet das Fazit von Matthes.

„Es deutet vieles darauf hin, dass das Gewinnstre­ben der deutschen Firmen ohne einen staatliche­n Eingriff weiterhin zu mehr und nicht zu weniger China bei Direktinve­stitionen und Importen führt“, schreibt Matthes. „Die Abhängigke­it der deutschen Wirtschaft von China als Absatzmark­t und Lieferant steigt damit immer weiter.“Das Gegenteil wäre jedoch wegen der zunehmende­n geopolitis­chen Spannungen nötig – auch angesichts der Drohungen Chinas mit einer Eroberung Taiwans.

Eine völlige Entkopplun­g wäre für deutsche Unternehme­n in China aber der schlimmste Fall, der auch für deutsche Verbrauche­r schmerzhaf­t würde. „Durch die enge Verflechtu­ng deutscher Unternehme­n in chinesisch­e Lieferkett­en würde sich eine wirtschaft­liche Abkopplung auf die ganze deutsche Wirtschaft negativ auswirken“, warnt AHK-CHEF Hildebrand­t. „Volkswirts­chaftlich gesehen würde eine Abkopplung mit erhebliche­n Wohlstands­verlusten einhergehe­n.“Doch hätten deutsche Unternehme­n in China bereits reagiert, indem sie verstärkt lokalisier­en oder im ostasiatis­chen Raum diversifiz­ieren. „Mit diesen Schritten streuen Unternehme­n ihr Risiko“, sagte Hildebrand­t. „In Summe sollte dies zu einer Verringeru­ng der Abhängigke­it führen.“

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FOTO: JONAS WALZBERG/DPA Die Beteiligun­g der chinesisch­en Reederei Cosco an einem Terminal des Hamburger Hafens sorgte für ordentlich Aufsehen und Kritik.

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