„Wir müssen klotzen und nicht kleckern“
Energie-experte Kaufmann über das enorme Potenzial von Wasserstoff für das Klima und den Standort Deutschland
- Wasserstoff kann zum „Game-changer“für die Energiewende werden. Davon ist Stefan Kaufmann überzeugt, wie er im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“in Friedrichshafen betont. Der Cdu-politiker und Berater des Vorstands von Thyssenkrupp in Sachen Wasserstoff sieht die Stunde des Energieträgers, der vollständig klimaneutral hergestellt werden kann, gekommen. Grüner Wasserstoff ergänze sich geradezu ideal mit anderen erneuerbaren Energien und könne Hunderttausende Jobs schaffen – allein in Deutschland.
Herr Kaufmann, wir befinden uns aktuell in der vermutlich größten Energiekrise in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Preise für Benzin, Diesel und Strom schießen in die Höhe, der von Erdgas explodiert regelrecht. Schlägt jetzt die Stunde des Wasserstoffs?
Die aktuelle Krise hat dem Thema Wasserstoff sicher noch einmal einen kräftigen Schub gegeben. Mittlerweile hat wohl jeder erkannt, dass es künftig ohne Grünen Wasserstoff nicht gehen wird. Die Gaskrise beschleunigt den Prozess – zusätzlich zu den Klimazielen, die wir ohnehin erfüllen müssen. Deutschland will schließlich bis zum Jahr 2045 klimaneutral sein.
Welche Rolle spielt Wasserstoff derzeit in Deutschland? Wo wird er schon eingesetzt?
Derzeit wird Wasserstoff praktisch nur als Grauer Wasserstoff in der chemischen Industrie eingesetzt. Grau heißt, er wird aus Erdgas gewonnen. Grünen Wasserstoff gibt es derzeit noch nicht in signifikanten Mengen. Die ersten größeren Anlagen zur Herstellung sind im Bau.
Was sind die Vorteile von Grünem Wasserstoff?
Grüner Wasserstoff wird komplett Co2-neutral hergestellt – durch den Einsatz erneuerbarer Energien. Für die Elektrolyse – die Spaltung von Wasser zur Gewinnung von Wasserstoff – wird Elektrizität benötigt, und diese kommt beim Grünen Wasserstoff vollständig aus erneuerbaren Energien. Der große Vorteil ist, dass weder bei der Herstellung noch bei der Verbrennung des Wasserstoffs CO2 entsteht.
Ist Wasserstoff von den Kosten her überhaupt wettbewerbsfähig?
Vor der Gaspreisexplosion war Wasserstoff noch lange nicht wettbewerbsfähig. Mittlerweile haben sich aber zwei Dinge verändert: Zum einen sinkt der vermutete Preis von Grünem Wasserstoff in den Prognosen relativ stark – durch die vielen Projekte zur Produktion von Wasserstoff in Deutschland und auch durch sehr viele internationale Produktionsmöglichkeiten. Auf der anderen Seite wird der Graue Wasserstoff, der ja aus Erdgas gewonnen wird, teurer. Bisher hat Grauer Wasserstoff ein bis zwei Euro pro Kilogramm gekostet und Grüner Wasserstoff um die acht Euro. Jetzt bewegt sich der Preis für Grauen Wasserstoff in Richtung vier bis fünf Euro, während der Grüne Wasserstoff auf fünf bis sechs Euro prognostiziert wird. Stand heute ist der Unterschied nicht mehr signifikant. Wenn größere Mengen von Grünem Wasserstoff produziert werden, wird er auch wettbewerbsfähig sein. Länder wie Chile und Saudi-arabien, die viel Grünen Wasserstoff herstellen wollen, prognostizieren für das Jahr 2030 einen Wasserstoffpreis von zwei Euro bis 2,50 Euro.
In welchen Bereichen ist Grüner Wasserstoff schon jetzt interessant?
Derzeit ist jeder Wasserstoff, der eingesetzt wird, Grauer Wasserstoff – etwa in den Brennstoffzellen im Bereich Mobilität. Im Wärmebereich könnten wir das Erdgas schon
heute durch Grünen Wasserstoff ersetzen. Allerdings wird das noch nicht getan, weil man den Wasserstoff derzeit nicht hat. Bei den industriellen Prozessen ist sicherlich die wichtigste Anwendung die Herstellung von Grünem Stahl. Die ersten Hochöfen werden schon bald durch sogenannte Direktreduktionsanlagen ersetzt. Bei Thyssenkrupp in Duisburg und bei Salzgitter soll die Kokskohle bis zum Jahr 2026 durch Grünen Wasserstoff ersetzt werden.
Kann Wasserstoff auch im Straßenverkehr eine relevante Rolle spielen? Bisher setzt man als Nachfolgelösung für den Verbrenner ja voll auf Elektro.
Ich sehe eine realistische Rolle von Wasserstoff im Straßenverkehr. In bestimmten Segmenten gibt es auch einen Bedarf an Brennstoffzellenfahrzeugen – überall dort, wo größere Strecken zurückgelegt werden müssen, wo größere Autos – etwa SUVS – einen Wohnwagen oder Anhänger ziehen. Bei größeren Fahrzeugen macht die Brennstoffzelle Sinn. Auch bei Lastwagen, die täglich größere Strecken zurücklegen müssen – ab 500 Kilometer. Hier müsste eine Elektrobatterie viel zu groß sein, um den Lkw noch wirtschaftlich betreiben zu können. Die Spediteure warten alle auf die Brennstoffzelle für ihre großen Lkw.
Wie sieht es bei der Schifffahrt aus? Das dürfte doch auch ein spannendes Feld sein.
Ja, durchaus. 300 Millionen Tonnen Schweröl werden pro Jahr allein durch den Schiffsverkehr verfeuert. Hier besteht ebenfalls ein großes Potenzial für grüne Antriebe – also die Direktverbrennung von Wasserstoff oder von Derivaten in den Turbinen. Das eignet sich vor allem für die großen Schiffe, die kleineren können durchaus elektrisch oder auch mit einer Brennstoffzelle fahren.
Wie sieht es bei der Bahn aus? Von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) gab es nun ja erst mal eine Absage an Züge mit Wasserstoffantrieb.
Es gibt schon noch einzelne Projekte, bei denen die Züge mit Wasserstoff beziehungsweise mit Brennstoffzelle
fahren. Technologisch ist das möglich. Die Frage ist, wo das Sinn macht. Nicht da, wo es bereits Oberleitungen gibt. Aber rund 40 Prozent der Strecken in Deutschland sind nicht elektrifiziert. Dort könnte man die Dieselloks durchaus durch Wasserstoffantriebe ersetzen. Das wäre sicher auch günstiger, als die gesamte Strecke zu elektrifizieren – eine passende Verteilinfrastruktur für den Wasserstoff vorausgesetzt.
Wo liegen die Grenzen von Wasserstoff?
Bei Kleinwagen und noch kleineren Fahrzeugen macht Wasserstoff sicher keinen Sinn. Zudem werden wir voraussichtlich in den kommenden zehn bis 15 Jahren zu geringe Mengen an Grünem Wasserstoff zur Verfügung haben, um alle Anwendungsmöglichkeiten zu bedienen. Bis dahin müssen die Anwendungen wohl priorisiert werden, bis große Mengen an Wasserstoff und auch die dazugehörige Infrastruktur zur Verfügung stehen. Jetzt ist es wirtschaftlich und ökologisch am sinnvollsten, zunächst etwa die Stahlwerke auf Wasserstoff umzustellen.
Wasserstoff gewinnen wir durch Elektrolyse. Und diese verbraucht jede Menge Strom. Der ist jetzt schon knapp. Wie können wir da überhaupt Grünen Wasserstoff in großen Mengen herstellen?
Unser künftiger Bedarf an Wasserstoff lässt sich nicht komplett in Deutschland herstellen. Im Moment geht man davon aus, dass wir rund 80 Prozent des in Zukunft benötigten Grünen Wasserstoffs importieren müssen.
Woher soll der Wasserstoff dann kommen? Geraten wir da nicht direkt in neue Abhängigkeiten?
Es gibt zum Glück sehr viele potenzielle Lieferländer, sodass wir nicht direkt wieder in neue Abhängigkeiten geraten, wie es beim Gas und auch beim Erdöl durch die Opec ja der Fall ist. Bis zum Jahr 2030 wird es sicher 25 Länder geben, die uns mit Grünem Wasserstoff beliefern können – Kanada, Australien, afrikanische und arabische Länder, Chile, Brasilien, nordeuropäische Länder. Alles Länder, die günstig Ökostrom produzieren können – durch Wind, Sonne und Wasserkraft.
Wie gelangt der Wasserstoff dann aus diesen Ländern zu uns?
Es ist leider nicht möglich, den reinen Wasserstoff zu verschiffen. Dafür benötigen wir dann ein Derivat, das den Wasserstoff für den Transport binden kann – dazu eignen sich etwa Methanol oder noch besser Ammoniak.
Sie sagen, Grüner Wasserstoff kann zum „Game-changer“der Energiewende werden. Wie kann das tatsächlich gelingen?
Wasserstoff ist der „Game-changer“der Energiewende, weil er immer dort eingesetzt werden kann, wo man mit Elektrizität keine Co2-reduzierung erreicht. Mit Wasserstoff kann man zudem die Energie von dort, wo man sie günstig herstellen kann, zu uns transportieren. Das geht mit Strom nicht über längere Strecken. Und man kann Wasserstoff auch sehr gut in großen Mengen speichern – im Gegensatz zu Strom. Es besteht außerdem die Möglichkeit, aus Strom, der im Sommer reichlich vorhanden ist, Wasserstoff herzustellen, um die Energie zu speichern. Diese kann dann im Winter verbraucht werden, wenn weniger Solarstrom zur Verfügung steht. Im Prinzip ergänzen sich Wasserstoff und Ökostrom ausgesprochen gut.
Hat die Wirtschaft die Vorteile von Wasserstoff schon in ausreichendem Maße erkannt?
Ja, es gibt praktisch kein Industrieunternehmen, das sich nicht schon damit beschäftigt, wie der Trend zu Wasserstoff entlang der Wertschöpfungskette genutzt werden kann – als Energielieferant, aber auch als Geschäftsmodell, indem man Teile für eine Wasserstoff-infrastruktur entwickelt und vertreibt – Komponenten, Kompressoren und Leitungen. Deutsche Firmen sind auch stark bei Turbinen, den Elektrolyseuren, bei Brennstoffzellen, Crackern zur Ammoniak-herstellung, im gesamten Anlagenbau und auch bei der Herstellung synthetischer Kraftstoffe. Alle Firmen beschäftigen sich mit Wasserstoff – auch die Energieversorger und Leitungsbetreiber. Die deutsche Wirtschaft ist beim Thema Wasserstoff gut dabei – absolut.
„Durch Wasserstoff können perspektivisch Hunderttausende Arbeitsplätze entstehen – allein in Deutschland.“Wasserstoff-experte Stefan Kaufmann
Hier in der Region beschäftigt sich Rolls-royce Power Systems intensiv mit Wasserstoff. Kennen Sie die Aktivitäten?
Ich habe mir das schon vor Ort angeschaut und bin sehr beeindruckt, welche führende Rolle Rolls-royce Power Systems hierbei spielt. Die entsprechenden Industrien werden sicherlich Motoren, die durch Wasserstoff betrieben werden, stark nachfragen.
Welche Rolle kann Grüner Wasserstoff – sagen wir mal – in zehn Jahren spielen?
In zehn Jahren werden wir schon erhebliche Mengen an Grünem Wasserstoff sehen in einem weltweiten Markt. In einigen Industrien wird Wasserstoff dann schon eine große Rolle spielen – in der Stahlindustrie, in der Zementindustrie und auch in der Schwerlast-mobilität. Bei der häuslichen Wärme vielleicht noch nicht so stark. Aber auch das wäre denkbar.
Wie viele Arbeitsplätze können durch Wasserstoff in Deutschland entstehen?
Es gibt sehr große Wachstumspotenziale für die deutsche Industrie durch die Wende hin zum Wasserstoff. Besonders in den oben schon genannten Bereichen. Perspektivisch können durch Wasserstoff durchaus Hunderttausende Arbeitsplätze entstehen – allein in Deutschland. Das Thema Wasserstoff sollte man dementsprechend nicht als Risiko sehen – es ist eine große Chance für den Standort Deutschland. Man muss aber schon klotzen und nicht nur kleckern. Bisher passiert in Baden-württemberg noch zu wenig.