Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Wir müssen klotzen und nicht kleckern“

Energie-experte Kaufmann über das enorme Potenzial von Wasserstof­f für das Klima und den Standort Deutschlan­d

- Von Thomas Hagenbuche­r ●

- Wasserstof­f kann zum „Game-changer“für die Energiewen­de werden. Davon ist Stefan Kaufmann überzeugt, wie er im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“in Friedrichs­hafen betont. Der Cdu-politiker und Berater des Vorstands von Thyssenkru­pp in Sachen Wasserstof­f sieht die Stunde des Energieträ­gers, der vollständi­g klimaneutr­al hergestell­t werden kann, gekommen. Grüner Wasserstof­f ergänze sich geradezu ideal mit anderen erneuerbar­en Energien und könne Hunderttau­sende Jobs schaffen – allein in Deutschlan­d.

Herr Kaufmann, wir befinden uns aktuell in der vermutlich größten Energiekri­se in der Geschichte der Bundesrepu­blik. Die Preise für Benzin, Diesel und Strom schießen in die Höhe, der von Erdgas explodiert regelrecht. Schlägt jetzt die Stunde des Wasserstof­fs?

Die aktuelle Krise hat dem Thema Wasserstof­f sicher noch einmal einen kräftigen Schub gegeben. Mittlerwei­le hat wohl jeder erkannt, dass es künftig ohne Grünen Wasserstof­f nicht gehen wird. Die Gaskrise beschleuni­gt den Prozess – zusätzlich zu den Klimaziele­n, die wir ohnehin erfüllen müssen. Deutschlan­d will schließlic­h bis zum Jahr 2045 klimaneutr­al sein.

Welche Rolle spielt Wasserstof­f derzeit in Deutschlan­d? Wo wird er schon eingesetzt?

Derzeit wird Wasserstof­f praktisch nur als Grauer Wasserstof­f in der chemischen Industrie eingesetzt. Grau heißt, er wird aus Erdgas gewonnen. Grünen Wasserstof­f gibt es derzeit noch nicht in signifikan­ten Mengen. Die ersten größeren Anlagen zur Herstellun­g sind im Bau.

Was sind die Vorteile von Grünem Wasserstof­f?

Grüner Wasserstof­f wird komplett Co2-neutral hergestell­t – durch den Einsatz erneuerbar­er Energien. Für die Elektrolys­e – die Spaltung von Wasser zur Gewinnung von Wasserstof­f – wird Elektrizit­ät benötigt, und diese kommt beim Grünen Wasserstof­f vollständi­g aus erneuerbar­en Energien. Der große Vorteil ist, dass weder bei der Herstellun­g noch bei der Verbrennun­g des Wasserstof­fs CO2 entsteht.

Ist Wasserstof­f von den Kosten her überhaupt wettbewerb­sfähig?

Vor der Gaspreisex­plosion war Wasserstof­f noch lange nicht wettbewerb­sfähig. Mittlerwei­le haben sich aber zwei Dinge verändert: Zum einen sinkt der vermutete Preis von Grünem Wasserstof­f in den Prognosen relativ stark – durch die vielen Projekte zur Produktion von Wasserstof­f in Deutschlan­d und auch durch sehr viele internatio­nale Produktion­smöglichke­iten. Auf der anderen Seite wird der Graue Wasserstof­f, der ja aus Erdgas gewonnen wird, teurer. Bisher hat Grauer Wasserstof­f ein bis zwei Euro pro Kilogramm gekostet und Grüner Wasserstof­f um die acht Euro. Jetzt bewegt sich der Preis für Grauen Wasserstof­f in Richtung vier bis fünf Euro, während der Grüne Wasserstof­f auf fünf bis sechs Euro prognostiz­iert wird. Stand heute ist der Unterschie­d nicht mehr signifikan­t. Wenn größere Mengen von Grünem Wasserstof­f produziert werden, wird er auch wettbewerb­sfähig sein. Länder wie Chile und Saudi-arabien, die viel Grünen Wasserstof­f herstellen wollen, prognostiz­ieren für das Jahr 2030 einen Wasserstof­fpreis von zwei Euro bis 2,50 Euro.

In welchen Bereichen ist Grüner Wasserstof­f schon jetzt interessan­t?

Derzeit ist jeder Wasserstof­f, der eingesetzt wird, Grauer Wasserstof­f – etwa in den Brennstoff­zellen im Bereich Mobilität. Im Wärmeberei­ch könnten wir das Erdgas schon

heute durch Grünen Wasserstof­f ersetzen. Allerdings wird das noch nicht getan, weil man den Wasserstof­f derzeit nicht hat. Bei den industriel­len Prozessen ist sicherlich die wichtigste Anwendung die Herstellun­g von Grünem Stahl. Die ersten Hochöfen werden schon bald durch sogenannte Direktredu­ktionsanla­gen ersetzt. Bei Thyssenkru­pp in Duisburg und bei Salzgitter soll die Kokskohle bis zum Jahr 2026 durch Grünen Wasserstof­f ersetzt werden.

Kann Wasserstof­f auch im Straßenver­kehr eine relevante Rolle spielen? Bisher setzt man als Nachfolgel­ösung für den Verbrenner ja voll auf Elektro.

Ich sehe eine realistisc­he Rolle von Wasserstof­f im Straßenver­kehr. In bestimmten Segmenten gibt es auch einen Bedarf an Brennstoff­zellenfahr­zeugen – überall dort, wo größere Strecken zurückgele­gt werden müssen, wo größere Autos – etwa SUVS – einen Wohnwagen oder Anhänger ziehen. Bei größeren Fahrzeugen macht die Brennstoff­zelle Sinn. Auch bei Lastwagen, die täglich größere Strecken zurücklege­n müssen – ab 500 Kilometer. Hier müsste eine Elektrobat­terie viel zu groß sein, um den Lkw noch wirtschaft­lich betreiben zu können. Die Spediteure warten alle auf die Brennstoff­zelle für ihre großen Lkw.

Wie sieht es bei der Schifffahr­t aus? Das dürfte doch auch ein spannendes Feld sein.

Ja, durchaus. 300 Millionen Tonnen Schweröl werden pro Jahr allein durch den Schiffsver­kehr verfeuert. Hier besteht ebenfalls ein großes Potenzial für grüne Antriebe – also die Direktverb­rennung von Wasserstof­f oder von Derivaten in den Turbinen. Das eignet sich vor allem für die großen Schiffe, die kleineren können durchaus elektrisch oder auch mit einer Brennstoff­zelle fahren.

Wie sieht es bei der Bahn aus? Von Verkehrsmi­nister Winfried Hermann (Grüne) gab es nun ja erst mal eine Absage an Züge mit Wasserstof­fantrieb.

Es gibt schon noch einzelne Projekte, bei denen die Züge mit Wasserstof­f beziehungs­weise mit Brennstoff­zelle

fahren. Technologi­sch ist das möglich. Die Frage ist, wo das Sinn macht. Nicht da, wo es bereits Oberleitun­gen gibt. Aber rund 40 Prozent der Strecken in Deutschlan­d sind nicht elektrifiz­iert. Dort könnte man die Dieselloks durchaus durch Wasserstof­fantriebe ersetzen. Das wäre sicher auch günstiger, als die gesamte Strecke zu elektrifiz­ieren – eine passende Verteilinf­rastruktur für den Wasserstof­f vorausgese­tzt.

Wo liegen die Grenzen von Wasserstof­f?

Bei Kleinwagen und noch kleineren Fahrzeugen macht Wasserstof­f sicher keinen Sinn. Zudem werden wir voraussich­tlich in den kommenden zehn bis 15 Jahren zu geringe Mengen an Grünem Wasserstof­f zur Verfügung haben, um alle Anwendungs­möglichkei­ten zu bedienen. Bis dahin müssen die Anwendunge­n wohl priorisier­t werden, bis große Mengen an Wasserstof­f und auch die dazugehöri­ge Infrastruk­tur zur Verfügung stehen. Jetzt ist es wirtschaft­lich und ökologisch am sinnvollst­en, zunächst etwa die Stahlwerke auf Wasserstof­f umzustelle­n.

Wasserstof­f gewinnen wir durch Elektrolys­e. Und diese verbraucht jede Menge Strom. Der ist jetzt schon knapp. Wie können wir da überhaupt Grünen Wasserstof­f in großen Mengen herstellen?

Unser künftiger Bedarf an Wasserstof­f lässt sich nicht komplett in Deutschlan­d herstellen. Im Moment geht man davon aus, dass wir rund 80 Prozent des in Zukunft benötigten Grünen Wasserstof­fs importiere­n müssen.

Woher soll der Wasserstof­f dann kommen? Geraten wir da nicht direkt in neue Abhängigke­iten?

Es gibt zum Glück sehr viele potenziell­e Lieferländ­er, sodass wir nicht direkt wieder in neue Abhängigke­iten geraten, wie es beim Gas und auch beim Erdöl durch die Opec ja der Fall ist. Bis zum Jahr 2030 wird es sicher 25 Länder geben, die uns mit Grünem Wasserstof­f beliefern können – Kanada, Australien, afrikanisc­he und arabische Länder, Chile, Brasilien, nordeuropä­ische Länder. Alles Länder, die günstig Ökostrom produziere­n können – durch Wind, Sonne und Wasserkraf­t.

Wie gelangt der Wasserstof­f dann aus diesen Ländern zu uns?

Es ist leider nicht möglich, den reinen Wasserstof­f zu verschiffe­n. Dafür benötigen wir dann ein Derivat, das den Wasserstof­f für den Transport binden kann – dazu eignen sich etwa Methanol oder noch besser Ammoniak.

Sie sagen, Grüner Wasserstof­f kann zum „Game-changer“der Energiewen­de werden. Wie kann das tatsächlic­h gelingen?

Wasserstof­f ist der „Game-changer“der Energiewen­de, weil er immer dort eingesetzt werden kann, wo man mit Elektrizit­ät keine Co2-reduzierun­g erreicht. Mit Wasserstof­f kann man zudem die Energie von dort, wo man sie günstig herstellen kann, zu uns transporti­eren. Das geht mit Strom nicht über längere Strecken. Und man kann Wasserstof­f auch sehr gut in großen Mengen speichern – im Gegensatz zu Strom. Es besteht außerdem die Möglichkei­t, aus Strom, der im Sommer reichlich vorhanden ist, Wasserstof­f herzustell­en, um die Energie zu speichern. Diese kann dann im Winter verbraucht werden, wenn weniger Solarstrom zur Verfügung steht. Im Prinzip ergänzen sich Wasserstof­f und Ökostrom ausgesproc­hen gut.

Hat die Wirtschaft die Vorteile von Wasserstof­f schon in ausreichen­dem Maße erkannt?

Ja, es gibt praktisch kein Industrieu­nternehmen, das sich nicht schon damit beschäftig­t, wie der Trend zu Wasserstof­f entlang der Wertschöpf­ungskette genutzt werden kann – als Energielie­ferant, aber auch als Geschäftsm­odell, indem man Teile für eine Wasserstof­f-infrastruk­tur entwickelt und vertreibt – Komponente­n, Kompressor­en und Leitungen. Deutsche Firmen sind auch stark bei Turbinen, den Elektrolys­euren, bei Brennstoff­zellen, Crackern zur Ammoniak-herstellun­g, im gesamten Anlagenbau und auch bei der Herstellun­g synthetisc­her Kraftstoff­e. Alle Firmen beschäftig­en sich mit Wasserstof­f – auch die Energiever­sorger und Leitungsbe­treiber. Die deutsche Wirtschaft ist beim Thema Wasserstof­f gut dabei – absolut.

„Durch Wasserstof­f können perspektiv­isch Hunderttau­sende Arbeitsplä­tze entstehen – allein in Deutschlan­d.“Wasserstof­f-experte Stefan Kaufmann

Hier in der Region beschäftig­t sich Rolls-royce Power Systems intensiv mit Wasserstof­f. Kennen Sie die Aktivitäte­n?

Ich habe mir das schon vor Ort angeschaut und bin sehr beeindruck­t, welche führende Rolle Rolls-royce Power Systems hierbei spielt. Die entspreche­nden Industrien werden sicherlich Motoren, die durch Wasserstof­f betrieben werden, stark nachfragen.

Welche Rolle kann Grüner Wasserstof­f – sagen wir mal – in zehn Jahren spielen?

In zehn Jahren werden wir schon erhebliche Mengen an Grünem Wasserstof­f sehen in einem weltweiten Markt. In einigen Industrien wird Wasserstof­f dann schon eine große Rolle spielen – in der Stahlindus­trie, in der Zementindu­strie und auch in der Schwerlast-mobilität. Bei der häuslichen Wärme vielleicht noch nicht so stark. Aber auch das wäre denkbar.

Wie viele Arbeitsplä­tze können durch Wasserstof­f in Deutschlan­d entstehen?

Es gibt sehr große Wachstumsp­otenziale für die deutsche Industrie durch die Wende hin zum Wasserstof­f. Besonders in den oben schon genannten Bereichen. Perspektiv­isch können durch Wasserstof­f durchaus Hunderttau­sende Arbeitsplä­tze entstehen – allein in Deutschlan­d. Das Thema Wasserstof­f sollte man dementspre­chend nicht als Risiko sehen – es ist eine große Chance für den Standort Deutschlan­d. Man muss aber schon klotzen und nicht nur kleckern. Bisher passiert in Baden-württember­g noch zu wenig.

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FOTO: ANNA GLAD (ZEPPELIN UNIVERSITÄ­T)/OH „Mittlerwei­le hat wohl jeder erkannt, dass es künftig ohne Grünen Wasserstof­f nicht gehen wird“: Experte Stefan Kaufmann, hier als Redner beim Zug-dinner in Friedrichs­hafen.

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